Buchrezension "Migration steuern": Eine Hand­rei­chung für res­trik­tive Mig­ra­ti­ons­po­litik

Gastbeitrag von Prof. Dr. Constantin Hruschka

09.04.2025

Mit seinem Buch "Migration steuern" will Daniel Thym dazu beitragen, dass Migrationssteuerung gelingt und dadurch die "Mitte" die Hoheit über die Migrationsdebatte zurückgewinnt. Doch das geht nur bedingt auf, meint Constantin Hruschka.

"Migration steuern" heißt das neue Buch des Konstanzer Rechtsprofessors und Migrationsexperten Daniel Thym. Das im März in der Edition Mercator des Beck-Verlags erschienene Werk beschäftigt sich mit der Frage, wie Migration nach Europa auf effektive und gerechte Weise reguliert und gesteuert werden kann. Thym möchte eine "Anleitung für das Hier und Jetzt" bieten und meint dies sehr zeitbezogen. Aktuelle Debatten und Mehrheitsverhältnisse in Deutschland spielen eine zentrale Rolle in den Ausführungen. Oft verwendet er das Parteiprogramm der Union als zentralen Referenzpunkt für seine Thesen. Daher richtet er den Fokus im Wesentlichen auf die irreguläre Migration und eine signifikante Reduktion der Zugangszahlen sowie eine sichtbarere und besser kommunizierte Steuerung dieses Teils des Migrationsgeschehens über strengere Einreiseregeln. 

Gleichzeitig erhebt der Autor den Anspruch, eine Anleitung für wirksame Migrationssteuerung zu bieten. Dadurch könne es der "demokratischen" oder "politischen" Mitte gelingen, die Hoheit über den Migrationsdiskurs zurückzugewinnen und dem "gefühlten Kontrollverlust im Asylsystem" entgegenzutreten. Diese Mitte besteht für Thym aus "Linken" und "Progressiven" sowie "Konservativen" und "Bürgerlichen" – "soweit sie sich der Mäßigung und des Ausgleichs verpflichtet fühlen" (S. 35). Nur durch die wiedererlangte Diskurshoheit könne ein aktuelles und modernes Deutschlandbild entstehen und der Zusammenhalt im Einwanderungsland Deutschland gestärkt werden.

Das Buch ist formal in sieben Kapitel unterteilt. Wer sich schnell orientieren möchte und sich in den deutschen migrationspolitischen und -rechtlichen Debatten des vergangenen Jahrzehnts gut auskennt und zurechtfindet, findet im zweiten Teil des siebten Kapitels Thyms "Leitplanken für einen migrationspolitischen Paradigmenwechsel" (S. 211 ff.). Diese beinhalten die acht zentralen Schlussfolgerungen und Vorschläge für die zukünftige Migrationspolitik.

Deutschland als "Einwanderungsrepublik"

Das Buch beginnt mit der Forderung nach einem neuen Selbstverständnis in Deutschland (Kapitel 1), das notwendig sei, damit "die Bevölkerung die Zukunft Deutschlands als Einwanderungsland als Fortschritt empfinde" (S. 10). Dafür sei eine sachliche Debatte, die der "Emotionalisierung und Moralisierung der Migration" (S. 11) entgegentritt, genauso notwendig wie eine Entdämonisierung politischer Meinungsverschiedenheiten. Der Diskurs solle in der Mitte geführt werden, damit die Polarisierung der aktuellen Debatte nicht weiter voranschreitet. 

Um aufzuzeigen, was damit gemeint ist, schlägt Thym den Begriff der "Einwanderungsrepublik" vor, den er insbesondere im ersten Teil des 7. Kapitels mit Leben füllt. Der neue Begriff, der die Tatsache der Einwanderung und die Staatsform kombiniert, solle allen Seiten dabei helfen, Gewissheiten zu hinterfragen und darauf hinweisen, dass Einwanderung in einem bestehenden Staat im Herzen Europas stattfindet. Es geht ihm darum, "anstelle eines Gegeneinanders von feststehender Leitkultur und multikultureller Beliebigkeit einen Weg aufzuzeigen, der die Integration sichert und den Zusammenhalt stärkt" (S. 14 f.). 

Den Begriff und Inhalt von Integration in seiner Vielfältigkeit und Phasenabhängigkeit erläutert Thym im 6. Kapitel. Kapitel 1, 6 und 7 nehmen damit insbesondere die deutsche Öffentlichkeit, das Deutschlandbild und die Realität und Notwendigkeit von Veränderungen in den Blick.

In den Kapiteln 2 bis 5 geht es um Zuwanderungskontrolle und -steuerung, wobei Kapitel 2 als Einleitung dient, in der der Autor seine Grundannahmen erläutert. Es beginnt mit dem Satz: "Jahrzehntelang hat der Streit, ob Deutschland ein Einwanderungsland sei oder nicht, eine notwendige Debatte darüber verhindert, wie Migration und Integration sinnvoll gestaltet werden" (S. 19). 

Die drei Grundthesen

Dies leitet über zu Thyms drei streitbaren Grundthesen: Deutschland habe bisher auf Steuerung verzichtet (These 1). Das beruhe implizit auf der Fehlannahme, Migration lasse sich nicht steuern (These 2). Das wiederum rühre daher, dass ein statisches Deutschlandbild in der Debatte vorherrsche, während sich Deutschland durch Migration stark verändere (These 3). 

Im dritten Kapitel ("Wirtschaft") erläutert der Autor die Notwendigkeit der Wirtschaftsmigration und insbesondere der Fachkräftezuwanderung. Er beklagt zu Recht, dass Sichtbarkeit und positive Konnotation von Migration zur Arbeitsaufnahme im politischen Diskurs fehlen. Deshalb plädiert Thym dafür, die Bereiche Arbeit und Asyl zu trennen. 

Kapitel 4 ("Asyl") und Kapitel 5 ("Moral und Eigeninteresse") beschreiben die von der Union geforderte Politik der "Humanität und Ordnung" als Mittelweg in der Asylpolitik. 

Der Verstoß gegen Einreisevorschriften nach Deutschland und Europa müsse rechtliche Konsequenzen haben, die an der europäischen Außengrenze organisiert werden müssten, um wirksam zu sein. Thym plädiert in Kapitel 4 für ein Zurückdrehen der menschenrechtlichen Gewährleistungen, die unter Führung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in den vergangenen dreißig Jahren stark ausgeweitet worden seien. Damit meint er sowohl die verfahrensrechtliche als auch die materielle Dimension des Menschenrechtsschutzes, der sich aus dem Folterverbot des Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ergibt. 

Thym wirft Merkels Politik Scheinheiligkeit vor

Anschließend skizziert Thym seine Vorstellung eines Asylrechts. Anders als etwa von führenden Unionspolitikern immer wieder gefordert, soll das Asylrecht nach Thym seinen Charakter als individuelles Recht nicht verlieren. Allerdings solle es deutlich strengere Maßstäbe an die Schutzgewährung stellen, als es bisher aufgrund der "großzügigen" Definition des Schutzbedarfs (S. 82 ff.) der Fall sei. Zudem liege ein Grund für die fehlende Steuerung der Zuwanderung nach Deutschland in der im europäischen Vergleich "großzügigen" Möglichkeit, auch ohne asylrechtliches Bleiberecht einen dauerhaften Aufenthalt zu sichern. Hinderlich bei der Steuerung seien auch insbesondere "großzügige" Verfahrensrechte und Aufnahmestandards in Europa und insbesondere in Deutschland. Diese interne Großzügigkeit vermittle zwar ein gutes Gefühl. Sie sei aber erkauft – und zwar durch die "organisierte Scheinheiligkeit" bei der Migrationskontrolle durch die weniger sichtbaren Mechanismen der Zusammenarbeit mit Drittstaaten insbesondere über die Visumspolitik und die Zusammenarbeit bei der Ausreisekontrolle. 

Im letzten Teil von Kapitel 4 und in Kapitel 5 nennt Thym die Politik Angela Merkels als Beispiel für diese Scheinheiligkeitsthese. Die damalige Bundeskanzlerin habe sich in Deutschland als großzügig inszeniert, während sie gleichzeitig maßgeblich die Kooperation mit Niger und der Türkei bei der Verhinderung des Ankommens in Europa mitgestaltet und forciert habe. Dabei sei die offene Kommunikation einer solchen Politik aus Gründen des "Gefühlsmanagements" (S. 142) für die Bevölkerung als "Kontrollsignal" wichtig, um der "Migrationsangst" zu begegnen. 

Dabei findet keine Erwähnung, dass bereits seit der Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär schutzberechtigten Personen 2016 und verstärkt durch die öffentliche Forderung nach mehr Abschiebungen und umfassenden Rechtsänderungen in der Migrationssicherheitsagentur sich die innen- und die außenpolitische Dimension der Migrationspolitik im Gleichklang befinden. Die aktuell geforderte "Kehrtwende" wird seit 2016 schrittweise vollzogen.

Thym: Europäische Migrationspolitik muss effizienter werden

Thym betont, es sei wichtig, die Kontrollsignale nicht als Selbstzweck oder als alleinige Lösung zu verstehen, sondern als Teil eines Steuerungskonzepts. Als Teil einer umfassenden "Toolbox". Zu den weiteren Werkzeugen zählten einerseits solche, die restriktiv wirken, wie etwa die Einführung von strengen Grenzverfahren für alle Asylsuchenden oder die Kooperation mit Herkunfts- und Drittstaaten im Rahmen von Drittstaatenmodellen. Andererseits solche, die die Türen öffnen, wie etwa der Ausbau legaler Einreise im Rahmen von Resettlement- und Migrationsabkommen. Alle diese Maßnahmen seien notwendig, um die irreguläre Migration wirksamer zu bekämpfen und die gewünschte Einwanderung stärker zu fördern als bisher.

In seiner Analyse beleuchtet Thym sowohl die humanitären Aspekte als auch die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Dimensionen der Migration. Dabei geht es nicht nur um die rechtlichen Instrumente, die zur Steuerung von Migration zur Verfügung stehen, sondern auch um die zugrunde liegenden ethischen und gesellschaftlichen Fragen, die allerdings im Wesentlichen aus einer deutschen Binnenperspektive beleuchtet werden. 

Hier betont Thym die Notwendigkeit und Unausweichlichkeit einer europäischen Kooperation zur effektiven Migrationssteuerung. Perspektivisch sei die Schaffung einer europäischen Asylbehörde mit Entscheidungskompetenz notwendig. Mit deutlicher Kritik an der europäischen Migrationspolitik und insbesondere deren rechtlicher Ausgestaltung spart der Autor dabei nicht.

Der Konjunktiv als Absicherung

Das Buch ist auch ein sehr persönliches Buch. Es erzählt viel über die berufliche wie private Biografie des Autors und macht somit seine Perspektive greifbar. Das führt einerseits dazu, dass die Herkunft und Zielrichtung von Thyms Positionierung als renommierter deutscher Rechtsprofessor und Politikberater im Migrationsrechtsbereich mit guten Kontakten nach Brüssel klarer wird. Es hat umgekehrt allerdings zur Folge, dass wirtschaftliche, europäische und migrantische Perspektiven auf Deutschland zu kurz kommen. 

Der wirtschaftliche Schaden, den die auf Asyl fokussierte europäische und deutsche Migrationsdebatte nach sich zieht, findet genauso wenig Eingang in die Betrachtungen wie eine überstaatliche europäische Perspektive.

In diesem Kontext erklärt Thym – aus einer deutschen Perspektive – mit wenigen Federstrichen die 2026 in Kraft tretende Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) für eine Totgeburt. Es sei nicht gelungen, "das Dublin-System vernünftig aufzustellen" (S. 95). Daher fordert er, eine neue Reform anzustoßen. Dieser Prozess könne unter Führung Deutschlands symbolisch durch die Aussetzung der Dublin-Regeln und sich daran anschließende Zurückweisungen von Asylsuchenden an den Binnengrenzen befördert werden. Nach Thym "könnte dies die Initialzündung für ein grundlegende EU-Reform darstellen" (S. 215).

Der auch an vielen anderen Stellen des Buches genutzte Konjunktiv, der die erhoffte Folge als nicht sicher einstuft, wirkt so, als wollte sich der Autor bereits vorsorglich absichern. Absichern für den Fall, dass eine Migrationspolitik nach Thyms Vorstellungen umgesetzt werden und doch scheitern sollte. Das Buch könnte aufgrund seiner Schlussfolgerungen als eine zum Scheitern verurteilte Handreichung für den Berliner Politikbetrieb bezeichnet werden. Das wäre in dieser Deutlichkeit allerdings etwas ungerecht, da es an vielen Stellen sehr differenziert und austariert ist.

Zurückdrehen menschenrechtlicher Standards ist nicht vorgesehen

Praktisch und dogmatisch ist nicht überzeugend, dass Thym basierend auf den unzureichend komplexen Topoi der angeblichen Großzügigkeit und des vermeintlichen Steuerungsverzichts des deutschen Migrationsrechts argumentiert. Er nutzt dies, um die Verantwortung für den "Kontrollverlust" einseitig der angeblich entgleisten gerichtlichen Praxis und der überbordenden Administration zuzuweisen. Eine Kritik, der sich der Autor rein vorsorglich entzieht, indem er gleich zu Beginn des Werks (S. 15) eine "mittlere Abstraktionsebene" einnehmen will, die es wohl erlauben soll, praktische Schwierigkeiten und dogmatische Streitigkeiten auszublenden. 

Dogmatische Schwächen hat das Buch vor allem im flüchtlings- und menschenrechtlichen Bereich, da es eine "dynamische" Auslegung der Menschenrechte beklagt und diese für zurückdrehbar erklärt, obwohl sich dogmatisch die Notwendigkeit einer "evolutiven" Auslegung der Menschenrechte aus den Menschenrechtspakten von 1966 und der EMRK ergibt. Das geforderte Zurückdrehen der Standards ist rechtlich gerade nicht vorgesehen. Weitgehend unerwähnt bleibt, dass Deutschland historisch immer ein Land war, das im Migrationsrecht solche erweiternden Auslegungen möglichst lange nicht übernommen hat (etwa bei der Anerkennung der nichtstaatlichen und der geschlechtsspezifischen Verfolgung) und regelmäßig restriktiv auslegt (etwa beim europäischen subsidiären Schutz). Auch die möglichen tatsächlichen Folgen eines Zurückschraubens der verfahrensrechtlichen und materiellen Standards beim menschenrechtlichen Refoulement-Verbot werden nicht beschrieben. 

In seinem Buch bleibt sich der Autor als rechtswissenschaftlicher Politikberater treu: Er zeigt viele Möglichkeiten auf, wie das Recht restriktiver ausgelegt und staatlichen Kontrollinteressen untergeordnet werden kann, ohne offensichtliche Rechtsverletzungen vorzuschlagen. Für die vom Autor ebenfalls ausführlich und zu Recht betonte Notwendigkeit einer klareren und entschlackten Asyl- und Migrationsgesetzgebung leisten solche Hinweise auf rechtliche Schlupflöcher allerdings keinen konstruktiven Beitrag, da sie vor allem eine Handreichung für weitere kleinteilige restriktive Änderungen beinhalten. Gerade die seit 2016 auf Migrationskontrolle und -verhinderung ausgerichtete Grundrichtung der hyperaktiven deutschen Gesetzgebung hat wesentlich dazu beigetragen, das Gefühl des Kontrollverlusts zu befördern und die angebliche Bedrohung des Rechtsstaats durch irreguläre Migrationsbewegungen im diskursiven Mainstream salonfähig zu machen.

Buch regt zur Diskussion an

Positiv gewendet bietet das Buch an vielen Stellen aber eine fundierte und differenzierte Analyse der Migrationspolitik der vergangenen zehn Jahre. Es regt zu einer reflektierten Diskussion über die besten Wege der Migrationssteuerung an. Thym plädiert für eine Politik, die Migration als Chance begreift, statt sie nur als Problem zu betrachten, und für eine offene und diskursive Neuvermessung der "Einwanderungsrepublik Deutschland". 

Die damit formulierten Anliegen setzen sich positiv von den immer kleinteiliger werdenden, angeblich notwendigen und oft rein symbolischen Nachjustierungen des Aufenthalts-, Asyl- und Migrationssozialrechts ab, die wir im vergangenen Jahrzehnt erlebt haben und deren Folgen der Autor zurecht als unüberblickbar kennzeichnet. 

Für alle, die sich für den aktuellen Stand der deutschen Migrationspolitik und die dort vertretenen Positionen interessieren, ist das Buch eine gute Orientierung. Es zeigt auch auf, in welchem Rahmen und welchen Grenzen über Migrationsrecht und Migrationspolitik in Deutschland politisch diskutiert wird. In dieser Hinsicht ist es ein wichtiges Zeitdokument für alle, die wie Daniel Thym Einfluss auf die Debatte und die Migrationspolitik nehmen wollen.

Der Rezensent Professor Dr. Constantin Hruschka ist Migrationsrechtler und Professor für Sozialrecht an der EH Freiburg.

Zitiervorschlag

Buchrezension "Migration steuern": . In: Legal Tribune Online, 09.04.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56974 (abgerufen am: 22.05.2025 )

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