Der Star-Trek-Darsteller Patrick Stewart macht sich dieser Tage in einem Videoclip über die Haltung seiner Regierung zur EMRK lustig. Doch hat die ihrerseits komische Seiten und Auswüchse angenommen, wie die Geschichte zeigt.
Der ehedem kommandierende Offizier des Raumschiffs Enterprise spielt in dem viralen Video einen konservativen Politiker, der im Kreis zunächst folgsamer Parteifreunde pathetisch fragt, was die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) "je für uns getan" habe.
Am Ende erfährt der von Stewart gespielte Politiker, dass es die Briten selbst gewesen seien, die nach 1945 Wesentliches dazu geleistet hätten, die EMRK zu etablieren.
Es mag auf den ersten Blick etwas unfein sein, die Pointe zu verraten. Doch geht der Witz noch ein gutes Stück weiter als es das kleine Video darstellt.
Ungeliebte Entscheidungen aus Straßburg
Ein mitunter skurriles Verhältnis zu Straßburg pflegten britische Politiker schon lange bevor sie sich in den 1970er Jahren darüber empören konnten, dass der Prügelstrafe an den Schulen des Königreichs mit Hilfe des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ein Ende bereitet werden könnte. Oder darüber, dass der britische Parlamentarismus sein hohes Ansehen in der Welt dadurch einbüßen musste, weil Strafgefangenen nicht mehr pauschal das Wahlrecht entzogen werden durfte. Die Richter im fernen Elsass hätten sich wohl nur noch dann unbeliebter machen können, hätten sie der britischen Upper-Class auch noch die Fuchsjagd verboten.
In einem 2001 publizierten Aufsatz erklärt der britische Rechtshistoriker A.W.B. Simpson (1931–2011) das im Stewart-Video karikierte Engagement der britischen Regierung während der Gründerjahre der EMRK mit dem Stillstand der Menschenrechtspolitik innerhalb der Vereinten Nationen. Bald nach der rechtlich eher unverbindlichen Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 hätten die Briten sich auf das europäische Feld verlegt, um weiter an diesem Renomee verheißenden rechtspolitischen Prozess teilzuhaben.
Briten verbreiten EMRK-Geltung
Während die beiden anderen Supermächte, USA und Sowjetunion, aus machtpolitischen Gründen die Bindung an internationale Menschenrechtsnormen zu vermeiden suchten, band sich das Vereinigte Königreich weitgehend unbedacht im europäischen Rahmen.
Durch Schlamperei britischer Uperclass-Politiker, die Simpson zudem als Amateure mit Oxford- beziehungsweise Cambridge-Abschluss beschreibt, wurde von der Möglichkeit großzügig Gebrauch gemacht, abhängige Gebiete nach Artikel 63 der EMRK in ihren Geltungsbereich einzubeziehen.
Mit einem am 23. Oktober 1953 beim Europarat hinterlegten Dokument erklärte die Regierung ihrer Majestät, dass die EMRK nicht nur für so naheliegende Gebiete wie die Inseln Man, Jersey oder Guernsey anwendbar sei. Unter dem Schutz der Konvention standen von nun an auch die Menschen in Britisch-Somaliland und an der Goldküste, dem heutigen Ghana, sowie diejenigen im südafrikanischen Swasiland oder in Singapur.
Der fernste Punkt, der jemals unter dem Schutz der EMRK stand, findet sich dank britischer Herrschaftskunst knapp 17.000 Kilometer von Straßburg entfernt: Auch für das Königreich Tonga, ein britisches Protektorat in der Südsee, wurde die Anwendbarkeit der EMRK erklärt (PDF).
Imperialistische Herrschaft unter EMRK-Geltung?
In London durfte man zunächst davon ausgehen, dass sich das wirtschaftlich bankrotte britische Weltreich trotzdem nicht mit vorlauten Menschenrechtsanwälten in den afrikanischen, asiatischen oder pazifischen Herrschaftsgebieten würde beschäftigen müssen.
Dabei wurden die althergebrachten Brutalitäten imperialer Herrschaft durchaus justizförmig inszeniert. Im Zuge des sogenannten Mau-Mau-Aufstandes, einer vor allem von Angehörigen der Kikuyu-Ethnie getragenen Rebellion, verhängten die "Special Emergency Assize Courts" der britischen Machthaber in Kenia binnen dreieinhalb Jahren über 1.500 Todesurteile, von denen zwei Drittel unverzüglich und ohne Berufungsmöglichkeit durch öffentliches Erhängen vollstreckt wurden.
Kenia aber war EMRK-Gebiet. Dass kein afrikanischer Untertan von Elizabeth II. den Weg nach Straßburg fand, war einem Verhandlungserfolg ihrer Majestät Regierung zu verdanken: In der Londoner Whitehall hatte man sich gegen eine vorrangige Kompetenz eines Gerichtshofs ausgesprochen, der dann neben dem primären Entscheidungsorgan – der Europäischen Kommission für Menschenrechte – tatsächlich rund 20 Jahre vergleichsweise bedeutungslos blieb. Auch den Weg zur Individualbeschwerde beim EGMR öffnete das Vereinigte Königreich erst, als es sein Empire 1965 weitgehend verloren hatte.
Der Londoner Bürgermeister Boris Johnson erkannte diese Zusammenhänge unlängst, als er US-Präsident Obama wegen dessen positiver Einstellung zu den europäischen Institutionen einen Halb-Kenianer mit Abscheu gegenüber dem Empire nannte. Um die Zusammenhänge so zu sehen, muss man schon die sensible Seele eines britischen Poltikers haben.
Martin Rath, Geschichte der Europäischen Menschenrechtskonvention: . In: Legal Tribune Online, 05.05.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19305 (abgerufen am: 12.10.2024 )
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