Er gilt als vielleicht bedeutendster deutscher Künstler der Gegenwart. Im Oktober erscheint sein Buch "Frieden und Freiheit" mit Illustrationen zu 19 Artikeln des Grundgesetzes. Mit Constantin Baron van Lijnden spricht Markus Lüpertz über Malerei, Rechtstaatlichkeit und sein zwiegespaltenes Verhältnis zum deutschen Gesetz
Wenn Markus Lüpertz, Malerfürst von eigenen Gnaden, an die Öffentlichkeit tritt, dann ist er auf sein Aussehen meist peinlich genau bedacht: Anzug mit Fliege oder Krawatte, Einstecktuch und natürlich der ikonische Gehstock mit Knauf in Form eines Totenkopfes. Als der Grand Seigneur der deutschen Künstlerszene mich jedoch auf eine Privataudienz in der Düsseldorfer Gießerei Schmäke empfängt, bekomme ich ihn von einer ganz anderen Seite zu sehen.
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Das Arbeitshemd bis über die Ellenbogen hochgekrempelt, eine Schutzbrille auf der Nase und Farbspritzer im sauber getrimmten Spitzbart umschreitet Lüpertz sein neustes Werk, eine etwa drei Meter hohe Skulptur mit wuchtigen Proportionen. Mit einigen kraftvollen Axthieben versucht er, den Umfang des rechten Oberarms ein wenig zu schmälern, schlägt ihn dabei jedoch gleich vollends ab. "Scheiße! Das müssen wir neu machen. Gib mir mal einen von den Keilen her", dirigiert er einen seiner Assistenten. "Und Sie, fangen Sie ruhig mit den Fragen an." Also gut.
LTO: Herr Lüpertz, woran arbeiten Sie da?
Lüpertz: An Odysseus oder an Jason, das entscheide ich noch. Jedenfalls ist er der Protagonist meiner aktuellen Serie.
LTO: Sie meinen Ihrer Illustrationen zum deutschen Grundgesetz?
Lüpertz: Ich habe das Grundgesetz nicht illustriert, das kann man gar nicht. Ich habe 19 Gemälde gefertigt, eines für jedes der zentralen Grundrechte, und in jedem davon taucht diese Figur auf. Sie können sich das als eine Art Reise vorstellen, die atmosphärische Wanderung einer antiken Gestalt durch die Gesetze unserer Zeit.
LTO: Wie kamen Sie überhaupt zu der Idee?
Lüpertz: Der Koran war zu heikel, und die Bibel zu langweilig.
LTO: Es ging Ihnen also zunächst darum, ein fundamentales Regelwerk zu bebildern?
Lüpertz: Noch einmal, ich "bebildere" das Grundgesetz nicht im engeren Sinne – ich bin doch kein Cartoonist. Aber ja, den Gedanken, etwas so Grundlegendes darzustellen, fand ich reizvoll. Das Gesetz an sich ist ja eine nüchterne, trockene Materie, aber durch meine Gemälde überführe ich es in den Bereich der Kultur.
"Bald ist es wahrscheinlich verboten, als schöne Frau die Straße entlang zu gehen"
LTO: Also wollen Sie das Gesetz greifbar machen, es dem Volk näher bringen? Dazu würde passen, dass Ihr Buch in Zusammenarbeit mit der Bildzeitung verlegt wird.
Lüpertz: Mit der Zusammenarbeit habe ich unmittelbar nichts zu tun. Wenn der Bildband dadurch größeren Absatz findet, würde ich das aber begrüßen. Sehen Sie, das Grundgesetz, aus dem wir alle unsere alltäglichen Freiheiten herleiten, das ist doch etwas, das wirklich jeden angeht. Im Grunde gehört mein Buch daher auch in jeden Nachttisch, wie die Bibel. Ich komme mir regelrecht sozial dabei vor.
LTO: Wie würden Sie persönlich Ihr Verhältnis zum Gesetz beschreiben?
Lüpertz: Nunja, ich bin ihm unterworfen.
LTO: Das klingt nicht besonders enthusiastisch.
Lüpertz: Ist es auch nicht. Im Grunde kommt es aber darauf an, über welches Gesetz wir reden. Das deutsche Grundgesetz haben kluge Köpfe nach den Schrecken des zweiten Weltkrieges ersonnen. Es ist seinem Wesen nach freiheitlich und behandelt uns als mündige, eigenverantwortliche Bürger. Die einfachen Gesetze hingegen, mit denen wir täglich gegängelt und drangsaliert werden, bewirken das genaue Gegenteil.
LTO: Haben Sie da ein konkretes Beispiel im Sinn?
Lüpertz: Mehrere. Fangen wir mir etwas einfachem an: Wieso sollte ich mich anschnallen müssen, wenn ich Auto fahre? Das ist doch einzig und allein mein Problem. Ich hatte einen Autounfall, und wenn ich damals einen Gurt getragen hätte, wäre ich jetzt wahrscheinlich nicht mehr am Leben. Aber der deutsche Staat hat dieses unbedingte Bedürfnis, jeden kleinsten Aspekt unserer Daseins zu regulieren. Bald ist es wahrscheinlich verboten, als schöne Frau die Straße entlang zu gehen – könnte ja sein, dass man dabei die Autofahrer ablenkt und einen Unfall provoziert.
"Wir werden zu folgsamem Wahlvieh hochgezüchtet"
LTO: Ich glaube, davon sind wir noch etwas entfernt. Aber Ihnen geht es um mehr als ums Autofahren, oder?
Lüpertz: Natürlich, das ist nur ein Symptom von vielen. Die Krankheit besteht darin, dass die Bürger immer bereitwilliger ihre Freiheiten für die Illusion von Sicherheit aufgeben. Und der Staat nimmt das natürlich gerne an. Jede Vergünstigung, die heute irgendwem eingeräumt wird, muss mit Gehorsam erkauft werden, aber verzichten will darauf trotzdem niemand. So werden wir zu folgsamem Wahlvieh hochgezüchtet, und wer nicht spurt, der wird mit Gewalt auf den Kurs gebracht. Manchmal macht mir das regelrecht Angst.
LTO: Wann denn?
Lüpertz: Zum Beispiel neulich auf dem Heimweg. Es war Nacht, die Straßen leer, weit und breit kein Auto zu sehen. Natürlich gehe ich da bei rot über die Straße. Aber irgend ein Polizist meinte gleich, mich maßregeln zu müssen. Ich habe ihm gesagt, dass ich es als lächerlich empfinde, in so einer Situation stehen zu bleiben, und bin weitergegangen, da griff er allen Ernstes nach seiner Waffe. Er hat sich dann noch einmal besonnen und sie stecken lassen, statt mich zu erschießen, so weit sind wir zum Glück noch nicht.
LTO: Noch nicht? Denken Sie denn, dass wir uns in eine solche Richtung bewegen?
Lüpertz: Ich fürchte es. Der Staat zieht uns jedenfalls immer mehr Grenzen auf und pocht immer dringlicher auf ihre Einhaltung. Gleichzeitig legt er eine einzigartige Selbstgerechtigkeit an den Tag, wenn es um die eigenen Interessen geht. Steuer-CDs von irgendwelchen Verbrechern einkaufen? Da heiligt der Zweck natürlich alle Mittel, spült ja schließlich Geld in die Kasse. Aber gehen Sie als einfacher Bürger mal so salopp vor, und Sie lernen die JVA von innen kennen.
"Das Volk muss mehr Courage zeigen"
LTO: Was muss sich Ihrer Meinung nach ändern?
Lüpertz: Die Mentalität der Menschen. Die Regierung muss sich darauf besinnen, dass sie dem Volk dient, nicht umgekehrt. Und das Volk muss mehr Courage zeigen, sich weniger gefallen lassen.
LTO: Wenn Sie heute ein Gesetz Ihrer Wahl ändern könnten, welches wäre das?
Lüpertz: Keines, das steht mir nicht zu. Außerdem sind letztlich nie die Gesetze das Problem, sondern die Menschen, die sie anwenden. Eine etwas publikumsfreundlichere Interpretation unserer Normen würde wohl schon ausreichen.
LTO: Ist das auch ein Ziel, welches Sie mit Ihrem Buch verfolgen? Eine Rückbesinnung auf freiheitliche Werte?
Lüpertz: Wenn ich Gemälde zum Grundgesetz fertige, dann spiegelt sich darin mein Verständnis des Gesetzes wieder, das ist ja gar nicht zu vermeiden. Ob dieses Verständnis auch auf den Betrachter überspringt, weiß ich nicht – man kann es nur hoffen.
LTO: Herr Lüpertz, vielen Dank für das Gespräch.
"Das Grundgesetz" mit Illustrationen von Markus Lüpertz erscheint am 01.10.2012 bei wissenmedia in Kooperation mit der Bildzeitung.
Constantin Baron van Lijnden, Markus Lüpertz' Gemälde zum GG: . In: Legal Tribune Online, 03.10.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7228 (abgerufen am: 06.12.2024 )
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