Burkhard Hirsch zum Achtzigsten: Im Zweifel für das Recht

Man kennt ihn als Streiter für den Rechtsstaat: Ob Lauschangriff, Luftsicherheitgesetz oder Vorratsdatenspeicherung – stets wusste er diese Angriffe in Karlsruhe zu parieren. Der FDP-Rechts- und Innenpolitiker Burkhard Hirsch ist 80 Jahre alt geworden.

"Recht oder Unrecht – mein Land? Mein Land oder nicht mein Land – das Recht!" Was Kurt Tucholsky 1929 als Widmung in ein Buch schreibt, das könnte auch Burkhard Hirsch unterschreiben.

Geboren am 29. Mai 1930 in Magdeburg, flieht der Jubilar 1948 von Halle aus in den Westen, nachdem er eine Warnung erhalten hat. Gerade erst hatte der frischgebackene Abiturient als Chemiehilfsarbeiter bei Leuna angefangen und war der Liberal-Demokratischen Partei beigetreten. In dem liberalen Ableger der Blockflöten-Parteien muss Burkhard Hirsch jedoch schon früh als unbequem aufgefallen sein.

"Seine Erfahrungen mit den freiheitsfeindlichen Machenschaften der kommunistischen Machthaber haben ihn tief geprägt und motiviert, konsequent für die rechtsstaatlichen Freiheiten des Einzelnen einzutreten", erklärte Hirschs politischer Weggefährte Gerhart Baum dessen Leitmotiv (1).

Rechtsanwalt – Anwalt des Rechts

Seine Flucht führt Burkhard Hirsch nach Marburg, wo er 1949 der FDP beitritt. In der mittelhessischen Universitätsstadt studiert er Rechts- und Staatswissenschaften und promoviert 1961 über den "Begriff des Bundesstaates in der deutschen Staatsrechtslehre". 1964 wird Hirsch als Rechtsanwalt zugelassen und arbeitet unter anderem als Justitiar und Direktor in der Wirtschaft.

Als Hirsch schon seit drei Jahren im Bundestag sitzt, wird er 1975 zum Innenminister von Nordrhein-Westfalen berufen. "Seine rechtsstaatlichen Grundüberzeugungen bewährten sich bei den Herausforderungen durch den RAF-Terrorismus, beim Umgang mit Massenprotesten gegen den 'Schnellen Brüter' in Kalkar, bei der Gemeindereform und bei der Entwicklung eines neuen Polizeirechts", erinnert sich Gerhart Baum (1).

"Jeder hat Anspruch auf Schutz seiner personenbezogenen Daten. Eingriffe sind nur in überwiegendem Interesse der Allgemeinheit auf Grund eines Gesetzes zulässig." Dass diese Sätze heute in der nordrhein-westfälischen Landesverfassung von stehen, ist Burkhard Hirsch zu verdanken. Das ist nicht weiter überraschend, wenn man an die später von ihm mit erfochtenen Urteile zum großen Lauschangriff und zur Vorratsdatenspeicherung denkt. "Das Datenschutzthema hat ihn ein Leben lang begleitet", so der Mitbeschwerdeführer Gerhart Baum.

1980 kehrt Hirsch in den Bundestag zurück, wo er seiner Partei als rechts- und innenpolitischer Sprecher und dem Parlament von 1994 bis 1998 als Vizepräsident dient. Ein wunderbarer Bundesjustizminister wäre aus Burkhard Hirsch geworden, ist Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung überzeugt. Die FDP aber entscheidet anders: Das Rennen machen Klaus Kinkel und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

Mit der damaligen und jetzigen Bundesjustizministerin verbindet Hirsch allerdings viel, sogar so viel, dass sie auch "die Hirschin" genannt wird. Ihre gemeinsame Vorstellung vom Rechtsstaat bringt beide dazu, im Streit über den großen Lauschangriff ihre Ämter 1996 niederzulegen, er als innenpolitischer Sprecher der FDP, sie als Bundesjustizministerin.

"Burkhard, der Rechtsstaatliche"

Wohl auch über diesem Streit möchte der Parlamentarier Hirsch seinen Kollegen als Pflichtlektüre Savignys Schrift "Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft" aufgeben: "Um sie von der Illusion zu befreien, sie könnten mit Gesetzen politische Streitfragen lösen", wie  er einmal in der FDP-Zeitschrift "liberal" schreibt. Im Grundrechte-Report von 2008 beklagt er, dass es leichter sei, dem Ruf nach Law and Order nachzukommen, "als dem Wähler zu erklären, dass ein absoluter Schutz ebenso wenig möglich ist, wie die Zehn Gebote es jemals verhindern konnten, ständig gebrochen zu werden."

Die Sorge um den Rechtsstaat treibt den Rechtspolitiker auch im politischen Unruhestand weiter um. Burkhard Hirsch, der stets die Gesetzesmaterie sehr genau kannte und von den Ministerialbeamten wegen seiner Sachkunde gefürchtet war, verteidigt zusammen mit Gerhart Baum und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger den Rechtsstaat vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich gegen den großen Lauschangriff, das Luftsicherheitsgesetz und fürs Erste die Vorratsdatenspeicherung.

"Seit den 1980er Jahren haben wir in der Bundesrepublik eine innenpolitische Aufrüstung über uns ergehen lassen, die von hektischer und wahlkämpferischer Polemik geprägt war", bilanziert Hirsch im Grundrechte-Report von 2008. "Wir sind auf dem Weg in den Überwachungsstaat", stellt er fest. "Es gilt", zitiert er die Verfassungsrichterinnen Jaeger und Hohmann-Dennhardt aus dem Lauschangriff-Urteil, "nicht den Anfängen, sondern dem bitteren Ende zu wehren." (1)

In diesem Abwehrkampf muss Burkhard Hirsch den Verfechtern von Law and Order so manche Lektion erteilen, den Analphabeten des Grundgesetzes wortwörtlich aus der Verfassung vorlesen. Zum Vermummungsverbot etwa sagt er dem SPIEGEL: "In meiner Verfassung steht nicht, dass einer sein Gesicht zeigen muss." Mit Nachdruck weist Hirsch auch darauf hin, dass die Verfassung ein Grundrecht auf innere Sicherheit nicht kenne.

Hirschs Einsatz für den Rechtsstaat ist so bezeichnend, dass Heribert Prantl ihn nach einer schönen Sitte aus dem Mittelalter gar "Burkhard, den Rechtsstaatlichen" nennen möchte.

"Bedenke, wir leben in einem Rechtsstaat"

"Bedenke, wir leben in einem Rechtsstaat." Diesen Satz aus dem von ihm 1929 besprochenen "A-B-C des Angeklagten" möchte Kurt Tucholsky beherzigt wissen. Für Tucholsky, einen von Hirschs liebsten Schriftstellern, stellt sich allerdings der Rechtsstaat von damals als ein Ort dar, "wo der Paragraph alles, das Individuum aber nichts gilt."

Auch in seinem neunten Lebensjahrzehnt wird Burkhard Hirsch weiter dafür kämpfen, dass der Rechtsstaat nicht pervertiert wird. Damit es nicht wie bei Tucholsky wieder heißt: "Justitia! Ich wein bitterlich: / Du gehst auf einen langen _____________".

Burkhard Hirsch ist zu seinem 80. Geburtstag zu wünschen, dass er weiterhin Zeit findet für die für ihn unsterbliche Lyrik Joseph Eichendorffs und vor allem die "5 PS": Kurt Tucholsky, Kaspar Hauser, Peter Panter, Theobald Tiger und Ignaz Wrobel.

In die Reihe der Gratulanten hat vor allem Justitia allen Grund sich einzureihen. Schwooft Justitia bei Tucholsky auch schon einmal – "sie biegt sich und schmiegt sich" –, hat der Jubilar ihr in einem fast sechzig Jahre währenden Einsatz für den Rechtsstaat das Rückgrat gestärkt. Und so wird Justitia ihr Richtschwert für einen Moment, aber nur einen kurzen Moment, aus der Hand nehmen können, um Burkhard Hirsch die Hand zu reichen und zu wünschen: Ad multos annos!

Der Autor Jean-Claude Alexandre Ho ist freier Journalist mit juristischem Fokus und Verfasser von Publikationen u.a. zum Thema Recht und Literatur.

(1) Gerhart Rudolf Baum, Burkhard Hirsch – ein Kämpfer für die Grundrechte. Erinnerungen eines Weggefährten, in: Roggan, Fredrik (Hrsg.), Mit Recht für Menschenwürde und Verfassungsstaat: Festgabe für Dr. Burkhard Hirsch anlässlich der Verleihung des Fritz-Bauer-Preises der Humanistischen Union

Zitiervorschlag

Jean-Claude Alexandre Ho, Burkhard Hirsch zum Achtzigsten: Im Zweifel für das Recht . In: Legal Tribune Online, 01.06.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/615/ (abgerufen am: 16.04.2024 )

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