Lust an der Vermummung: Ein halbes Jahr­hun­dert Kampf um die Masken

von Martin Rath

26.04.2020

Sich mehr oder weniger kunstvoll das Gesicht zu verhüllen, warf immer wieder Rechtsprobleme auch außerhalb des Seuchen- und Versammlungsrechts auf. Besonders hartnäckig war ein Fall aus Kanada zu indigenen Kult-Masken.

Vom medizinischen oder ästhetischen, vom rechtlichen oder psychologischen Standpunkt wird dieser Tage der Streit um die wettbewerbsförderalistisch ins Kraut schießende Pflicht, sich das Gesicht zur Abwehr von Covid-19-Sputum hinter ein Stück Textil zu zwängen, vermutlich erst beginnen.

Die Kunst der Vermummung oder Maskierung – oder wie immer auch das Textil benannt werden will – wurzelt derart tief in der Kulturgeschichte, dass die Details gern schon einmal aus dem Blick geraten.

Wie archaisch die Maske ist, lässt sich am Beispiel von Art. 16 Abs. 2 und 4 i.V.m. Art. 20 Abs. 2 Bayerisches Versammlungsgesetz (BayVersG) zeigen. Einerseits ist es bereits strafbar, auf dem Weg zu Versammlungen unter freiem Himmel Gegenstände mitzuführen, die bezwecken, das Gesicht namentlich vor den Augen der Polizei zu verhüllen. Andererseits macht Artikel 16 Abs. 4 BayVersG eine Ausnahme unter anderem für "Bittgänge und Wallfahrten", "gewöhnliche Leichenbegräbnisse" oder "hergebrachte Volksfeste".

Diese gesetzlichen Ausnahmen verweisen, vermutlich eher zufällig als bewusst, in die Tiefenschichten der Rechtssprache. Denn die zentrale Vokabel der "Person" rührt vom lateinischen "persona" her, mit der die Maske unter anderem des antiken Schauspielers bezeichnet wurde. Dieses Wort benannte nach einer etymologischen Erklärung die Maske als einen Gegenstand, durch den der Mensch seine Stimme hindurch klingen lassen ("per sonare") kann. Alternativ wird vertreten – beispielsweise im Chambers Dictionary of Etymology –, dass die alten Römer "persona" von der etruskischen "phersu" entlehnt haben – einer rituellen Maske, die von Angehörigen dieses untergegangenen italischen Völkchens bei Begräbnisfeierlichkeiten und anderem Mummenschanz getragen wurde. Etrusker hätten mit dem bayerischen Versammlungsrecht also keine Probleme gehabt.

Erbitterter Streit um Maskeraden in Nordamerika

Hatten sich außerhalb des Versammlungs- und neuerdings des Seuchenrechts die juristischen Probleme mit Masken hierzulande lange Zeit weitgehend in die Philologie verflüchtigt, fanden anderenorts erbitterte Kämpfe um das Recht des Maskentragens statt.

In den USA pflegten Mitglieder des Ku Klux Klan (KKK), der seine Symbolsprache zu guten Teilen aus einer schlecht verdauten Schottlandromantik des britischen Juristen und Dichters Walter Scott (1771–1832) entlehnt hatte, bekanntlich einst, ihre weißen Zipfelmützen zur Bedrohung von Afroamerikanern, Juden und Katholiken aufzusetzen. Die Begründung der Klan-Männer wandelte sich dabei im Lauf der Jahrzehnte, wie ein US-Richter sardonisch anmerkte: Statt mit der Maske andere einzuschüchtern wehrten sie sich seit den 1960er Jahren gegen das Gebot, ihr Gesicht zu enthüllen, weil sie sich nun selbst von einer Umwelt eingeschüchtert sahen, die von der alten Leitkultur des Rassismus nicht mehr sonderlich viel hielt.

Während sich die amerikanischen Auseinandersetzungen um die KKK-Maskierung nahtlos in die bis heute anhaltende Kontroverse einfügen, wie viel persönliches "Gesichtzeigen" der öffentliche Streit im liberalen Verfassungsstaat von den Bürgerinnen und Bürgern verlangt – nicht sehr viel, wie hierzulande der Blick in § 13 Abs. 6 Telemediengesetz (TMG) verrät – findet sich in der Rechtsgeschichte des benachbarten Kanada ein erbitterter Kampf um das Maskentragen, der auf ganz andere Weise mit Fragen nach (staats-) bürgerlicher Freiheit und Gleichheit verbunden war.

Rituale mit Masken werden hart bestraft

Durch den sogenannten "Indian Advancement Act" vom 19. April 1884, meist nur kurz als "Indian Act" oder Indianergesetz referenziert, wurden die Angehörigen der indigenen Völker Kanadas unter anderem einer Art Kommunalverfassungsrecht unterworfen. Damit einher ging jedoch kein seinerzeit beispielsweise in Deutschland noch stark als solcher verstandener Zuwachs an bürgerlicher Handlungsmacht durch Selbstverwaltung der örtlichen Gemeinschaft, an den Artikel 28 Abs. 2 Grundgesetz (GG) heute etwas museal erinnert, sondern ein tief von Überzeugungen religiöser und rassischer Überlegenheit motivierter Eingriff in die bisherige Staatsferne der kanadischen sogenannten Ureinwohner – beispielsweise in Gestalt eines schier unfassbaren Versuchs, indigenen Kindern durch Residenz- und Schulpflicht die sprachliche und kulturelle Tradition zu nehmen.

Zum 1. Januar 1885 trat eine ergänzende Regelung zum "Indian Act" in Kraft, die es "jedem Indianer oder jeder anderen Person" verbot, sich an den "indianischen Feierlichkeiten" zu beteiligen, die als "Potlatch" oder als Tanz namens "Tamanawas" bekannt geworden seien. Über die Teilnahme hinaus war bereits die Werbung für oder die psychische Beihilfe zu diesen rituellen Handlungen mit Haftstrafe zwischen zwei und sechs Monaten bedroht.

Die Potlatch-Feiern brachten es in der Ethnologie und darüber hinaus vor allem dank der Arbeit des amerikanischen Gelehrten Franz Boas (1858–1942), Sohn einer jüdischen Familie aus Westfalen, zu erheblicher Prominenz. Bei diesen Feiern wurden in ritueller Form Geschenke gemacht, die auch den sozialen Rang des Gebers in seiner Abstammungsgemeinschaft markierten – ein Umstand, der nach Ansicht der örtlichen Vertreter des britischen Imperiums neben seiner "heidnischen" Herkunft auch deshalb anstößig war, weil das exzessive Verteilen von Geschenken die Potlatch-Teilnehmer mitunter dazu brachte, sich wirtschaftlich völlig zu verausgaben. Dieses an sich funktionierende System "stammesrechtlich" beziehungsweise kultisch gebotener Geschenke war nicht zuletzt in den frühen Zeiten ihres Kontakts dadurch aus den Fugen geraten, dass viele lokale Anführer an Krankheiten verstorben waren, die europäische Zuwanderer eingeschleppt hatten.

Als christliches Weihnachtsfest getarnt

Zunächst beispielsweise als christliches Weihnachtsfest getarnt wurden Potlatchs weitergeführt, bis sich in den 1920er Jahren die kanadische Staatsgewalt intensiver um die Durchsetzung des Verbots bemühte.

Zum Fanal geriet der Umgang mit einem Potlatch, das der Ortsvorsteher einer kleinen Gemeinde der Kwakwakaʼwakw-Ethnie auf der pazifischen Cormorant-Insel im Jahr 1921 in Gang brachte. Polizisten und Beamte der Indianer-Behörde unterbanden die Feier und brachten die Teilnehmer zur Anklage – 22 der Potlatch-Feiernden wurden zu zwei Monaten, vier zu sechs Monaten Haft verurteilt. 23 Gemeindemitglieder konnten eine Bewährungsstrafe unter der Auflage aushandeln, rund 450 rituelle Gegenstände auszuhändigen, darunter insbesondere Masken aus Zedernholz.

Mit den Masken wurde den Trägern die Möglichkeit genommen, sich in prominente Tiere wie Wölfe oder Bären zu verwandeln, ihre Zugehörigkeit zur geheimen Hamatʼsa-Kultusgemeinschaft auszudrücken und in Ritualen mit einem Geisterwesen namens Baxbaxwalanuksiwe in Verbindung zu treten, das Vertretern einer christlichen Moralität als symbolisch anthropophage – Menschenfleisch verzehrende – Fantasiekreatur ganz besonders ein Dorn im Auge war.

Die Kwakwakaʼwakw-Masken wurden nicht zerstört, sondern teils in Kanada und den USA musealisiert, teils auf dem internationalen Kunstmarkt verkauft. Insbesondere die Künstler des seinerzeit hoch im Kurs stehenden Surrealismus waren regelrecht vernarrt in Masken asiatischer, afrikanischer oder amerikanischer Kulturen.

Nachdem im Jahr 1951 das Potlatch-Verbot des "Indian Act" aufgehoben worden war, strebte die Gemeinde die Rückübereignung der Masken und anderen Kult-Gegenstände an – wobei sie sich 1967 bereit erklärte, den Museen jenen Preis zu erstatten, den diese 1921/22 an die räuberischen Behördenvertreter entrichtet hatten. Diesem Angebot verweigerte man sich zunächst mit dem Argument, die entschädigungslos enteigneten Kwakwakaʼwakw müssten die musealen Restaurations- und Pflegeleistungen an den Gegenständen vergüten.

Beharrlichkeit und ein moralischer Sinneswandel in der kanadischen Gesellschaft führten schließlich dazu, dass die 1921 von Staats wegen geraubten Masken und weiteren Kultgegenstände seit 1975 nach und nach rückübereignet wurden. Gewiss nicht unwesentlich trug dazu bei, dass die Potlatch-Rituale – der Ethnologe Franz Boas hatte ihre Durchführung als ein "strenges Gesetz" unter den Kwakwaka’wakw beschrieben – über die Jahrzehnte weiter praktiziert worden waren, als Gaben christlicher Mildtätigkeit und durch Zergliederung in rituelle Teilakte vor den Augen der Obrigkeit getarnt. Insofern ließ es sich leicht glaubhaft machen, dass die Restitution keinen unwürdigen Zwecken diente.

Persönlichkeit durch die Maskerade ausdrücken?

Wenn in diesen Tagen die "unterhaltsamste Fläche auf der Erde", wie Georg Christoph Lichtenberg (1742–1799) das menschliche Gesicht nannte, aufgrund einer Mischung aus staatlichem Verordnungswesen und zwischenmenschlicher Neigung, einander wegen verbotswidriger Blößen anzuherrschen, unter infektionsmedizinisch mehr oder weniger sinnvolle Textilien und Kunststoffe gezwungen wird, mag bei der sich dann aufdrängenden Frage, ob und wie lange das wohl normativ geboten sein wird, zumindest der Gedanke trösten, dass Lust und Leidenschaft für Maskeraden, dass Form und Sinngehalt der Masken stets für einen faszinierenden kulturellen Reichtum sprachen – und so stark ausgeprägt sein konnten, dass ein armes und geknechtetes Indianerdorf an der kanadischen Pazifikküste mehr als ein halbes Jahrhundert dafür stritt, die ihren zurückzubekommen.

Zitiervorschlag

Lust an der Vermummung: Ein halbes Jahrhundert Kampf um die Masken . In: Legal Tribune Online, 26.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41414/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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