Das Zölibat galt früher auch für englische Universitäts-Gelehrte. Wer heiratete, verlor seinen akademischen Status. Nur die Juristen wussten Auswege aus dem Dilemma oder kauften sich kurzerhand mit einem guten Tropfen frei. Am Ende war es zwar ein Deutscher, der das Liebesleben englischer Akademiker nach vorne brachte - das letzte Zölibatsgefecht wurde aber vor deutschen Gerichten ausgetragen.
Es zählt zu den schwer fassbaren Umständen der Rechtsgeschichte, dass es ein Deutscher war, dessen Liebesleben englischen Akademikern zur Heirat zu verhalf, genauer gesagt: zu einer Heirat, ohne ihre akademischen Pfründe zu verlieren. Am Anfang stand die gute Presse, die Häuslichkeit und Liebesehe in England erfuhren, nachdem die junge Königin Victoria von Großbritannien und Irland (1819-1901) im Februar 1840 ihren Albert von Sachsen-Coburg und Gotha (1819-1861) zum Mann genommen hatte.
Albert engagierte sich nicht nur intellektuell in Cambridge, der formal älteren der beiden englischen Universitäten. Das königliche Paar stattete dem Städtchen 1843 auch einen Besuch ab, mit dem den Gelehrten das populäre Bild jener romantischen Ehe vorgeführt wurde, die sie selbst nicht führen sollten. Denn das Rechtsverhältnis als "Fellow", also als bezahlter Dozent und Betreuer mit grundsätzlich lebenslangem Status an der Universität, war in Oxford und Cambridge an die Voraussetzung der Ehelosigkeit der gelehrten Männer geknüpft. Natürlich hatten die Juristen unter den Akademikern längst ein Schlupfloch entdeckt, doch zunächst zum Zölibat der Geistes- und Naturwissenschaftler.
William the Conquerer schnürt Keuschheitsgürtel
Als der Normannenfürst Wilhelm der Eroberer im Jahr 1066 das tat, was wir aus dem Englischunterricht von ihm wissen, also England eroberte, trug er im Marschgepäck nicht nur das Französischwörterbuch mit sich, dem die englische Sprache ihre spätere Doppelstruktur aus germanischen und romanischen Elementen verdankt. Im Tross der Normannen reiste auch jene römisch-katholische Geistlichkeit ein, die den Engländern die Segnungen der Zivilisation brachte: Urkundenwesen und kanonisches Recht, Kompetenz in der Staatverwaltung und Diplomatie – also Dinge, die mancher Engländer bis heute für ausländische Verschwörungen hält.
Die Universitäten von Oxford und Cambridge entstanden mit päpstlichem Segen, um das entsprechende Personal auszubilden. Und weil man nah am Klerus gebaut war, wurden die Universitäten mit der Sozialstruktur eines Klosters ausgestattet. Der Tagesverlauf mit Gebeten, gemeinsamen Mahlzeiten und dem kasernierten Lebensstil zählte ebenso hierzu wie die Zugehörigkeit der akademischen Lehrerschaft zum Klerus.
Die berühmten Colleges von Oxford und Cambridge finanzierten sich nahezu ausschließlich aus Stiftungen, die dem kirchlichen Pfründewesen glichen. Das war in den Zeiten, bevor Drittmittel in Hochleistungslabors und karibischen Ärztekongressen verbrannt wurden. Wer, ausgewiesen durch intellektuelle Leistung und mehr noch festen Glauben an die wahre Lehre, für würdig befunden wurde, zum akademischen Gefolgsmann eines der klosterähnlichen Kollegien berufen zu werden, nahm die Pflicht auf sich, zölibatär zu leben. Dafür gab es lebenslange Alimentation aus der Pfründe.
Juristische Trinklust vermittelt Verehelichungsrecht
Die englische Historikerin Bridget Duckenfield, deren Dissertation "Changes to the celibacy rules at Oxford and Cambridge universities" wir diese Auskünfte verdanken, zeichnet ein sehr klösterlich-talibaneskes Bild vom alten Oxford und Cambridge: Abgesehen von Wäscherinnen, für deren Aufgaben männlicher Ersatz nicht zu finden war, sollten die Universitäten auch mit Blick aufs technische Personal eine rein männliche Veranstaltung bleiben. Mittelalterliche Studenten belegten zu dritt ein Bett, die Fellows lebten teils mit ihren Schülern auf einem Zimmer. Ausmalen möchte man sich dieses Bild nicht unbedingt.
Die insoweit bedrängten Verhältnisse lockerten sich zwar über die Jahrhunderte, doch der Zölibat überlebte sogar die Reformation unter Heinrich VIII. und seinen Nachfolgern. Weil die ursprünglichen Stiftungsvorschriften ihn vorsahen, man auf die Förmlichkeit von Rechtstiteln weitaus mehr hielt als heute und die jeweils zugeteilten Pfründe wirtschaftlich nur zum Unterhalt einer Person genügten, lag es im Interesse von Krone und Parlament – die nun die Oberaufsicht über die beiden Universitäten von der Papstkirche übernommen hatten –, an der akademischen Ehelosigkeit nichts zu ändern.
Die Juristen, wer sonst, entgingen dieser Zwangslage. Denn durch das königliche Verbot, sich mit dem kanonischen Recht aus papistischer Quelle zu befassen, löste sich ihre Ausbildung weiter als bisher von den Universitäten und wanderte an die Londoner Anwaltszünfte ab. Soweit man in diesen heute so berühmten Innungen symbolisch am Ehelosigkeitspostulat festhielt, erlaubten sich die Herren Anwälte, ihre Kollegen bei Inanspruchnahme des Sonderrechts der Heirat einfach per "Strafzahlung" in Form von Wein auszuzahlen.
Ende mittelalterlichen Rechts in England
Das Ende des "Fellow"-Zölibats in Oxford und Cambridge ist der Stoff einer jener unglaublich zähen Reformgeschichten Großbritanniens im 19. Jahrhundert. Das Land war ökonomisch und politisch eine Weltmacht, institutionell vielfach aber im Mittelalter stehengeblieben. Das Amt des Universitätskanzlers in Oxford und Cambridge umfasste, so Duckenfield, beispielsweise noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts die Rechtsgewalt, auf dem Campus angetroffene Prostituierte zu inhaftieren oder an den Pranger zu stellen. Dabei war das Delikt in Zeiten viktorianischer Diskretion offenbar deutlich häufiger anzutreffen als seine Sanktion. Das britische Rechtswesen galt, insbesondere nach den deutschen Reichsjustizgesetzen von 1878, als derart rückständig, dass sich etwa der Krimi-Autor und Spiritist Arthur Conan Doyle über Justizskandale empörte.
Möglich wurden Lockerungen der Zölibatsregel, weil anderenorts im britischen Reich Hochschulen entstanden, die für ihr Personal – wen wundert es – attraktiver waren als das doppelmoralische Oxbridge und weil die Satzungsgewalt, die entsprechenden Statuten zu ändern, peu à peu auf die Organe der Hochschulen überging. Dass dies die Freiheit zur Ehe nicht beschleunigte, liegt nahe. Akademische Selbstverwaltung ist kein D-Zug und so lagen zwischen dem romantisch stilisierten Cambridge-Besuch des Königspaars, 1843, und dem ersten alimentierten und verheirateten Fellow, 1871, nicht weniger als 28 Jahre.
Martin Rath, Rechtsprobleme des Zölibats: . In: Legal Tribune Online, 15.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14951 (abgerufen am: 14.12.2024 )
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