Recht im deutschen Kolonialreich: Nach­hal­tige Gummi-Wirt­schaft, Rega­li­en­recht und Prü­gel­strafe

von Martin Rath

05.01.2025

Mit dem 5. Januar 1900 begann im deutschen Kolonialstaat Kamerun eine großflächige Aneignung von sog. herrenlosem Land, über die das Reichsgericht zwölf Jahre später urteilte. Das Kolonialrecht hatte mal grausame, mal groteske Züge.

Auf Betreiben namentlich eines Fürsten zu Hohenlohe-Oehringen, der einer zwar hochadligen, aber auch in modernen Unternehmen der dramatisch expandierenden deutschen Volkswirtschaft engagierten Familie angehörte, wurde im Jahr 1899 in Berlin die "Gesellschaft Nordwest-Kamerun" gegründet. Ihr Grundkapital belief sich auf beachtliche vier Millionen Mark, verteilt auf 10.000 Anteilsscheine.

Einer börsennotierten Aktiengesellschaft ähnlich galt die sog. Kolonialgesellschaft als Rechtsform eigenen Typs – man erwartete davon, unter den sozialen und rechtlichen Verhältnissen in den Kolonien wirtschaftlich flexibler handeln zu können, wobei die staatliche Aufsicht die Kontrollfunktionen eines aufmerksamen Kapitalmarkts kompensieren sollte.

Eine gewisse Familienähnlichkeit zur modernen PPP sollte diese Gesellschaft auch in ihrem rechtlichen und wirtschaftlichen Schicksal entwickeln.

Privatisierung von Gewinnen, nicht der Kosten staatlicher Aufgaben

Nach einer Vereinbarung mit der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts in Berlin vom 31. Juli 1899 erteilte der deutsche Gouverneur im Kamerun, Jesko von Puttkammer (1855–1917), der Gesellschaft am 5. Januar 1900 die Genehmigung, in ihrem Konzessionsgebiet vorläufig als herrenlos verstandenes Land in ihren Besitz zu nehmen.

Insgesamt sollte die Gesellschaft schließlich rund 40.000 Quadratkilometer Land als ihr "verliehenes" Eigentum verstehen – eine Fläche, unwesentlich kleiner als die Schweiz, die allerdings kaum erschlossen und relativ dünn besiedelt war.  

Die mit dem Auswärtigen Amt ausgehandelte Konzessionsvereinbarung sah vor, dass die Kolonialgesellschaft im zugewiesenen geografischen Raum unter anderem Straßen, Eisenbahnen und Dampfschiffverbindungen schaffen sollte.

Diesen Pflichten kam die Kolonialgesellschaft "Nordwest-Kamerun" jedoch nicht oder nur unzureichend nach. Das Berliner Kolonialamt trat schließlich im September 1910 von der Vereinbarung zurück, der Gouverneur im Kamerun erklärte am 4. Januar 1911 die Konzession für erloschen und widerrief die Ermächtigung zur Landnahme vom 5. Januar 1900.

Die "Gesellschaft Nordwest-Kamerun" klagte auf die Feststellung, dass der Rücktritt von der Vereinbarung unwirksam sei, hilfsweise auf Zahlung von einer Million Mark zuzüglich vier Prozent Zinsen ab Zustellung der Klage.

Das Landgericht, das Kammergericht zu Berlin, schließlich das Reichsgericht in Leipzig setzten sich daraufhin mit der Rechtsnatur der sogenannten Landkonzessionen auseinander.

"Landkonzessionen" im Nebel preußischen und neueren deutschen Rechts

Während das Landgericht durch Zwischenurteil festgestellt hatte, dass der Zivilrechtsweg zulässig sei, erklärte das Kammergericht diesen Rechtsweg für ausgeschlossen, weil es sich bei Erteilung und Widerruf der Konzession um öffentlich-rechtliche Akte gehandelt habe.

Das Reichsgericht entschied mit Urteil vom 1. Juli 1912 (Az. V 112/12), dass das Deutsche Reich für das "Kronland" in den deutschen sog. Schutzgebieten noch kein Eigentum herrenlosen Flächen geregelt habe, sondern ein "ausschließliches Aneignungsrecht, ein Regal".

In der heutigen deutschen Rechtsordnung dürfte auch vielen Juristen nur das "Münzregal" bekannt sein, also das Vorrecht der Regierung, auf ihre Rechnung Münzen prägen und ausgeben zu lassen. Im Jahr 1912 waren die "Regalien" jedoch noch ein weithin geläufiges Rechtsinstitut.

Während die eigentlichen Herrschaftsrechte, etwa die Hoheit der Justiz, als "iura sublimia" zu den unveräußerlichen Regalien zählten, ordnete das Reichsgericht das kolonialstaatliche Aneignungsrecht über herrenloses Land als "niederes", "nutzbares" Regal ein, das mit Blick auf die von ihm vermittelten subjektiven Rechte zivilrechtlich zu verhandeln sei – ähnlich dem Aneignungsrecht an Fischen, die aus öffentlichen Flüssen in Preußen geangelt wurden.

Das Reichsgericht deutete an, dass selbst dann, wenn ein Privileg, das ein Privatmann aus einem hoheitlichen Regal zugewiesen erhalten hatte, wegen "groben Missbrauchs" eingezogen werden sollte, nach dem Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 ein Richter des zivilen Rechtswegs zu entscheiden habe.

Kurz gefasst: Die Kolonialgesellschaften konnten im Zweifel vor den ordentlichen Gerichten prozessieren. Ein Anspruch auf Schadensersatz, sollte in wohlerworbene Rechte eingegriffen worden sein, kam in Betracht.

Eine abschließende Regelung über die rund 40.000 Quadratkilometer der "Gesellschaft Nordwest-Kamerun" war jedoch noch nicht gefunden, als im August 1914 der Erste Weltkrieg begann. Das sogenannte Schutzgebiet Kamerun ging mit dem Versailler Friedensvertrag von 1919 verloren, die Sache selbst wurde – soweit erkennbar – auch nicht weiter vor Gericht ausgetragen.

Blick in die Gesetzessammlung zum Kolonialrecht von Kamerun

Der Blick ins Gesetz erhöht nicht nur die Rechtserkenntnis, sondern gibt im Fall des Kolonialrechts auch einige Aufschlüsse über wirtschaftliche und soziale Verhältnisse in diesem Kolonialstaat. Einige wenige Beispiele sollen genügen:

Mit der "Verordnung des Gouverneurs von Kamerun, betreffend Verbot der Ausfuhr von und des Handels mit Elefantenzähnen unter fünf Kilogramm" vom 26. Oktober 1906 wurden "Nichteingeborene" mit Geldstrafe bis zu 150 Mark, im Wiederholungsfalle bis 10.000 Mark bedroht, wenn sie Elefantenzähne unter fünf Kilogramm über die Grenzen des Schutzgebiets Kamerun oder sonst in den Handel brachten. "Eingeborenen" drohte hingegen eine Bestrafung nach der "Verfügung des Reichskanzlers vom 22. April 1896", von der hier später noch ausführlich zu sprechen sein wird.

Verwendung fand das Material seinerzeit im nachgerade industriellen Umfang unter anderem für Billardkugeln, Spielwürfel oder Klaviertasten – das Mindestgewicht sollte offenbar zur nachhaltigen Bewirtschaftung des Elefantenbestands beitragen.

Deutlich mehr legislative Beachtung erhielt jedoch der Naturkautschuk, weil Gummi als Isoliermaterial in der beginnenden Elektrifizierung der westlichen Gesellschaften sowie in der Herstellung von Reifen und anderen flexiblen pneumatischen Schläuchen hoch begehrt war. Aus dem Kamerun exportiert wurden im Spitzenjahr 1913 knapp 3.000 Tonnen.

Entsprechend einer Verordnung des Gouverneurs vom 20. Juni 1906 war eine Ausfuhr von Gummi nur an einigen wenigen Plätzen zulässig. Dabei fiel ein Ausfuhrzoll von beachtlichen 40 Pfennig je Kilogramm an.

Brockhaus Konversations-Lexikon, 1902, eigenhändiger Scan M. Rath

Nachhaltigkeit in der Nutzung dieser Ressource verfolgte die "Verordnung des Gouverneurs von Kamerun, betreffend die Bekämpfung des Gummiraubbaus". Sie untersagte, "mutwillig oder lediglich in der Absicht, Gummi zu gewinnen, einen Gummibaum umzuschlagen oder derartig anzuzapfen, daß der Baum eingeht oder in seinem Wachstum dauernd geschädigt wird".

Ein Anzapfen der Gehölze unter einer Höhe von weniger als einem Meter über dem Erdboden war ebenso verboten wie die Gummigewinnung in Bezirken "welche das Gouvernement durch öffentliche Bekanntmachung wegen Erschöpfung … der Gummibestände als gesperrt bezeichnet".

"Nichteingeborene" bedrohte die Gummiraubbaubekämpfungsverordnung mit Gefängnis bis zu drei Monaten oder Geldstrafe bis zu 10.000 Mark. Für "Eingeborene" wurde wiederum auf die Verordnung des Reichskanzlers vom 22. April 1896 verwiesen.

Neben solchen wirtschaftlich relevanten Regelungen findet sich auch manche seltsam überambitionierte Vorschrift. Eine Führerschein- und Kennzeichenpflicht führte etwa die "Verordnung des Gouverneurs von Kamerun, betreffend den Verkehr mit Fahr- und Motorrädern innerhalb des Weichbildes von Duala" ein, die zudem übermäßig schnelles Fahren verbot und vorgab, dass zwar stets vor Straßenkreuzungen zu hupen oder zu klingeln, jedoch "(z)weckloses oder belästigendes Signalgeben" zu unterlassen sei.

Mehrere Verordnungen widmen sich, eine kolonialstaatliche Tradition seit dem 17. Jahrhundert, der Ausgabe und Aufbewahrung von Schusswaffen, die den "Eingeborenen" möglichst unzugänglich bleiben sollten.

Teils schamhafte Publikationspraxis kolonialrechtlicher Literatur

Bei der Durchsicht gängiger kolonialrechtlicher Sammelwerke fällt auf, dass die bereits erwähnte "Verfügung des Reichskanzlers wegen Ausübung der Strafgerichtsbarkeit und der Disziplinargewalt gegenüber den Eingeborenen in den deutschen Schutzgebieten von Ostafrika, Kamerun und Togo" vom 22. April 1896 in der Regel nicht abgedruckt wurde – es bleibt meist beim Verweis auf das "Deutsche Kolonialblatt" (1896, S. 241–243).

Auffällig ist das, weil beispielsweise gleichzeitig absurd deutsch wirkende Vorschriften dokumentiert wurden, die etwa detailliert die Entschädigung der dienstlichen Nutzung von privaten Fahrrädern durch Angehörige der Kolonialverwaltung von Togo regelten.

Ein Blick in die Verordnung – unterzeichnet von Reichskanzler Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst (1819–1901) – führt aber in eine Welt, in der Prinzipien des liberalen Rechtstaates, die in Deutschland selbst doch einigermaßen akzeptiert waren, negiert wurden:

"§ 2. Die zulässigen Strafen sind: Körperliche Züchtigung (Prügelstrafe, Ruthenstrafe), Geldstrafen, Gefängniß mit Zwangsarbeit, Kettenhaft, Todesstrafe.

§ 3. Gegen Araber und Inder ist die Anwendung körperlicher Züchtigung als Strafmittel ausgeschlossen.

§ 4. Gegen eine Frauensperson irgend welchen Alters darf auf Prügel- oder Ruthenstrafe nicht erkannt werden.

§ 5. Gegen eine männliche Person unter 16 Jahren darf nur auf Ruthenstrafe erkannt werden.

§ 6. Die Vollstreckung der Prügelstrafe erfolgt mit einem von dem Gouverneur (Landeshauptmann) genehmigten Züchtigungsinstrument, bei Vollstreckung der Ruthenstrafe mit einer leichten Ruthe oder Gerte.

Das auf Prügel- oder Ruthenstrafe lautende Urteil kann auf einmaligen oder zweimaligen Vollzug ergehen.

Bei jedem Vollzug der Prügelstrafe darf die Zahl von 25 Schlägen, bei dem Vollzug der Ruthenstrafe die Zahl von 20 Schlägen nicht überschritten werden. Der zweite Vollzug darf nicht vor Ablauf von zwei Wochen erfolgen."

Gemäß § 1 der Verordnung lag die ausschließliche Zuständigkeit beim Gouverneur und nachgeordneten Beamten, nicht etwa bei einem Gericht. Letztlich blieben auch die Verhängung der Todesstrafe und ihr Vollzug bei deutschen Expeditionen ins Landesinnere oder bei küstenfernen Verwaltungseinheiten den jeweiligen Beamten überlassen, die über die Urteilsgründe lediglich ein Protokoll zu fertigen und dem Gouverneur zu berichten hatten.

Nach § 17 konnten "Eingeborene", die in einem Dienst- oder Arbeitsverhältnis standen, von ihrem Arbeitgeber "wegen fortgesetzter Pflichtverletzung und Trägheit, wegen Widersetzlichkeit oder unbegründeten Verlassens ihrer Dienst- oder Arbeitsstellen sowie wegen sonstiger erheblicher Verletzungen des Dienst- oder Arbeitsverhältnisses" vom zuständigen Beamten zu körperlicher Züchtigung verurteilt werden, gegebenenfalls ergänzt durch Kettenhaft bis zu 14 Tagen.

Regelungs- und Publikationsfreude bei den Ausführungsbestimmungen

Breiteren Raum in der kolonialrechtlichen Literatur nehmen jedoch Regelungen zur Ausführung der Körperstrafen ein. Detailliert und nachdrücklich hingewiesen werden musste wiederholt darauf, dass die Strafgewalt nicht ohne Weiteres auf subalterne Beamte überging, sollte der Vorgesetzte etwa auf Reisen sein. Nicht selbstverständlich war, dass die Gewalt nicht zur Erpressung eines Geständnisses oder auf bloßen Verdacht hin verwendet werden durfte. Ein Beispiel für die Liebe zum Detail gibt eine Dienstanweisung des Gouverneurs von Togo vom 10. Januar 1906:

"Das vom Gouverneur genehmigte Züchtigungsinstrument ist der … bisher im Gebrauch befindliche Schambock oder Kiboko. Dieses Instrument wird aus dem Hautstreifen eines Dickhäuters (bzw. aus zwei zusammengenähten Streifen, falls die Haut in einfacher Lage nicht dick genug sein sollte) hergestellt. Es ist etwa 80 bis 100 cm lang, am Schlagende rund und glatt und hat einen Durchmesser von etwa 1 cm. Am Schlagende dürfen sich unter keinen Umständen Knoten oder sonstige Vorsprünge befinden, auch darf in die Rille der Haut kein Draht oder dergleichen eingenäht werden. Wenn ein mit Strafbefugnissen ausgestatteter Beamter glaubt, auch auf Reisen in die Lage zu kommen, Prügelstrafe verhängen zu müssen, so hat er das vorgeschriebene Züchtigungsinstrument zur Reise mitzuführen. Jedenfalls muß vermieden werden, dass auf Reisen die Prügelstrafe mit einem anderen Züchtigungsinstrument vollstreckt wird."

In Deutschland blieb zwar bis 1918 das Gesinde, also das haus- und landwirtschaftliche abhängige Personal auch von körperlicher Gewalt seitens ihrer Dienstherren bedroht – für moderne Liberale oder Sozialisten konnte die Zukunft aber kaum darin liegen, ganze Gesellschaften in eine neue Welt zu prügeln. 

Zitiervorschlag

Recht im deutschen Kolonialreich: . In: Legal Tribune Online, 05.01.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56249 (abgerufen am: 18.01.2025 )

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