Berufsziele: Dip­lom­bür­ge­r­aus­bil­dung

von Martin Rath

14.07.2013

Des 125. Geburtstags des berühmt-berüchtigten Staatsrechtslehrers Carl Schmitt wurde dieser Tage mancherorts gedacht. Bazon Brock, ein Kunstprofessor aus Wuppertal, hat in den vergangenen Jahren versucht, in Karlsruhe einen kleinen Schmitt-Exorzismus zu etablieren. Sein Projekt "Diplom-Bürger" ist damit aber vielleicht nicht zu Ende gedacht. Ein Essay von Martin Rath.

"Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet." Mit diesem Satz aus seiner "Politischen Theologie" von 1922 hat sich Carl Schmitt (1888-1985) einen ewigen Platz in den Herzen vieler politischer Philosophen und Juristen gesichert – von ganz rechts bis ganz links, was hierzulande ja merkwürdigerweise als Qualitätsmerkmal gilt.

Zwischen 2010 und 2012 veranstaltete die Staatliche Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe eine eigenartige Reihe von "Diplomstudien", die sich nach den Worten des Kunstprofessors Bazon Brock, der sie mit initiiert hatte, wie ein Schmitt-Exorzismus ausnimmt: Souverän sei nicht, wer über "den Ausnahme-, sondern über den Normalfall entscheidet".

Damit der Mensch und Bürger beim Entscheiden nicht wieder ganz auf sich allein gestellt sei, sollten die Lehrveranstaltungen des Karlsruher Curriculums zu "Abschlüssen" als "Diplom-Bürger", "Diplom-Gläubige", "Diplom-Konsumenten", "Diplom-Patienten" und "Diplom-Rezipienten" führen.

Nur eine Mischung aus Kindergeburtstag und VHS-Kurs?

Was wie eine Mischung aus Belustigung am Kindergeburtstag, Peter-Sloterdijk-Vortragsreihe und Volkshochschulveranstaltung für gelangweilte Hausfrauen (m/w) wirkt, erhält von Dieter de Lazzer, Rechtsanwalt und Drehbuchautor, im programmatischen Reader zur Veranstaltungsreihe die notwendige bildungshistorische und -theoretische Unterfütterung: Die Schulbildung und – spätestens seit Einführung von Bachelor und Master – auch die Hochschulbildung liefen immer stärker auf ein äußerliches "Durchnehmen" heraus, das eine "Verinnerlichung" des Wissens durch Übung behindere.

"Wer heute nicht weniger gesund aus dem Krankenhaus entlassen werden will, als er hineinging, muss schon Erhebliches über unser Gesundheitssystem gelernt haben", beschreiben die Karlsruher Veranstalter, der TV-bekannte Philosoph Peter Sloterdijk und Kunstprofessor Brock beispielhaft die Folgen dieser Bildungs-Unmündigkeit in Zeiten eines Bildungsbetriebs, der unter dem Schlagwort "Lebenslanges Lernen" in starkem Maß nur lebenslanges Durchnehmen anzubieten hat.

Gerichtsnotorischer Berufsrevolutionär

Die Gesellschaft reagiert diese Folgen bekanntlich vor allem mit der Forderungen nach staatlicher Kontrolle und juristischem Schadensersatz. Am Beispiel von rund 600.000 Infektionserkrankungen, die sich Patienten erst beim Aufenthalt im Krankenhaus zuziehen, und rund 15.000 Sepsis-Todesfällen jährlich, hat diese Reaktion wenig Tröstliches.

Dass die Ausbildung zum "Diplom-Patienten", so sie nicht ohnehin ironisch gemeint war, aber trotz dieses Befundes ein wenig merkwürdig wirkt, hat sicher nicht allein damit zu tun, dass professionelle Dienstleister wie Ärzte oder Anwälte allzu "informierte" Patienten oder Mandanten als leicht querulatorisch wahrnehmen: Schlimm, was die Leute sich heute alles aus dem Internet anlesen.

Abgesehen von der etwas lästigen Informiertheit der "Laien" findet sich sogar ein regelrechter Beruf, den mancher ergreift, wenn nach Lebensphasen bloß "durchgenommener" Bildungseinheiten eine ungesteuerte "Verinnerlichung" stattgefunden hat: Der etwas schmuddelige Vorgänger des in Karlsruhe geadelten "Diplom-Bürgers" dürfte der gerichtsnotorische "Berufsrevolutionär" sein.

Dieser macht seinen Auftritt in einem Urteil des Landgerichts Gießen vom 9. Oktober 2009 (Az. 8 Ns – 501 Js 15915/06): "Der heute 45 Jahre alte Angeklagte … ist ledig. Er hat zwei Kinder im Alter von jetzt 13 und 16 Jahren, die nicht bei ihm leben. Sein Studium/Ausbildung zum Landschaftsplaner schloss er nicht ab. An regelmäßigem und vor allen Dingen fremdbestimmten Gelderwerb in abhängiger Beschäftigung ist er nicht interessiert. Auf offizielle Urkunden und Zertifikate einer abgeschlossenen Ausbildung oder eines abgeschlossenen Studiums legt er keinen Wert. Der Angeklagte ist Initiator, intellektueller Kopf und mediales Sprachrohr der Projektwerkstatt in … Hierbei lehnt es der Angeklagte auch ab, seine investigativen journalistischen Fähigkeiten finanziell zu nutzen. […] Sonstiger Lebensbedarf wie etwa Sanitärartikel wird auch durch geschicktes Erbetteln bei Unternehmen beschafft. Der Angeklagte bezeichnet sich als Berufsrevolutionär."

Arbeitslose Juristen bald unfreiwillige Berufsrevolutionäre?

Darin liegt vielleicht auch eine Perspektive für so manchen Juristen. In der jüngst vom Deutschen Anwaltverein publizierten Prognos-Studie "Der Rechtsdienstleistungsmarkt 2030" wird für die nächsten zwei Jahrzehnte ein weiterhin starkes Wachstum des sogenannten Anwalts-"Prekariats" prognostiziert. Dazu zählen nach DAV/Prognos-Zahlen derzeit mindestens sieben Prozent der deutschen Anwälte, nach realistischer Einschätzung aber wohl zehn bis 15 Prozent, die mit einer schwierigen bis mangelhaften Ertragslage klarkommen müssen.

Eine Vollzeitbeschäftigung mit weniger als 20.000 Euro Jahreseinkommen könnte, angesichts der Studentenzahlen, eine realistische Zukunftsaussicht für eine wachsende Gruppe von Juristinnen und Juristen sein. Supermarktcontainer nach Essbarem zu Durchwühlen und Sanitärartikel zu Erbetteln – das Tagwerk des hessischen "Berufsrevolutionärs" und seiner Genossen – mag dann zwar immer noch fern liegen.

Doch wie steht es um die bildungsbiografische Dynamik, die in einer großen Anzahl "über den Marktbedarf hinaus" ausgebildeter Juristinnen und Juristen liegt? Da lernen Menschen über fünf, sechs, sieben Jahre hinweg ihren Bildungsstoff oftmals in eben jener oberflächlichen, von Sloterdijk & Brock beklagten Weise. Was, wenn sie danach keinen Arbeitsplatz mehr finden, um die zahlreichen grauen Theorien in die Praxis zu überführen?

Gut möglich, dass sie sich dann entscheiden müssen: Als "Berufsrevolutionär" mit Carl Schmitt im Herzen auf einen Ausnahmezustand zu warten, der Planstellen freimacht, oder als als "Diplom-Bürger" nach den Vorstellungen der Karlsruher Professoren gesellschaftlich nützlich werden – jenseits des klassischen Juristenhandwerks.

Die Vorhut der Bindestrich-Diplome ist ja heute schon unterwegs: Den Schriftstellerinnen oder Versicherungsmaklern mit der "Befähigung zum Richteramt" könnten die Landwirte und Krankenschwestern folgen. Denkt man das zu Ende, darf man um das Jahr 2050 mit dem ersten Richter am Bundesverfassungsgericht rechnen, der aus dem Kuhstall nach Karlsruhe berufen wird.

Vielleicht sollten karriereorientierte Studenten heute schon einmal ihre Kenntnisse zu Artikel 20a Grundgesetz vertiefen.

Literatur: Bazon Brock, Peter Sloterdijk (Hg.): "Der Profi-Bürger". Handreichungen für die Ausbildung von Diplom-Bürgern, Diplom-Patienten, Diplom-Konsumenten, Diplom-Rezipienten und Diplom-Gläubigen. 108 Seiten, erschienen in der Schriftenreihe der Hochschule für Gestaltung, Karlsruhe im Verlag Wilhelm Fink für erstaunliche 14,90 Euro.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Journalist und Lektor in Köln.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Berufsziele: Diplombürgerausbildung . In: Legal Tribune Online, 14.07.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9135/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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