Branntweinmonopol: Das Ende staatlich geförderter Suchtmittelproduktion

von Martin Rath

02.12.2012

2/2: Ein Parlamentsalkoholmonopol

Ähnlich detailliert regelte der Reichstag 1922 seine Ansprüche gegenüber der Reichsmonopolverwaltung: bis wann diese ihren Jahresabschluss vorzulegen habe und, wiederum haarklein, wann und wie dieser dem Parlament vorzulegen sei. Heute spricht man von der Bundeswehr als einem "Parlamentsheer". Damals hätte man vom Parlamentsalkoholmonopol sprechen können.

Der Grund für derart detaillierte Gesetzgebung dürfte profan sein: Vor dem Ersten Weltkrieg zählte das Reichsfinanzamt – Vorgänger des Reichs- und Bundesfinanzministeriums – keine 100 Beamte. Der neue Apparat wollte angeleitet sein. Auch der parlamentarische Zugriff auf die Reichsregierung war gerade drei Jahre jung, entsprechend ungeübt. So kam wohl die Liebe zum Detail ins Gesetz.

Bei aller Freude über die frisch gewonnene parlamentarisch-demokratische Gewalt kam auch der Gedanke an das nicht zu kurz, was heute vornehm Zivilgesellschaft heißt: Für bestimmte Entscheidungen – beispielsweise über die Höhe jenes Betrages, den die kleinen Obstbrenner letztlich für die Befreiung von der Ablieferungspflicht zu zahlen hatten – war ein Beirat zu berufen, dem neben Vertretern des Staates unter anderem "drei Vertreter der Arbeitnehmer des Branntweingewerbes, darunter ein Angestellter, zwei Vertreter der verbrauchenden Industrie" angehörten und – besonders schön – "zwei Vertreter der letzten Verbraucher".

Der wirtschaftliche Zweck des Branntweinmonopols, das über eine Hektolitereinnahme, eine fingierte Handelsspanne ("Branntweinaufschlag") sowie den so genannten Monopolausgleich Einnahmen für den Reichs- und später für den Bundeshaushalt generieren sollte, ging im Lauf der 90 Jahre gründlich verloren. Das System, bei kleinen Brennereien Alkohol einzusammeln und ihn z.B. an die Arzneimittel- oder Getränkeindustrie weiterzuverkaufen, wurde seit der letzten Ausnahmegenehmigung der EU-Kommission von 2010 mit rund 80 Millionen Euro jährlich subventioniert und soll jetzt auslaufen.

Diese Form der Landwirtschaftssubventionierung wurde von Politikern aller Farben entweder aus der öffentlichen Wahrnehmung herausgehalten oder mit "ökologischen" Argumenten rechtfertigt – ohne die Verwertung zu hochprozentigem Alkohol würden die ach so wertvollen Streuobstwiesen nicht gepflegt. Diese Subventionsphantasie wird von der EU nicht länger akzeptiert.

Ärger aus Europa

Europarechtlich angreifbar wurden Maßgaben des Branntweinmonopolgesetzes allerdings schon früher, also bevor sich "Europa" mit "Subventionsabbau" beschäftigte. Bereits der Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft von 1957 sah in Art. 37 (EWG-Vertrag) eine Umformung staatlicher Handelsmonopole dahingehend vor, dass sie dem europäischen Warenaustausch nicht im Wege stünden.

Dem europäischen Alkoholaustausch stand nach Ansicht der Importeure immer wieder der so genannte Monopolausgleich im Weg. Die Monopolverwaltung hält für das Sammeln und Verwerten des Alkohols eine Infrastruktur bereit. Durch den Monopolausgleich sollte der Vorteil von Herstellern und Importeuren kompensiert werden, die in diese Infrastruktur nicht eingebunden sind. Vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) kam ein solcher Vorgang – soweit erkennbar – erstmals 1970, als es um die Frage ging, ob ein von Italien nach Deutschland importiertes Getränk, das bisher insoweit abgabefrei war, durch eine Neudefinition monopolausgleichspflichtiger Alkoholgehalte abgabepflichtig werden dürfe – oder ob Deutschland nach Art. 37 EWG-Vertrag daran gehindert sei, abgabepflichtigen Alkoholmischmasch neu zu definieren (EuGH, Urt. v. 16.12.1970, Az. C-J001/70). Deutschland durfte, solange es dabei In- und Ausländer gleich behandelte.

Berühmt, jedenfalls in Juristenkreisen, wurde die "Cassis de Dijon"-Entscheidung des EuGH, die die Bedeutung des Branntweingesetzes schmälerte: Ein großes Kölner Einzelhandelsunternehmen beabsichtigte, das gleichnamige Likörgetränk mit einem in Frankreich zulässigen Alkoholgehalt von 15 bis 20 Prozent zu importieren, die Bundesmonopolverwaltung verweigerte die Einfuhrerlaubnis, weil nach Branntweingesetz für diese Getränkesorte mindestens 32 Prozent "Weingeist" vorgeschrieben waren. Die Luxemburger Richter kassierten diese Rechtsauffassung letztlich als unzulässiges Verkehrshindernis (EuGH Urt. v. 20.02.1979, Az. 120/78 REWE).

Die langsame Demontage

Mit 183 Paragrafen des Branntweinmonopolgesetzes zeigte der deutsche Gesetzgeber im Jahr 1922, wozu er fähig ist, wenn ihn eine Sache wirklich interessiert – neben der Versorgung der Wirtschaft mit Alkohol muss sein vornehmliches Interesse der Regelung landwirtschaftlicher Produktionsverhältnisse und, nicht zu vergessen, der Einnahmeseite des Staatshaushalts gegolten haben.

Dass sich im Gesetz so komische Vorschriften finden, wie jene, der zufolge die nicht verbeamteten Angehörigen der Reichsmonopolverwaltung per Handschlag zur Amtsverschwiegenheit zu verpflichten seien, kann man nachsichtig verzeihen, zeigte der Gesetzgeber 1922 doch eine Aufmerksamkeit, die man heute mitunter vermisst. So schrieb das Branntweinmonopolgesetz vor, dass Branntwein, der durch Schiffbruch an einen deutschen Strand geriet – abweichend von § 18 der Strandungsordnung (Gesetz v. 22.5.1874) – vor einer Versteigerung zunächst der Monopolverwaltung anzubieten sei.

Der Begriff "Alkoholismus" taucht, soweit erkennbar, erstmals in einem deutschen Gesetz in § 118 Branntweinmonopolgesetz auf, knapp 50 Jahre bevor das Bundessozialgericht ihn als Krankheit anerkannte. § 118 sah vor, dass jährlich 20 Millionen Mark aus der Monopoleinnahme zur Bekämpfung der Trunksucht und zehn Millionen zur Bekämpfung mit ihr zusammenhängender Geschlechtskrankheiten und der Tuberkulose ausgegeben werden sollten.

Dagegen nahmen sich die 18 Millionen Mark bescheiden aus, die jährlich für die Kartoffelforschung aufzuwenden seien, deren wissenschaftlicher Ertrag letztlich verbesserter Alkoholproduktion dienen sollte.

Wenn nun das alte Gesetz, das in seinen 90 Jahren ohnehin zur Unkenntlichkeit novelliert wurde, 2017 endgültig in der Versenkung verschwinden wird, wird es einem auch mit hoher Nostalgiebereitschaft nicht schade darum. Seine politische Doppelmoral, sich um Suchterkrankungen zu kümmern, aber die Suchtmittelproduktion nicht ungefördert zu lassen, wird in der Trennung von Gesundheits- und Agrarpolitik sicher noch lange überleben.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Branntweinmonopol: Das Ende staatlich geförderter Suchtmittelproduktion . In: Legal Tribune Online, 02.12.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7686/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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