Faschingsjustiz: Drei Medi­ta­tionen zum Recht im Kar­neval

von Martin Rath

12.02.2012

Im Karneval kann man mehr entdecken als nur den jährlichen Angriff auf die öffentliche Ordnung der betroffenen Landesteile. Rechtshistorisch lassen sich etwa in Frankreich närrische "Moot Courts" entdecken. Und ein blutiger Juristenclown sorgt für ein Gedankenspiel über "Ausdifferenzierungen". Drei kleine Karnevalsmeditationen über Recht von Martin Rath.

Der Blick in eine juristische Datenbank fördert überwiegend unbedenkliches Material zum Karneval zutage, obwohl der jährliche Ausbruch der närrischen Gegenwelt doch ganze Landesteile lahmlegt und noch in den liberalsten Köpfen repressive Phantasien weckt. Allzu lange liegt es leider schon zurück, dass sich das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf berufen sah, "die im Volk allgemein bestehenden Begriffe von Scham, Sitte und Anstand in geschlechtlichen Dingen gegen die Angriffe einzelner zu schützen".

"Objektive Unzucht" im Sinne von § 184 entdeckte das OLG Düsseldorf laut Urteil vom 12.06.1969 (Az. 1 Ss 211/69) unter anderem in den Zeilen des Karnevalsliedes "Adelheid" mit faschingstypischen Vorgängen: "Ein Pärchen ging spazieren, mitten in der Nacht, sie tat sich noch genieren, mitten in der Nacht, und dann tat sie sich bücken, mitten in der Nacht, um Blümchen abzupflücken, mitten in der Nacht."

Meditation Nr. 1: Karnevalsjustiz ist humorfrei, praktisch, nüchtern

Nach diesem letzten Aufbäumen von juristischem Kunstverstand in Karnevalsbelangen lassen sich kaum mehr als Entscheidungen finden, die als gewöhnliche Schadens- oder Ordnungsprobleme nur wenig anders kostümiert zu jeder anderen Zeit des Jahres unter die Augen der Justizbehörden geraten könnten.

Beispiele für solche nachkarnevalistischen Aufräumarbeiten, die sich auch unter nicht-karnevalistischem Vorzeichen denken lassen, gibt etwa das OLG Koblenz zur Frage, ob sich der Halter von zwei "lammfrommen" Holzrückpferden, die bei einem Karnevalsumzug ausbrachen, sich auf das Entlastungsprivileg für Nutztiere (§ 833 S. 2 Bürgerliches Gesetzbuch) berufen kann (Urt. v. 08.05.1991, Az. 5 U 1812/90). Ebenso könnte ein Urteil des Bundesfinanzhofes (BFH) zur Absetzbarkeit von Kosten folklorefrei sein, die einem Unternehmen durch die Teilnahme von Gesellschaftern an Karnevalssitzungen entstanden waren (BFH vom 29.03.1994, Az. VIII R 7/92).

Selbst das Amtsgericht (AG) Köln, wahrlich im Auge des Orkans, mochte sich in einem einschlägigen Urteil vom 04. Februar 1997 nicht dazu bekennen, dass das Verbot des Landesimmissionsschutzgesetzes, zur Nachtzeit Lärm zu machen "trotz jahrelang entgegenstehender Übung in Köln in der Nacht von Rosenmontag zum Karnevalsdienstag" möglicherweise als beschauliche Utopie bar jeder exekutiven Relevanz gelten muss (Az. 532 OWi 183/96).

Auch in der juristischen Bloggosphäre finden sich überwiegend harmlose Hinweise. So wundert sich der Berliner Anwalt Wolf Reuter darüber, dass der rheinische Exotismus eines "Karnevalskusses" rechtlich anders gewürdigt werden könnte als andere Formen sexueller Belästigung . Sein höchst karnevalsaffiner Kollege Dieter Ferner macht sich Gedanken zum rechtskonformen Fotografieren von Narren. Ferners närrischer Sammelleidenschaft ist schließlich auch Detlev Burhoff erlegen, der sich beispielsweise der bei den Faschingsumzügen ins Volk geworfenen Süßwaren annimmt.

Meditation Nr. 2: Karnevalsrecht als Gegenwelt oder „Moot Court“

Weit drastischer als ein fehlgeworfener Schokoladenriegel beim Rosenmontagszug könnte eine rechtshistorische Geschichte das Selbstverständnis von Juristen irritieren, Teil einer Kraft zu sein, die stets das Recht will und zumindest Ordnung schafft.

In einem Beitrag über "Karnevaleske Statuten im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Frankreich" stellt die Berliner Kulturwissenschaftlerin Katja Gvozdeva eine verschwundene Welt vor, in der sich das karnevalistische Treiben und soziale Integration des juristischen Nachwuchses auf kaum mehr nachvollziehbare Weise berührten.

So gehörten Schreiber und Kanzleigehilfen des Pariser Gerichtshofs, wie ausführliche Statuten aus dem Jahr 1586 zeigen, einer karnevalistischen Korporation an, dem "Königreich Basoche". Vereinigungen dieser Art existierten vielerorts in Frankreich und orientierten äußerlich meist an kirchlichen oder Justizinstitutionen. Anders als Historiker lange glaubten, waren die Karnevalskörperschaften keine schlichte Parodie der Gerichte oder Gottesdienste. Der "König" oder "Abt" der Karnevalisten wurde vielmehr regelrecht als "Amtsträger" eingesetzt, "der zwischen den ausschweifenden Energien der Jugend und der Ordnung in der ganzen Stadtgemeinschaft vermitteln" sollte.

Neben ungezügelten Besäufnissen und umtriebiger Sexualität, konnten die karnevalistischen Veranstaltungen "auch die Form einer Gerichtsverhandlung einnehmen, cause grasse, die am Mardi-Gras stattfand und als Gegenstand sexuelle Delikte und Eheprobleme hatte." Die Regeln in Gastwirtschaften und Bordellen wurden von der Karnevalsjustiz durchgesetzt, nicht von offiziellen Justizbehörden. Gvozdeva hält für die karnevalistischen Umtriebe des Pariser Justiznachwuchses fest: "Die burlesken Gerichtsverhandlungen dienen nicht der Subversion der juristischen Prozeduren des Pariser Parlaments, sondern ermöglichen die Einübung der Jugendlichen in die Regeln der Welt der Erwachsenen, und zwar sowohl in Bezug auf die zukünftige professionelle Tätigkeit als auch auf die bevorstehende Ehe."

Man stelle sich diese frühneuzeitliche "Juristenausbildung" als eine karnevalistische Variation von "Hell’s Angels" mit staatlich eingesetzten "Moot Courts" vor. Später verlegten sich die Juristen glücklicherweise darauf, ihren nüchternen Alltag nur noch in humoristischen Satzungen und Ritualen zu parodieren.

Meditation Nr. 3: Freislers sowjetischer Kollege, ein blutiger Juristenclown

Wird von der Entstehung der modernen Justiz gesprochen geht es entweder um die Erfolge im Detail. Da heißt es dann, dass ein freundlicher Preußenkönig den Hexen seines Landes die Scheiterhaufen erspart habe und dass die Juristen das System starrer Klageformen abgeschafft und durch den modernen "Anspruch" ersetzt haben. Oder man hebt auf die "Ausdifferenzierung" des greifbaren "Rechtssystems" und von der religiös infizierten "Gerechtigkeit" ab.

Von einer Ausdifferenzierung von Humor und Ernst innerhalb des Rechts spricht man hingegen selten. Französische Jungjuristen zerren die Prostituierten ihrer Gemeinde heute nicht mehr vor ein humoristisches "Moot Court". Der Karneval ist demnach brav und die Gerichtsbarkeit ordentlich geworden.

Ein scherzhafter Umgang mit dem Recht, vor allem von Seiten der Richter, wird nicht gern gesehen. Anrüchig ist schon die Terminierung einer Familiengerichtssache auf einen 11.11. um 11.11 Uhr, wie in Bayern geschehen (dazu OLG München, Beschl. v. 10.12.1999, Az. 26 AT 107/99). Horst Sendler (1925-2006), langjähriger Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, mochte Humor allenfalls in seiner unfreiwilligen Form entdecken, beispielsweise in der berüchtigten Schachtelsatzdefinition des Begriffs "Eisenbahn" durch das Reichsgericht (NJW 1995, 847-849).

Glücklicherweise ist es ein großer Sprung von Horst Sendler zu Andrei Januarjewitsch Wyschinski (1883-1954). Wyschinski hatte im Zarenreich Rechtswissenschaften studiert und eine Universitätskarriere begonnen. Bekannt wurde er als zynischer Ankläger der "Moskauer Prozesse", in denen Stalin potenzielle politische Gegner justizförmig ermorden ließ, statt sie wie sonst üblich ohne große Umstände beseitigen zu lassen.

Als stellvertretender Außenminister der Sowjetunion war Wyschinski beim Nürnberger Kriegsverbrecherprozess zugegen und kontaminierte dieses Verfahren, das als Beginn des modernen Völkerstrafrechts gefeiert wird, mit seinem spezifischen Humor: "Ich trinke auf das Todesurteil gegen alle Angeklagten", zitierte ihn "Die Zeit" in einem Porträt (erschienen am 30.09.1948). Er toastete den Nürnberger Richtern "auf einem Bankett lächelnd zu".

Später vertrat Wyschinski die Regierung Stalins bei den Vereinten Nationen, er starb in New York. "Der Spiegel" berichtete oft über die Auftritte des UN-Gesandten, nie vergaß das Nachrichtenmagazin seine humorvolle Seite: So machte sich Wyschinski einen Spaß daraus, sein ständiges Veto gegen Entscheidungen des Sicherheitsrates als russisches "Njet" zu nuscheln und auf Nachfrage laut lachend als englisches "No, no, no!" zu wiederholen.

Unlängst ließen die Regierungen Russlands und Chinas im Weltsicherheitsrat ihr Veto gegen eine zahme Resolution erklären, mit der die blutigen Unruhen in Syrien verurteilt werden sollten. Kürzlich ordnete Außenminister Westerwelle die Prüfung bzw. Beseitigung von Diplomatenporträts in deutschen Vertretungen an.

Das führt zur letzten karnevalistischen Mediation: Ob sich wohl heute in der russischen Delegation bei den Vereinten Nationen unter den Porträtbildern früherer Gesandter noch das Porträt dieses blutigen Clowns findet?

Oder hat sich im Rechtfindungsprozess des Weltsicherheitsrats die nüchterne Abwägung völkerrechtlicher Argumente schon gegenüber dem zynischen Humor des studierten Juristen Andrei Januarjewitsch Wyschinski  "ausdifferenziert"?

Martin Rath arbeitet als freier Journalist und Lektor in Köln.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Faschingsjustiz: Drei Meditationen zum Recht im Karneval . In: Legal Tribune Online, 12.02.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5565/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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