Dass die Sektsteuer 1902 zur Finanzierung der Marine eingeführt wurde und nicht wieder aus der Welt zu schaffen ist, weiß jeder Steuerberater, der ein Sektglas in der Hand halten kann. Immerhin wird nun das Branntweinmonopol bis 2017 abgeschafft. Juristen pauken zwar die Entscheidung "Cassis de Dijon", aber legislatorisch braute sich schon 1922 so einiges zusammen. Eine Rechtsgeschichte von Martin Rath.
Nachdem sich im November 1917 die Kommunisten in Russland an die Macht geputscht hatten, beschrieb ihr Anführer Lenin die deutsche Reichspost als Vorbild für die neue Staatsorganisation, damals wie heute ein Stern am Himmel der Logistik. Wer jemals dort in der Schlange stand, weiß, dass es keine gute Idee sein kann, Staaten wie Monopolunternehmen zu organisieren – doch brauchte es immerhin bis 1990, um dem ein Ende zu bereiten.
Ein fast "russisches" Gesetz findet sich in einer Liste von 14 Wirtschafts- und Steuergesetzen, ausgefertigt zu Berlin am 8. April durch Reichspräsident Friedrich Ebert (1871-1925) und Reichsfinanzminister Andreas Hermes (1878-1964). Der eine war bekanntlich von der SPD, der andere ein später gegenüber der NS- und SED-Herrschaft sehr mutiger Zentrums- und CDU-Mann. Die rot-schwarze Koalition der frühen Weimarer Republik schuf eine reichseinheitliche Vermögensteuer, die Liste schließt mit dem "Gesetz über das Branntweinmonopol" – fast ein kleines Gesetzbuch mit nicht weniger als 183 Paragraphen.
Ein Denkmal für die Zeit des bescheidenen Staats
Dieses Branntweinmonopolgesetz von 1922 (RGBl. I, S. 405) definierte in einer geradezu absurden Detailgenauigkeit das Deutsche Reich als Monopolgebiet, die Herstellung von Ethanol – dem so genannten Branntwein – durch Brennereien, seine "Übernahme" durch die Monopolverwaltung, den Import aus dem Ausland sowie seine Reinigung und Vermarktung. Einen Vorläufer hatte das Gesetz in der Steuergesetzgebung der letzten Kriegsmonate, noch unter Kaiser Wilhelm. Die Beseitigung der letzten Normreste besorgte das Bundeskabinett dieser Tage mit Frist zum Jahr 2017.
Dabei ist das alte, später oft novellierte Gesetz geradezu ein Denkmal für die Zeit des bescheidenen Staats. Denn mit der Erhebung direkter Steuern auf Einkommen und Vermögen taten sich in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg nahezu alle Staaten schwer, besonders das Deutsche Reich, dessen Finanzverfassung der eines Staatenverbunds entsprach – die preußische Einkommensteuer etwa blieb in Preußen, das Reich finanzierte sich zu wesentlichen Teilen über Verschuldung, Zölle und Verbrauchsteuern – und ja, die bald 111 Jahre alte Sektsteuer diente tatsächlich den ambitionierten Plänen zur Aufrüstung der deutschen Kriegsmarine.
Als zusätzliche Einnahmequelle für das Reich wurde bereits in den 1880er-Jahren ein Branntweinmonopol diskutiert. Vorbildlich war insoweit die Finanzordnung des russischen Kaiserreichs: Auch in Russland stammten, nach Angaben des schottischen Historikers Niall Ferguson, zwischen 1900 und 1913 nur rund sieben Prozent der Staatseinnahmen aus direkten Steuern. Seit den späten 1890er-Jahren beanspruchte der russische Staat ein Monopol auf den Verkauf von Wodka. Mit 900 Millionen Rubel sollen die Bruttoeinnahmen aus dem russischen Alkohol-Monopol über ein Viertel aller Staatseinnahmen ausgemacht haben.
Der britische Handelsminister der Jahre 1908-1910, Winston Churchill, sah in der relativen Armut des deutschen Reichshaushalts eine Bremse allzu forscher Rüstungspläne und hielt die Tendenz, den Staat über indirekte Steuern und Monopole finanzieren zu wollen, für schlechte Ordnungspolitik. Immerhin erkannte auch die deutsche Sozialdemokratie, dass sie ihren Wahlsieg von 1912 nicht zuletzt der Erhöhung von Verbrauchsteuern zu verdanken hatte.
Doch im Deutschen Reich war vor dem Ersten Weltkrieg ohne Preußen kein Recht zu setzen, Steuerrecht zumal, und in Preußen war gegen den Landtag kein Staat zu machen, das Abgeordnetenhaus war nach Dreiklassenwahlrecht besetzt und im Herrenhaus, der zweiten Parlamentskammer, saß der starke, landbesitzende Adel – darunter jene Rittergutsbesitzer, die ihre Kartoffeln und ihr Getreide an eine Monopolverwaltung hätten abgeben müssen, zu staatlich festgesetztem Tarif. Schwer denkbar, das Unterfangen.
Epische Gesetzgebung
Zunächst der nicht allein mittels Staatsverschuldung zu finanzierende Weltkrieg, dann die Haushaltsnot der jungen Republik infolge der Reparationsforderungen aus dem Versailler Friedensvertrag machten politisch möglich, was notwendig erschien: ein juristisch komplexes Branntweinmonopol, dem später erst die europäische Einigung den Garaus machen sollte.
Das Gesetz bestimmte, dass die Alkoholdestillation nunmehr nur in staatlichen Monopolbetrieben beziehungsweise in besonders konzessionierten – den so genannten Verschlussbrennereien – zugelassen sei. Die Lieferung des regional in den Verschlussbrennereien hergestellten Ethanols, das logistische Hin- und Herkutschieren der Fässer und der Vergällungsmittel samt des rechtlichen Gefahrenübergangs – alles regelte das Gesetz in epischer Breite.
Neben den Großbetrieben blieben die so genannten Zulassungsbrennereien bestehen, insbesondere Obstbrennereien, die das produzierte Ethanol nicht an die Monopolverwaltung abliefern mussten, dafür aber eine Abgabe zu entrichten hatten – und bis heute entrichten, die sich nach der Menge der Grundsubstanz, etwa der zu destillierenden Obstmaische richtet.
Auf den ersten Blick sieht dieses Gesetz aus dem Jahr 1922 aus, als hätten die Herren Ebert und Hermes an eine vom Alkoholdunst umnebelte und daher beschränkte juristisch-intellektuelle Aufnahmefähigkeit der normunterworfenen Destillateure gedacht. So regelte § 48 haarklein, wie die Überwachung der privaten Brennereien auszusehen habe, beispielsweise: "Den Aufsichtsbeamten sind bei ihren Amtshandlungen die Hilfsmittel (Geräte, Beleuchtung usw.) zu stellen und die nötigen Hilfsdienste zu leisten." Auch Selbstverständlichkeiten finden sich: "Es dürfen keine Einrichtungen getroffen werden, die die Ausführung der Aufsicht hindern oder erschweren."
Insgesamt besteht allein dieser Paragraf aus rund 100 Wörtern. Später wanderten derartige Selbstverständlichkeiten in die Abgabenordnung, das epische Branntweinmonopolgesetz schrumpfte derweil auf einen Torso.
2/2: Ein Parlamentsalkoholmonopol
Ähnlich detailliert regelte der Reichstag 1922 seine Ansprüche gegenüber der Reichsmonopolverwaltung: bis wann diese ihren Jahresabschluss vorzulegen habe und, wiederum haarklein, wann und wie dieser dem Parlament vorzulegen sei. Heute spricht man von der Bundeswehr als einem "Parlamentsheer". Damals hätte man vom Parlamentsalkoholmonopol sprechen können.
Der Grund für derart detaillierte Gesetzgebung dürfte profan sein: Vor dem Ersten Weltkrieg zählte das Reichsfinanzamt – Vorgänger des Reichs- und Bundesfinanzministeriums – keine 100 Beamte. Der neue Apparat wollte angeleitet sein. Auch der parlamentarische Zugriff auf die Reichsregierung war gerade drei Jahre jung, entsprechend ungeübt. So kam wohl die Liebe zum Detail ins Gesetz.
Bei aller Freude über die frisch gewonnene parlamentarisch-demokratische Gewalt kam auch der Gedanke an das nicht zu kurz, was heute vornehm Zivilgesellschaft heißt: Für bestimmte Entscheidungen – beispielsweise über die Höhe jenes Betrages, den die kleinen Obstbrenner letztlich für die Befreiung von der Ablieferungspflicht zu zahlen hatten – war ein Beirat zu berufen, dem neben Vertretern des Staates unter anderem "drei Vertreter der Arbeitnehmer des Branntweingewerbes, darunter ein Angestellter, zwei Vertreter der verbrauchenden Industrie" angehörten und – besonders schön – "zwei Vertreter der letzten Verbraucher".
Der wirtschaftliche Zweck des Branntweinmonopols, das über eine Hektolitereinnahme, eine fingierte Handelsspanne ("Branntweinaufschlag") sowie den so genannten Monopolausgleich Einnahmen für den Reichs- und später für den Bundeshaushalt generieren sollte, ging im Lauf der 90 Jahre gründlich verloren. Das System, bei kleinen Brennereien Alkohol einzusammeln und ihn z.B. an die Arzneimittel- oder Getränkeindustrie weiterzuverkaufen, wurde seit der letzten Ausnahmegenehmigung der EU-Kommission von 2010 mit rund 80 Millionen Euro jährlich subventioniert und soll jetzt auslaufen.
Diese Form der Landwirtschaftssubventionierung wurde von Politikern aller Farben entweder aus der öffentlichen Wahrnehmung herausgehalten oder mit "ökologischen" Argumenten rechtfertigt – ohne die Verwertung zu hochprozentigem Alkohol würden die ach so wertvollen Streuobstwiesen nicht gepflegt. Diese Subventionsphantasie wird von der EU nicht länger akzeptiert.
Ärger aus Europa
Europarechtlich angreifbar wurden Maßgaben des Branntweinmonopolgesetzes allerdings schon früher, also bevor sich "Europa" mit "Subventionsabbau" beschäftigte. Bereits der Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft von 1957 sah in Art. 37 (EWG-Vertrag) eine Umformung staatlicher Handelsmonopole dahingehend vor, dass sie dem europäischen Warenaustausch nicht im Wege stünden.
Dem europäischen Alkoholaustausch stand nach Ansicht der Importeure immer wieder der so genannte Monopolausgleich im Weg. Die Monopolverwaltung hält für das Sammeln und Verwerten des Alkohols eine Infrastruktur bereit. Durch den Monopolausgleich sollte der Vorteil von Herstellern und Importeuren kompensiert werden, die in diese Infrastruktur nicht eingebunden sind. Vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) kam ein solcher Vorgang – soweit erkennbar – erstmals 1970, als es um die Frage ging, ob ein von Italien nach Deutschland importiertes Getränk, das bisher insoweit abgabefrei war, durch eine Neudefinition monopolausgleichspflichtiger Alkoholgehalte abgabepflichtig werden dürfe – oder ob Deutschland nach Art. 37 EWG-Vertrag daran gehindert sei, abgabepflichtigen Alkoholmischmasch neu zu definieren (EuGH, Urt. v. 16.12.1970, Az. C-J001/70). Deutschland durfte, solange es dabei In- und Ausländer gleich behandelte.
Berühmt, jedenfalls in Juristenkreisen, wurde die "Cassis de Dijon"-Entscheidung des EuGH, die die Bedeutung des Branntweingesetzes schmälerte: Ein großes Kölner Einzelhandelsunternehmen beabsichtigte, das gleichnamige Likörgetränk mit einem in Frankreich zulässigen Alkoholgehalt von 15 bis 20 Prozent zu importieren, die Bundesmonopolverwaltung verweigerte die Einfuhrerlaubnis, weil nach Branntweingesetz für diese Getränkesorte mindestens 32 Prozent "Weingeist" vorgeschrieben waren. Die Luxemburger Richter kassierten diese Rechtsauffassung letztlich als unzulässiges Verkehrshindernis (EuGH Urt. v. 20.02.1979, Az. 120/78 REWE).
Die langsame Demontage
Mit 183 Paragrafen des Branntweinmonopolgesetzes zeigte der deutsche Gesetzgeber im Jahr 1922, wozu er fähig ist, wenn ihn eine Sache wirklich interessiert – neben der Versorgung der Wirtschaft mit Alkohol muss sein vornehmliches Interesse der Regelung landwirtschaftlicher Produktionsverhältnisse und, nicht zu vergessen, der Einnahmeseite des Staatshaushalts gegolten haben.
Dass sich im Gesetz so komische Vorschriften finden, wie jene, der zufolge die nicht verbeamteten Angehörigen der Reichsmonopolverwaltung per Handschlag zur Amtsverschwiegenheit zu verpflichten seien, kann man nachsichtig verzeihen, zeigte der Gesetzgeber 1922 doch eine Aufmerksamkeit, die man heute mitunter vermisst. So schrieb das Branntweinmonopolgesetz vor, dass Branntwein, der durch Schiffbruch an einen deutschen Strand geriet – abweichend von § 18 der Strandungsordnung (Gesetz v. 22.5.1874) – vor einer Versteigerung zunächst der Monopolverwaltung anzubieten sei.
Der Begriff "Alkoholismus" taucht, soweit erkennbar, erstmals in einem deutschen Gesetz in § 118 Branntweinmonopolgesetz auf, knapp 50 Jahre bevor das Bundessozialgericht ihn als Krankheit anerkannte. § 118 sah vor, dass jährlich 20 Millionen Mark aus der Monopoleinnahme zur Bekämpfung der Trunksucht und zehn Millionen zur Bekämpfung mit ihr zusammenhängender Geschlechtskrankheiten und der Tuberkulose ausgegeben werden sollten.
Dagegen nahmen sich die 18 Millionen Mark bescheiden aus, die jährlich für die Kartoffelforschung aufzuwenden seien, deren wissenschaftlicher Ertrag letztlich verbesserter Alkoholproduktion dienen sollte.
Wenn nun das alte Gesetz, das in seinen 90 Jahren ohnehin zur Unkenntlichkeit novelliert wurde, 2017 endgültig in der Versenkung verschwinden wird, wird es einem auch mit hoher Nostalgiebereitschaft nicht schade darum. Seine politische Doppelmoral, sich um Suchterkrankungen zu kümmern, aber die Suchtmittelproduktion nicht ungefördert zu lassen, wird in der Trennung von Gesundheits- und Agrarpolitik sicher noch lange überleben.
Martin Rath, Branntweinmonopol: Das Ende staatlich geförderter Suchtmittelproduktion . In: Legal Tribune Online, 02.12.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7686/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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