Wenige menschliche Grundbedürfnisse wurden von Rechts wegen derart verachtet wie das durch keine geistige Regung gestörte Nichtstun oder der Versuch, ohne Arbeit in den Tag zu leben. Ein Blick auf juristische Würdigungen der Faulheit.
Darf man eigentlich die Arbeit ruhen lassen, ohne die Zeit mit etwas anderem als bloßem Nichtstun zu füllen?
Der Blick ins Grundgesetz (GG) wirft Zweifel auf. Artikel 139 Weimarer Reichsverfassung (WRV), durch Artikel 140 GG Teil der geltenden Verfassung, ordnet bekanntlich an, dass Sonn- und staatliche Feiertage "als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt" sind.
Es ist bemerkenswert, dass die Konjunktion "und" in dieser Verfassungsnorm kaum jemals intensive juristische Auslegungsbemühungen nach sich zog. Denn wenn es um Fragen der Arbeitsruhe geht, finden sich sonst meist klare Rechtsauskünfte dazu, dass sie nicht um ihrer selbst willen gewährt wird.
Der gesetzliche Urlaubsanspruch von abhängig Beschäftigten bleibt etwa bis zu einem gewissen Grad dem Zweck unterworfen, Kräfte für die Wiederaufnahme der Arbeitstätigkeit zu sammeln. Es ist alles zu unterlassen, was dem allzu sehr im Weg steht.
Auch in der Diskussion um ein sogenanntes "Bedingungsloses Grundeinkommen" wurden dessen Promotoren, beispielsweise der Drogist Götz Werner (1944–), nie müde zu betonen, dass diese Gewährleistung eines Existenzminimums keinesfalls als Einladung zur schlichten "Faulheit" zu verstehen sei.
Obwohl sich das "und" in Artikel 139 WRV nun dahin interpretieren ließe, dass die Arbeitsruhe allein zum Zweck der "seelischen Erhebung" gewährt wird, schweigt sich die juristische Auslegungsbranche dazu aus, wie sich die Seele denn lebenspraktisch zu erheben habe.
Trifft zum Beispiel Menschen, die keiner Kirche angehören, die alternative Pflicht, ihre Seele durch das sonntägliche Rezitieren eines Schiller-Gedichts zu erheben? Müssen urbane Esoterik-Fans feiertags den Buddha-Nippes im Vorgarten abstauben? Werden sonntags im Fitness-Studio nur Gewichte gehoben oder – im Rechtssinn – auch die Seelen?
Mindestens vier erfundene Feiertage zum Faulenzen
Gewitzte Köpfe schlagen mindestens vier Tage im Jahr vor, die der vorsätzlich zweckfreien Tatenlosigkeit gewidmet werden sollen. So wurde versucht, den 22. März als "Tag des Faulenzens", den 19. Juli als "Weltbummeltag" und den 10. August als "Faulpelztag" zu etablieren.
Besonders provokativ ist die Idee, den heutigen ersten Sonntag im November zum "Zero Tasking Day" zu erklären. Denn dieser soll stets mit dem Ende der Sommerzeit in den USA zusammenfallen.
Die Sommerzeit jedoch ist ausgerechnet eine Erfindung von Benjamin Franklin (1706–1790). Der Sohn eines Seifensieders und Kerzenmachers hatte sich als Medienunternehmer zum Millionär hochgearbeitet und rechnete bei einem Frankreich-Aufenthalt 1784 den Parisern vor, dass sie abends Kerzen im Wert von 96 Millionen Livres sparen könnten, wenn sie im Sommer früher aufstehen würden.
Millionär war Franklin nicht zuletzt als Autor und Verleger von Ratgebern geworden, die nahelegten, keine Minute Zeit mit Müßiggang zu verbringen – er war also nicht nur Verfassungsvater der USA, sondern auch Miturheber des heutigen Drangs, sich stets nützlich fühlen zu müssen.
Müßiggang ist polizeiwidriges Laster
Just zu der Zeit, als Franklin die aufgeklärten Amerikaner und Franzosen bereits davon überzeugte, dass es ihrer freien Selbstbestimmung diene, sich jede Minute des Tages nahtlos nützlich zu machen, hielt rund 140 preußische Meilen östlich der Redakteur des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten (ALR) fest: "Muthwillige Bettler, Landstreicher, und Müßiggänger, müssen zur Arbeit angehalten, und wenn sie dazu unbrauchbar sind, auf eine billige Art versorgt, oder als Fremde aus dem Lande geschafft werden" (ALR II 20 § 3).
Im Lauf des 19. Jahrhunderts wurde diese Gesetzgebung gegen Müßiggang immer wieder nachgebessert. Das im Kern bis heute bestehende Strafgesetzbuch (StGB) bedrohte bis 1974 mit Haft, zuletzt mit Geldstrafe bis zu 500 Mark oder Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen, "wer sich dem Spiel, Trunk oder Müßiggang dergestalt hingibt, daß er in einen Zustand geräth, in welchem zu seinem Unterhalte oder zum Unterhalte derjenigen, zu deren Ernährung er verpflichtet ist, durch Vermittelung der Behörde fremde Hülfe in Anspruch genommen werden muß" (§ 361 Nr. 5 StGB).
Müßiggang = sittliche Verwahrlosung
Diese Regelung veranlasste den Bundesgerichtshof (BGH) noch im Jahr 1952 zu einer detaillierten Auseinandersetzung mit dem Müßiggang.
Das Landgericht Wuppertal hatte eine Frau, die sich in der Nachkriegszeit mit Syphilis infizierte und 1949 ein entsprechend geschädigtes Kind zur Welt brachte, wegen Müßiggang in Tateinheit mit Entziehung der Unterhaltspflicht – der NS-Gesetzgeber regelte diese 1943 zusätzlich – verurteilt, wobei es unterstellte, dass die neben der Syphilis auch an einer chronischen Gastritis leidende Angeklagte jedenfalls leichte körperliche Arbeiten als Haushaltsangestellte hätte übernehmen können.
Der BGH hielt fest, dass hier eine Bestrafung nach § 361 Nr. 5 StGB zwar dann nicht in Frage komme, wenn die Beschränkung ihrer Arbeitsmöglichkeiten rein auf die Syphilis-Erkrankung zurückzuführen sei. Sollte aber die Arbeitslosigkeit der Frau darauf beruht haben, dass sich in Wuppertal der "allgemeine Lebenswandel" und die "sittliche Verwahrlosung" unter potenziellen Arbeitgebern herumgesprochen hatte, sei dieser "Müßiggang" durchaus nach § 361 Nr. 5 StGB strafwürdig (BGH, Urt. v. 29.01.1953, Az. 3 StR 773/52).
Viele Anlässe zur Würdigung der unbürgerlichen Arbeitsmoral
Der explizite Vorwurf der Faulheit oder des Müßiggangs durchzieht die höchst- und tatgerichtliche Rechtsprechung der 1950er bis 1970er Jahre.
Während die Gerichte in disziplinarrechtlichen Verfahren selbst gegen evident faule Beamte und Soldaten einen womöglich mangelhaften, semantisch aber erst einmal positiv unterstellten Fleiß quantifizierten, findet sich in Entscheidungen zur Lebensführung des gemeinen Volks gern die von vornherein kaum positiv skalierbare Semantik der Faulheit.
Insbesondere das restriktive Ehescheidungsrecht bot den Gattinnen und Gatten viele Anlässe, sich über den Eifer ihrer Verflossenen zu erklären – und den Juristen, diese rechtlich zu qualifizieren.
Ein Beispiel für viele gibt das BGH-Urteil vom 14. April 1965 (Az. IV ZR 125/64) zur Beweislastverteilung hinsichtlich der Eheverfehlungen.
Die Frau warf dem Mann vor, mit anderen Frauen sexuell verkehrt zu haben. Der Mann warf der Frau vor, "zank- und streitsüchtig" und dem "Müßiggang nachgegangen" zu sein, erst nachmittags aufzustehen, weder das Essen auf den Tisch gebracht zu haben noch mit den Hausarbeiten fertig gewesen zu sein.
Der BGH gab hier dem Oberlandesgericht Hamburg auf, im zweiten Durchgang näher zu prüfen, ob der Seitensprung des Mannes aus der Antriebslosigkeit der Gattin resultierte oder ob es sich umgekehrt verhielt – die Nachbarn müssten von Streitigkeiten wegen des Müßiggangs gehört haben. Auch hier lebte der Staat einmal mehr von Voraussetzungen, die er nicht selbst hervorbrachte.
Verteufelung des Müßiggangs klingt in Westdeutschland ab
Im freieren Teil Deutschlands klang die Verteufelung des Müßiggangs seit den 1970er Jahren jedenfalls im juristischen Sprachgebrauch ab.
Eine Abgrenzung vom bloßen Müßiggang verlangt z.B. die Finanzgerichtsbarkeit heute nur noch in der Frage, ob ein Au-pair-Aufenthalt im Ausland eher der Bildung oder der Freizeitgestaltung diente – beispielsweise im Urteil des Bundesfinanzhofs vom 8. September 2016 (Az. III R 27/15). Die hier vielfach verwendete Formel atmet nicht länger die Verachtung für den Müßiggänger, die im preußisch-deutschen Recht zu finden war.
Die Justiz des SED-Regimes bedrohte hingegen bis 1990 eine durch "Arbeitsscheu" bedingte "Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten" mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren. Erst 1977 wurde die Strafform der "Arbeitserziehung" aufgehoben, bis 1988 blieben Rückfalltäter mit bis zu fünf Jahren Freiheitstrafe bedroht, sollten sie sich "aus Arbeitsscheu einer geregelten Arbeit hartnäckig" entziehen (§ 249 StGB-DDR).
Ende der Abscheu vor zweckfreiem Nichtstun?
Während in der DDR bis 1989/90 die Abscheu vor dem Müßiggang Teil der Staatsdoktrin blieb, hatten sich sogar im autoritär verschrienen Westdeutschland der Adenauer-Ära die ersten Anzeichen eines Gesinnungswandels gezeigt.
Mit Urteil vom 16. Februar 1961 (Az. 1 StR 615/60) fühlte sich der BGH beispielsweise genötigt, die Strafverteidigung darüber zu belehren, dass es "kein Grundrecht auf Müßiggang und leichtes Leben" gebe. Der gewitzte Verteidiger hatte moniert, dass es gegen die Freiheit der Berufswahl und -ausübung (Artikel 12 GG) verstoße, einem Angeklagten seinen unbürgerlichen Lebenswandel strafbegründend vorzuhalten. Der BGH war pikiert, fiel aber wider Erwarten nicht mit Donnerblitz über den Anwalt her.
Gleichwohl ist die Abneigung gegen Lebenszeit, die keinem erkennbaren Zweck unterworfen zu sein scheint, offenbar nach wie vor tief in die gesellschaftliche Matrix eingebettet.
In einem schönen Stück über "Die Not des Müßiggangs" (2012) zitierte der österreichische Journalist Wolf Lotter (1962–) den Juristen Volker Kitz (1975–), der dafür plädiert, die Gesellschaft möge nicht "permanent ein schlechtes Gewissen" einreden, wenn bewusst Müßiggang gepflegt werde: "Eine echte Leistungsgesellschaft wäre ja okay – aber das ist eine reine Stressdarstellergesellschaft."
Lotters Besinnungsaufsatz deutet an, dass auch eine liberale, selbstbewusste Haltung als Bürger gegenüber dem Staat und eine an den eigenen Bedürfnissen orientierte Haltung gegenüber der Arbeit davon abhängt, Zeiten der Muße "ohne Selbstverachtung" nachzugehen. Nennen wir das vielleicht "seelische Erhebung" und verteidigen sie bei Bedarf mit dem Grundgesetz unterm Arm.
Feiertage: . In: Legal Tribune Online, 03.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38513 (abgerufen am: 06.10.2024 )
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