In Berlin hat ein Lebensmittelgeschäft eröffnet, das statt nach Produktarten nach Rezepten sortiert ist. Die Macher des "Kochhaus" sprechen selbst von einem "begehbaren Kochbuch". Und die Kunden sind nicht nur überforderte meist männliche Nichtkocher, sondern das Konzept trifft den Zeitgeist. Vom Gewürz bis zur Weinempfehlung ist alles dabei.
Klingt irgendwie nach "Alice im Wunderland". Ein begehbares Kochbuch... – muss man da über Seiten springen und meterhohe Buchstaben bezwingen? Klappern dort Löffel links und rechts des Weges und schnappen kleine Töpfchen nach einem?
Nicht doch. Das Prinzip des ersten "begehbaren Kochbuchs" der Welt ist eigentlich eher vergleichbar mit dem eines großen Buffets. Ein Buffet zum selber Kochen, mit zwanzig verschiedenen Gerichten zur Auswahl, von der Suppe über die Vorspeise zum Hauptgang und hin zum Dessert – nur alles noch ganz unzubereitet.
Neusortierungswünsche im Supermarkt
"Wir kochen sehr gern selbst, aber waren genervt, dass wir auf der Suche nach all unseren Zutaten oft stundenlang im Zickzack durch den Supermarkt rasen mussten", erzählt Max Renneberg, ein dynamischer Berliner und einer von insgesamt fünf Gründern des "Kochhaus" in Berlin-Schöneberg. "Dann fehlt doch wieder etwas und man muss noch in einen anderen Laden fahren, um das zu besorgen. Irgendwann haben wir uns gefragt, warum es nicht einfach alle Zutaten für ein Gericht an einer Stelle geben kann?" Und da war sie, die Idee: Man müsste einen Lebensmittelmarkt einfach mal grundlegend umbauen und ihn nach Rezepten sortieren statt wie bisher nach Wurst, Käse, Gemüse und Obst.
Zwischen "Tomaten-Brot-Salat mit Rucola und Passionsfruchtvinaigrette" und "Zitronenhuhn en papilotte mit Shitakepilzen und Basmatireis" steht Max Renneberg in seinem vor einem Monat eröffneten "Kochhaus" in Westberlin und erzählt von den weiteren Vorzügen des ausgefallenen Ladenkonzeptes: "Wir verkaufen alle Zutaten klein portioniert. Gerade bei Gewürzen braucht man doch oft nur einen Teelöffel und muss im Supermarkt gleich eine ganze Tüte kaufen." Hier gibt es Brühwürfel einzeln abgepackt, ebenso wie Minitütchen mit einem Löffelchen gemahlenem Koriander oder ein Bund Kerbel – exakt so viel, wie für zwei Portionen "Rinderfilet in Balsamico pochiert mit Kartoffel-Scarmorza-Gratin" eben nötig ist. Wer für Vier kocht, nimmt zwei Sträußchen.
Einkaufen mise-en-place
Jedes Rezept hat sein eigenes Tischchen, geschmückt mit einem Plakat, auf dem das fertige Gericht und alle seine Zutaten abgebildet sind. Dem folgend muss man eigentlich nur in den Einkaufswagen packen, was ohnehin schon griffbereit in Schälchen und Körbchen vor einem liegt. Bei Hauptgerichten steht auch ein damit korrespondierender Wein auf dem Tisch. Und wichtig: Den Rezeptflyer nicht vergessen, die ausführliche und reich bebilderte Kochanleitung zum Mitnehmen!
Jede Wochen wechseln drei bis vier der insgesamt zwanzig Gerichte und jedes bleibt sechs bis acht Wochen im Angebot. Florian Glauert, ehemaliger Küchenchef des Berliner Kultrestaurants "Einstein" und Mitarbeiter des "Kochhaus"-Teams, wählt die Rezepte in Absprache mit dem Marktleiter aus.
Alle haben eine gewisse Raffinesse, gern einen saisonalen Touch (passend zum Herbst sind gerade Flammkuchen mit Kürbis und ein Kartoffel-Kürbis-Püree mit Merguez neu dazu gekommen) und nie sind sie zu kompliziert. "Wir achten darauf, dass die Zubereitung nicht länger als 60 Minuten dauert", so Renneberg. Auf den Tafeln der Rezepttische sind alle Gerichte als "sehr einfach", "einfach" oder eine "kleine Herausforderung" deklariert.
Darf’s ein bisschen mehr sein? – Nein!
"Eigentlich ist unser Laden für alle. Es kommen tatsächlich einige Koch-Anfänger, meist Männer, die man daran erkennt, dass sie sich akribisch an die Rezepte halten und wie angegeben genau eine Zwiebel und exakt eine Knoblauchzehe in ihren Korb legen", erzählt Max Renneberg. "Erfahrenere Köche und gut ausgestattete Hausfrauen wissen, dass sie Zwiebeln und Gewürze zuhause haben und lassen solche Basics dann auch mal weg. Trotzdem finden sie Gefallen an unserem Konzept. Es macht ihnen Spaß, etwas Neues auszuprobieren."
Die Preise der Gerichte sind pro Person angegeben und beziehen sich auf die kompletten Zutaten. Eine Suppe gibt es ab zwei Euro pro Person, Hauptgerichte ab fünf, Aufwändiges wie etwa das Rinderfilet für neun Euro pro Kopf. Aber alle Produkte können auch einzeln gekauft werden und sind mit Preisen ausgezeichnet.
Max Renneberg, der selbst Jura und BWL studiert hat, ist vom bisherigen Erfolg seines Ladens überwältigt. "Am Eröffnungstag standen hier 3500 Leute vor der Tür. Und samstags haben wir immer eine Schlange quer durch den ganzen Laden." Mittlerweile denken er und seine vier Mitinhaber über die Eröffnung einer zweiten Filiale in Prenzlauer Berg oder Mitte nach.
Das Konzept des begehbaren Kochbuches wird vom Zeitgeist getragen: "Heute lädt man doch Freunde eigentlich gar nicht mehr zum Essen ins Restaurant ein, sondern wenn man’s wirklich schön haben möchte, sagt man: Kommt, lasst uns etwas zusammen kochen." Und zuvor eine Runde durch das Kochbuch spazieren.
Nina Anika Klotz arbeitet als freie Autorin in den Bereichen Gesellschaft, Leben und Reise. Sie lebt in Berlin.
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Nina Anika Klotz, Das "Kochhaus" in Berlin: . In: Legal Tribune Online, 25.10.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1787 (abgerufen am: 15.10.2024 )
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