Auch das BVerfG tut es: "Schlechterdings nicht nachvollziehbar" nannte es die Auffassung des EuGH in Sachen EZB – und nutzte damit schnöselige Fachsprache. Dabei ist das Problem menschenfeindlicher Juristentexte uralt, meint Hendrik Wieduwilt.
Da hat Karlsruhe ja etwas angerichtet: Die Richter des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) kapieren nicht, wie Geldpolitik funktioniert, und schlagen deshalb mit ihren Egos Europa kurz und klein - so sehen es manche. Doch in der schrillen Debatte droht eine sehr wesentliche Frage unterzugehen: Warum benutzte der Zweite Senat in seinem historischen Richterspruch ein schnöseliges Wort wie "schlechterdings"?
Der Bundesverfassungsrichter Prof. Dr. Peter M. Huber hat die Wortwahl gerade in der FAZ verteidigt. Mit dem Ausdruck "schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar" habe das Gericht wegen der Europafreundlichkeit des Grundgesetzes erst zur "ultra vires"-Prüfung vordringen können, sagt er. Juristendeutsch, aber von Verfassung wegen - eine so prominente und aufwändige Begründung hat es hierfür wohl noch nie gegeben. Doch das Wörtchen gibt Anlass zum Nachdenken.
"Geradezu" oder "einfach" hätte es auch getan
"Schlechterdings", das muss man sagen, wäre in einem Gastbeitrag dem Redigator zum Opfer gefallen, rote Robe hin oder her. "Veraltend", lautet bei diesem Vokabular das kühle Urteil des Dudens. "Geradezu" oder "einfach" hätten es schließlich auch getan, allerdings würde dann offenbar, dass das Wort eigentlich ziemlich überflüssig ist.
Doch Jura-Kraftausdrücke wie "schlechterdings", "vorstehend", "konstatieren" und "der Unterzeichnete" schreiben Juristen gern. "Vorstehend" kommt dabei bisweilen ohne erkennbaren Bezugspunkt aus und statt "konstatieren" schreibt manch einer "konsternieren" - da ist er dann schnell hin, der Nimbus.
Nun reagieren Juristen auf Sprachkritik meist unwirsch: Fachsprache müsse schon sein, sagen sie, und fügen hinter vorgehaltenem Aktendeckel hinzu, wer ein paar Hundert Euro in der Stunde abrechnet, dürfe nicht wie Mario Barth klingen. Das Kennzeichen von Juristendeutsch ist aber nicht, dass ein Anwalt Dinge sagt wie "culpa in contrahendo" oder "Kompetenz-Kompetenz" - sondern eben "schlechterdings" und "konstatieren". Es geht nicht um Fachsprache.
Hinter hochgestochener Sprache steckt eine Geisteshaltung
Aus Banalitätsangst altertümliche Ausdrücke zu verwenden, ist ebenfalls unbegründet: Sie lassen Menschen nicht unbedingt intelligent erscheinen, im Gegenteil: Klug wirkt, wer sich einfach auszudrücken weiß, dafür gibt es längst wissenschaftliche Belege.
Hinter der hochgestochenen Sprache steckt vielmehr eine gewisse Geisteshaltung. Das zeigt sich auch an Kleinteilen von Texten: Anführungsstriche verwenden Juristen oft wie Pinzetten, mit denen sie Ausdrücke des einfachen Volks in ihre edlen Texte heben, obwohl es "gar nichts" zu "distanzieren" "gibt". Floskeln in Anwaltskorrespondenz wie "hiermit teile ich Ihnen mit" tragen gleichfalls nichts zur Erhellung des Lesers bei, klingen aber so schön autoritär.
Diese unnötige Ausprägung von Juristendeutsch vermasselt so manch einen Gastbeitrag. Ein solcher Text muss verführen, nicht verschrecken. Der Wettbewerb um Aufmerksamkeit verschont auch Juristen nicht. Andere Zeitungsbeiträge und die Comics weiter hinten wollen auch gelesen werden, es locken zudem Twitter, Whatsapp, Netflix oder der verträumte Blick aus dem Fenster. Im Ernst: Wann haben Sie das letzte Mal fünf Minuten in die Sonne geblinzelt und gar nichts gemacht? Ist das wirklich schlechter als 120 Zeilen zum steuerlichen Querverbund?
Das Relevante zum Schluss
Unbekümmert beginnen Juristen ihre Beiträge wenig verführerisch mit historischen Herleitungen, Aktenzeichen und Abkürzungen - das brandaktuelle und spannende Urteil erwähnen sie dann im vorletzten Absatz. Als wenn Leser nichts besseres zu tun hätten, als auf nebulösen Verdacht hin in langen Beiträgen zu schmökern. Wie stark juristische Autoren auf ungeteilte Aufmerksamkeit vertrauen, zeigt sich schlimmstenfalls an Einschüben wie "Doch der Reihe nach" oder "Was ist passiert?". So betulich kann das Vorwort zum vierten Teil von "Herr der Ringe" beginnen, aber kein Text, den viele Leser realistischerweise in einem Meeting oder in der U-Bahn überfliegen.
Manche Autoren möchten mit kompliziertem Deutsch schlichte Gedanken bemänteln. Das steht wohl hinter diesem grotesken Fundstück aus der Fachliteratur: "Dem entspricht es, dass ebenso wenig gesagt werden kann, eine Erklärung, deren Nichternstlichkeit objektiv nicht zu erkennen war, könne der Nichtigkeitssanktion des § 118 nicht unterliegen." Kürzt man die Verneinungen heraus, bleibt ein eher schlichter Gedanke: "Nichtig sein kann gemäß § 118 BGB auch eine objektiv ernstzunehmende Scherzerklärung."
Juristendeutsch ist Einstellungssache
Trostreich und zugleich deprimierend: Das Problem menschenfeindlicher Juristentexte ist uralt. Der österreichische Verfassungsjurist Theo Öhlinger bezeichnet das Verhältnis von Recht und Sprache als "Zwangsehe", das Problem sei bis in die Antike zurückverfolgbar (auch sonst ist der von ihm herausgegebene Band "Recht und Sprache" sehr lesenswert).
Juristendeutsch ist also überwiegend Einstellungssache. Das gilt auch für die vielen Behörden, die aus Autoritätsgehabe noch "Augengläser", "Lichtbild" und "Ablichtung" statt "Brille", "Foto" und "Kopie" schreiben.
Wer beim Schreiben wirklich an die Leser und die Rechtsunterworfenen denkt, greift nicht zu Passiv-Konstruktionen, doppelten Verneinungen und Ausdrücken aus dem vorigen Jahrhundert. Wer es aber dennoch tut, denkt womöglich nicht so sehr an den Leser, sondern schlechterdings einfach an sich selbst.
Fachsprache: . In: Legal Tribune Online, 16.05.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41627 (abgerufen am: 02.12.2024 )
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