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Eheverbote während der Nazizeit: Der lange Arm des dritten Reichs

von Martin Rath

05.03.2023

Übersichtstafel zum rassistischen Blutzschutzgesetz

An das rassistische Blutschutzgesetz der Nazis sahen sich einige ausländische Staaten gebunden – und untersagten Flüchtlingen ebenfalls die Heirat. Foto: Wikimedia Commons, (c) gemeinfrei; Bildquelle, Zuschnitt und Skalierung durch LTO

Die rassistischen Nürnberger Gesetze von 1935 wurden teilweise auch im Ausland befolgt. Wer erfolgreich vor den Nazis flüchtete, durfte im Aufnahmestaat deshalb noch lange nicht wie erhofft heiraten. 

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Aus der Lebensgeschichte des Juristen, Historikers und Journalisten Sebastian Haffner (1907–1999) ist ein romantisch anmutendes Detail bekannt. Als Raimund Pretzel in Berlin aufgewachsen - den Namen Haffner nahm er zum Schutz seiner Verwandten in Deutschland an - heiratete er am 1. September 1938 seine Verlobte Erika Schmidt-Landy (1899–1969) im Vereinigten Königreich und bat dort um Asyl. 

Der gemeinsame Sohn Oliver Pretzel (1938–) war, wie man seinerzeit sagte, “auf dem Weg”, eine Heirat in Deutschland den Verlobten seit 1935 aber untersagt, denn § 1 Abs. 1 des "Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" verbot die Eheschließung "zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes". Erika Schmidt-Landy galt als Jüdin. 

Nicht nur die die junge Familie Pretzel suchte den Weg in das Vereinigte Königreich, auch der in Köln aufgewachsene Mediziner Paul Glees (1909–1999), seit 1961 Professor für Neuroanatomie und Embryologie in Göttingen, heiratete seine jüdische Verlobte Eva Löb (1909–2006), eine in Bonn ausgebildete Zahnärztin, in Großbritannien.  

Wer zur Flucht- und Exilgeschichte der Familie Glees liest, stutzt aber womöglich an einer Stelle: Die Verlobten hatten bereits in den Niederlanden eine erste Zuflucht vor dem NS-Staat gefunden. Eine Heirat war jedoch erst in Großbritannien möglich, weil die Niederlande sich an das Eheverbot durch das sogenannte "Blutschutzgesetz" gebunden sahen. 

Beachtung der Nürnberger Gesetze im Ausland 

Nach dem Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze gingen die europäischen Nachbarländer in unterschiedlicher Weise mit dem Eheverbot um, wenn deutsche Staatsangehörige vor ihren Behörden die Ehe eingehen wollten und die rassistische Qualifikation eines der Verlobten zutraf. 

Eine Gruppe von Ländern wendete das sogenannte Domizilprinzip an, beurteilte die Ehefähigkeit der Verlobten damit nach dem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort zur Zeit der Heirat. Zwischen jüdischen und nichtjüdischen Deutschen war damit die Ehe neben dem Vereinigten Königreich auch in Bulgarien, Dänemark, Island, Norwegen, Lettland, Litauen, in der Sowjetunion, den USA und der Mehrzahl der südamerikanischen Staaten möglich. 

Andere Staaten beurteilten die Ehefähigkeit nach dem Staatsangehörigkeitsprinzip, beachteten also grundsätzlich das Verbot des sogenannten "Blutschutzgesetzes". Zu diesen Ländern zählten unter anderem Belgien, Griechenland, Österreich – bis es 1937 annektiert wurde – und die Tschechoslowakei. 

Ebenfalls nach dem Staatsangehörigkeitsprinzip – aber nicht aus eigener Hoheit, sondern durch völkerrechtliche Verpflichtung – beachteten das deutsche Recht neben den Niederlanden auch die Freie Stadt Danzig, Italien, Luxemburg, Polen, Schweden und die Schweiz. 

Während sich jene Staaten, die das Staatsangehörigkeitsprinzip aus eigener Hoheit beachteten, über das deutsche Eheverbot wegen "jüdischen Blutes" hinwegsetzen mochten, weil es dem Ordre public widersprach – also grundlegenden Wertvorstellungen der eigenen Rechts- und Gesellschaftsordnung – sahen sich etwa die Niederlande oder Schweden völkerrechtlich verpflichtet, die deutsche Rassengesetzgebung zu beachten.  

Die Grundlage für die völkerrechtliche Selbstbindung ergab sich nach dieser Position aus Artikel 1 des Haager Abkommens zur Regelung des Geltungsbereichs der Gesetze auf dem Gebiete der Eheschließung vom 12. Juni 1902: "Das Recht zur Eingehung der Ehe bestimmt sich in Ansehung eines jeden der Verlobten nach dem Gesetze des Staates, dem er angehört (Gesetz des Heimatstaats), soweit nicht eine Vorschrift dieses Gesetzes ausdrücklich auf ein anderes Gesetz verweist." 

Verteidigung der deutschen Unwertordnung im Ausland 

Ein bis heute bekannter, von manchen verehrter Vertreter der deutschen Rechtswissenschaft warb wenige Wochen nach Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze vom 15. September 1935 bereits gegenüber den Delegierten der renommierten "International Law Association" dafür, das Eheverbot der neuen deutschen Rassengesetzgebung auch auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts (IPR) zu beachten. 

In seinem Vortrag, gehalten auf einer Tagung der "Association" in Berlin, trug er vor, dass das Haager Abkommen aus dem Jahr 1902 die Staaten daran hindern wolle, sich bei ausländischen Verlobten auf den Ordre public zu stützen. 

Es gelte, "die Berufung auf den ordre public, die im international-privatrechtlichen Zusammenwirken als störend empfunden wird, möglichst einzuschränken. Nach Artikel 3 der Konvention darf der Vorbehalt des ordre public ausschließlich gegenüber religiös motivierten Ehehindernissen oder Eheverboten geltend gemacht werden. Daraus folgt e contrario, daß in den Vertragsstaaten dieser Konvention gegenüber rassisch oder biologisch, eugenisch oder sonstwie begründeten Eheverboten, also auch gegenüber der nationalsozialistischen Gesetzgebung, eine Berufung auf den ordre public unzulässig ist." Ausländische Standesbeamte seien, so der Referent, dazu verpflichtet, "das Aufgebot und die Eheschließung abzulehnen". 

Der Referent hieß Carl Schmitt (1888–1985). Und weil eine Sache bei diesem Juristen immer noch eine Stufe übler ausfiel als bei vielen Zunft- und Zeitgenossen: Er kannte sich selbst mit religiös motivierten Eheverboten aus. Nach der zivilrechtlichen Annullierung seiner ersten Ehe mit der Hochstaplerin Pawla Dorotić (1883–1968) hatte Schmitt erneut – zivil – geheiratet und lebte daher nach katholischem Eherecht in unzulässiger Doppelehe. Er selbst blieb damit von den Sakramenten seiner Kirche ausgeschlossen.  

Schwedische Staatskirche musste Vorgaben des NS-Rechts befolgen 

Im Fall Schwedens – gebunden durch das Haager Abkommen von 1902 – kam zu der beschriebenen misslichen IPR-Situation noch eine Besonderheit hinzu. 

Bis in die jüngere Vergangenheit kannten Dänemark, Norwegen und Schweden eine derart enge Verbindung des Staates der jeweiligen evangelisch-lutherischen Kirche, dass jeder Freund säkularer Verhältnisse vor Entsetzen drei Kreuze schlagen musste. In Schweden wurde etwa der Status der evangelisch-lutherischen Kultusorganisation als Staatskirche erst im Jahr 2000 beendet. Bis 1969 konnte in Schweden nur heiraten, dessen Aufgebot im evangelischen Hauptgottesdienst bekannt gemacht worden war. Noch bis 1991 oblag der schwedischen Kirche allein die Prüfung von etwaigen Ehehindernissen. Damit war in den 1930er Jahren das moralische Problem, nicht Gott und dem Menschen zu dienen, sondern einer in Berlin und Nürnberg erdachten Teufelei, geradewegs in die Hände der skandinavischen Staatskirche gelegt. 

Tatsächlich engagierte sich Albert Lysander (1875–1956), lutherischer Pfarrer in der Sankt-Petri-Kirche in Malmö, ein Jahr nach Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze im Fall eines deutschen Gastarbeiters in Schweden. Ihm war dort auf der Grundlage des 1904 in Schweden ratifizierten Abkommens die Ehe mit seiner Verlobten jüdischer Herkunft verweigert worden. 

Angesichts ihres Bemühens, dem schwedischen Staat nicht zur Last zu fallen, keinem schwedischen Mitbewerber die Aussicht auf einen Arbeitsplatz zu nehmen, sei – so erzählte Lysander – den beiden jungen Menschen aus Deutschland kaum zuzumuten, fünf bis sieben Jahre zu warten, bis sie vielleicht die schwedische Staatsangehörigkeit erworben haben würden. 

Lysander schrieb - aus der Perspektive des Jahres 1936 - : "Es ist fraglich, ob sie [die Verlobte] hier im Lande für so lange Zeit eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten würde. Andererseits hat man mir versichert – wie unglaublich das auch scheinen mag – dass sie eine Einsperrung in einem 'Konzentrationslager' oder sogar Strafarbeit zu befürchten hätte, wenn sie nach Deutschland zurückkehren würde. Das Gerücht von ihren Heiratsplänen in Schweden kann in ihre Heimatgegend vorgedrungen sein, was zu einer Anzeige gegen sie wegen des Versuchs der Verleitung eines Ariers zur 'Rassenschande' – widerlich ist es mir, dieses Wort zu benutzen – führen kann." 

Heiraten konnten die Verlobten schließlich in Kopenhagen, Dänemark war in mehr als einer Beziehung bei der Anwendung des Domizilprinzips konsequent. 1946 wurden sie schwedische Staatsbürger, erst 1947 verabschiedete sich der schwedische Gesetzgeber von der Selbstbindung an obskure ausländische Ehehindernisse. 

Hinweise: Den instruktiven Aufsatz zur "Anwendung der Nürnberger Gesetze in der Schwedischen Kirche 1935–1945" hat Anders Jarlert in der Zeitschrift "Kirchliche Zeitgeschichte" 2001, 159–174 veröffentlicht. Wichtig für die spätere Rechtsentwicklung im Verhältnis des eherechtlichen IPR und der Grundrechte: Bundesverfassungsgericht, Beschl. v. 05.05.1971, Az. 1 BvR 636/68.  

Autor: Martin Rath arbeitet als freier Lektor in Ohligs. Der Verfasser dankt Herrn Ernst Marcus, Geheimer Justizrat in Essen/Ruhr, für einen Hinweis auf eine der Familien. 

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Eheverbote während der Nazizeit: . In: Legal Tribune Online, 05.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51215 (abgerufen am: 17.11.2025 )

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