Von "kommunistischen Sprachreglern" erfunden?: Warum "Deut­sch­land" nicht "BRD" heißen durfte

von Martin Rath

09.03.2025

Nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland herrschte Unsicherheit, wie sie offiziell bezeichnet werden sollte. Die Abkürzung "BRD" fiel dabei seit den 1970er Jahren einer Vorform heutiger "Wokeness" zum Opfer.

Es liegt eine grobe und eine feine Ironie darin, dass es ausgerechnet der Staats- und Völkerrechtsgelehrte Wilhelm G. Grewe (1911–2000) war, der wohl als erster in einer juristischen Fachzeitschrift die neue Bundesrepublik Deutschland als "BRD" abkürzte.

Grewe, ein Schüler des heute vielen Juristinnen und Juristen immerhin noch vage bekannten Verwaltungs- und Staatsrechtslehrers Ernst Forsthoff (1902–1974), beschäftigte sich in einem kurzen Aufsatz, veröffentlicht am 20. Juni 1949, mit der besatzungsrechtlichen Situation der im Monat zuvor gegründeten Bundesrepublik Deutschland.

Sein Aufsatz geht auf sprachliche Feinheiten ein – etwa, dass es subtiler sei, von einem "Besetzungsstatut", statt von einem "Besatzungsstatut" zu sprechen. Darin kündigte sich an, dass Grewe bald als hochrangiger Diplomat tätig werden sollte. Die Bundesrepublik Deutschland kürzte er aber ganz unbefangen, ohne alle Wortklauberei, mit "BRD" ab.

Das sollte sich später deutlich ändern, worin die etwas gröbere Ironie liegt. Auf sie wird gleich zurückzukommen sein. Der feinere Witz kommt dann zum Schluss.

Gerichtshöfe des Bundes wissen noch nicht recht, wo sie sind

Nach Inkrafttreten des Grundgesetzes am 24. Mai 1949 sahen sich zwar nicht allein die Juristen in Westdeutschland mehrheitlich in der Tradition des 1870/71 gegründeten Deutschen Reichs – sie aber ganz besonders.

Denn diese Tradition hatte nicht nur eine normative Dimension, die von der Frage abhing, wie das Ende der Reichsregierung im Mai 1945 rechtlich zu würdigen sei. 

Der in Frankfurt an der Oder lehrende Zivilrechts- und Rechtsgeschichtslehrer Benjamin Lahusen (1979–) belegte jüngst mit seiner Habilitationsschrift "'Der Dienstbetrieb ist nicht gestört!' Die Deutschen und ihre Justiz 1943–1948" auch sehr eindringlich und in einer etwas schwarzen Komik, wie sehr die richterliche Berufstätigkeit, diese Lebenswelt zwischen Akten, sich vom Chaos ihrer Gegenwart durch eine Fiktion bruchloser Kontinuität absetzte.

Naheliegend wurde früh – namentlich zwischen dem neuen Bundesgerichtshof (BGH) und dem noch neueren Bundesverfassungsgericht (BVerfG) – um die Frage gestritten, in welcher Form sich der dienstrechtliche Status von Beamten und Richtern durch die Wirren der Zeit vom Deutschen Reich in die Bundesrepublik Deutschland fortgesetzt haben könnte.

Auf diese Fragen soll aber nicht weiter eingegangen werden, es geht hier um ein eher subtiles Detail – die sprachliche Unsicherheit in der Bezeichnung des neuen oder alten oder irgendwie anders einzuordnenden (west-) deutschen Staates.

Denn in einer beachtlichen Zahl von Entscheidungen der obersten Gerichtshöfe des Bundes nennen diese ihren neuen Staat noch bis in die 1960er Jahre nicht Bundesrepublik Deutschland, sondern wahlweise "Deutsche Bundesrepublik" oder "deutsche Bundesrepublik".

In diesen Entscheidungen deutet sich mitunter an, dass die Prozessparteien mit der staatsrechtlichen Unordnung der Nachkriegszeit konfrontiert waren, etwa dem erst 1957 vollzogenen Anschluss des Saarlandes an die Bundesrepublik (BGH, Urt. v. 12.02.1964, Az. VIII 171/62).

Die "Deutsche Bundesrepublik" tritt z.B. in einem BGH-Beschluss vom 17. Oktober 1952 zur Fortsetzung von Konkursverfahren aus der Zeit des Deutschen Reichs auf (Az. I AZR 350/52), auch das Bundesverwaltungs- und das Bundesarbeitsgericht kannten eine "Deutsche Bundesrepublik", ohne dass allerdings ein Grund für diese Sprachvariante auf der Hand läge.

Recht häufig waren es jedoch Verfahren in sogenannten Wiedergutmachungssachen um Schadenersatz- und Versorgungsansprüche jüdischer Deutscher im Ausland, in denen das Gericht offenbar den unsicheren Wortgebrauch zur Staatsbezeichnung übernahm, den die von deutschen Amtsgeschäften nur noch entfernt betroffenen Prozessparteien in Israel, den USA oder Südamerika pflegten.

Vorspiel der "BRD"-Abneigung – die Deutschlandfrage

Eine etwas gröbere Ironie der später verpönten Abkürzung "BRD" ist nun, dass der mutmaßliche Erstverwender, der Staats- und Völkerrechtsgelehrte Wilhelm G. Grewe, seit September 1949 zum engeren außenpolitischen Beraterkreis von Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876–1967) zählte und als maßgeblicher Urheber der "Hallstein-Doktrin" gilt.

Mit den wieder aufgenommenen auswärtigen Kontakten der Bundesregierung in Bonn stellte sich die Frage, wie mit Regierungen zu verfahren sei, die auch mit der SED-Diktatur in Berlin (Ost) diplomatische Beziehungen pflegen wollten. Unter anderem mit dem Argument, dass allein der Deutsche Bundestag ein frei gewähltes Parlament sei und das Grundgesetz sich als vorläufige Verfassung für das ganze deutsche Volk verstehe, beanspruchte die westdeutsche Regierung, ganz Deutschland in seinen Außenbeziehungen zu vertreten – so die "Hallstein-Doktrin". 

Abgesehen von der Sowjetunion, für die als führende Siegermacht des Zweiten Weltkriegs eine Ausnahme gemacht wurde, drohte die Bundesregierung damit, den vollwertigen diplomatischen Kontakt zu ausländischen Regierungen abzubrechen, die sich auf eine Anerkennung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) einließen.

Erst nachdem der Grundlagenvertrag von 1972 einige Verhältnisse zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik derart entspannt hatte, dass beide 1973 in die Vereinten Nationen aufgenommen wurden, gelang ein weltweites Nebeneinander von diplomatischen Vertretungen der Bundesrepublik und der DDR.

Bis es dahin kam, war – bis auf die Ebene von Anführungszeichen bei "DDR" und nicht nur in der Springer-Presse – jede Wortwahl, die ein Einverständnis mit der Teilung Deutschlands andeuten mochte, stark umstritten.

"Wokeness" avant la lettre – Vokabelstreit im geteilten Deutschland

Zunächst war es dabei nicht nur die Regierung in Bonn, die beanspruchte, für ganz Deutschland zu sprechen. Auch die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) behauptete etwa 1947, einen "demokratischen Einheitsstaat" schaffen zu wollen.

Dass sich die westdeutsche Regierung dem Marshallplan zum wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas anschloss und weitere Schritte zur Westbindung Deutschlands folgten, kommentierten SED-Medien als "Aufteilung" oder "Zersplitterung", ja als "Zerstückelung". Umgekehrt warfen westdeutsche Medien der SED-Regierung vor, die "Zerreißung des Vaterlandes" zu betreiben.

Die Hoheitszeichen der DDR, Schwarz-Rot-Gold mit "Hammer und Zirkel"-Wappen wurden als "DDR-Spalterflagge" angegriffen. Die CDU-nahe "Rheinische Post" erinnerte sich noch anlässlich eines offiziellen West-Besuchs von Erich Honecker (1912–1994) im Jahr 1987:

"Zweimal Schwarz-Rot-Gold am Montag vor dem Kanzleramt in Bonn, riesenhaft, symbolträchtig. Die Farben der Paulskirche, der deutschen Republik. Eines der beiden je 60 Quadratmeter großen Tücher trägt nichts als diese Farben, das andere zusätzlich Hammer und Zirkel im Ährenkranz, das Zeichen der Deutschen Demokratischen Republik. Wer einst just dort im Regierungsviertel miterlebt hat, wie sich alle Demokraten unter dem frischen Eindruck des Mauerbaus über die 'Spalterflagge' erregten, der kann ermessen, welchen Weg wir Deutschen seit 1961 bis zu dem Tag zurückgelegt haben, an dem der Bundeskanzler den Generalsekretär der SED offiziell empfängt."

"DDR-Politik" statt "Deutschlandpolitik" = Rücktrittsforderung

Zum Kampf um sprachliche Symbole zählte, die Selbstbezeichnung der DDR zu vermeiden, weiterhin von der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) zu sprechen oder vom Regierungssitz in Berlin (Ost) pars pro toto für das SED-Herrschaftsgebiet als "Pankow".

In helle Aufregung konnte sich die Presse im freien Teil Deutschlands auch versetzen, sollte ein westdeutscher Politiker oder Beamter fahrlässig die neue deutsch-polnische Grenze an Oder und Neiße nicht als "Linie", sondern als "Grenze" bezeichnen, hatte doch zunächst die DDR allein sie als dauerhaft anerkannt.

Wie verbissen die semantischen Konflikte ausgetragen wurden, zeigt ein Vorgang aus der Zeit beginnender "Normalisierung" – auch das "normal werden" bzw. "normal machen" wurde seinerzeit nicht von der sprachmoralischen Linken, sondern der Rechten verpönt: Nachdem Günter Gaus (1929–2004), der zwischen 1974 und 1981 als erster Leiter der "Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der DDR" diente, im Jahr 1977 von einer bisherigen Wortregelung abwich, forderte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion seinen Rücktritt. Sein Vergehen: Er hatte gegenüber dem "Spiegel" statt von "Deutschlandpolitik" von einer "DDR-Politik" gesprochen.

Ablehnung von "BRD" beginnt mit faktischer Normalisierungspolitik

Mit dem Bau der Berliner Mauer im Jahr 1961 und der Verschärfung des DDR-Grenzregimes erwartete die SED-Regierung von den Angehörigen ihres Herrschaftsverbands, sich künftig etwa bei Hotelübernachtungen oder Fragebögen nicht mehr mit der Staatsangehörigkeit "deutsch" oder "Deutscher" einzutragen, sondern mit der Zeichenfolge "Staatsangehörigkeit DDR".

Mit dem Verblassen eines gesamtdeutschen Vertretungsanspruchs seitens der SED-Diktatur rückten neue Fragen einer mutmaßlichen symbolischen Anerkennung ihrer Legitimität ins Zentrum westdeutscher Kontroversen.

Nicht nur, dass einem obersten Bundesgericht nun keine "Deutsche Bundesrepublik" mehr in einen Urteilstext geriet, auch die Unsichtbarkeit des Wortes "Deutschland" durch Verwendung des Kürzels "BRD" galt seit Beginn der 1970er Jahre als problematisch.

Den Anfang machte 1974 der baden-württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger (1913–2007). Filbinger betätigte sich zwar landespolitisch als teils radikaler Modernisierer, galt aber über sein Amtsende 1978 hinaus – aufgrund des Skandals um seine Tätigkeit als Marinerichter im NS-Staat – als schneidig konservativer Kopf der CDU.

Auf Filbingers Weisung wurde das Kürzel "BRD" aus dem baden-württembergischen Amtsdeutsch getilgt, weil es die Identität von "Deutschland" verberge. Die heute ebenso scharf wie in endloser Wiederholung gegen sprachpolitische Korrektheit polemisierende Tageszeitung "Die Welt" begrüßte die Anweisung Filbingers, denn:

"Wer über die Begriffe regiert, regiert auch bald über die Seelen der Menschen, und was von den gewöhnlichen Begriffen gilt, das gilt noch viel mehr für die politischen Schlüsselbegriffe, zu denen auch die Namen gehören, mit denen sich Völker und Nationen benennen […]. Namen schaffen Identitäten, und sie können Identitäten verlöschen lassen."

"BRD" – zwar keine DDR-Machenschaft, aber doch ein heikles Symbol

Herbert Hupka (1915–2006), ein auf Ceylon geborener Schlesier, CDU-Bundestagsabgeordneter und bekannter Sprecher der Vertriebenenverbände, begründete die Annahme, "BRD" sei ein aus dem Osten stammendes Kürzel, wie folgt:

"Sich selbst nennt man mit sichtlichem Stolz DDR, weil sich diese Abkürzung für Deutsche Demokratische Republik so plakativ verbreiten und in die Gehirne hämmern läßt. Die Bundesrepublik Deutschland nennen diese kommunistischen Sprachregler am liebsten BRD, denn auf diese Weise kann man am besten den Begriff Deutschland tilgen und das Bewußtsein dahingehend verändern, daß es eben kein Deutschland mehr gibt."

In der DDR gebrauchte man das Kürzel "BRD" tatsächlich seit Beginn der 1970er Jahre verstärkt. Im Westen wurde es entsprechend wahrgenommen. Nachdem die "Tagesschau" es verwendet hatte, erklärte etwa der Hamburger CDU-Abgeordnete Gert Boysen (1937–2024) im Jahr 1977:

"Es stellt sich die Frage, ob der 'Tagesschau'-Redaktion wirklich nicht bekannt ist, daß es sich hier um eine kommunistische Agitationsformel handelt. Die staatlich gelenkten Massenmedien Osteuropas und ihre westlichen Nachplapperer versuchen seit Jahren, dieses Kürzel auch in den westlichen Sprachgebrauch hineinzutragen, bisher zum Glück ohne Erfolg."

Nachhaltige Wirkung erzielte es schließlich, dass die Schulbuchverlage sich gehalten sahen, von der Verwendung des Kürzels "BRD" Abstand zu nehmen.

Wenn aber etwa die juristische Zeitschrift "Kritische Justiz" es seit 1968 benutzte, markierte sie damit jedenfalls den Anspruch, irgendwie über diesen Dingen zu stehen, wenn nicht sogar eine radikal linke Gesinnung des jeweiligen Verfassers. Noch 1995 waren Hinweise zu hören, sie zu zitieren, sei unter konservativen Juristen per se heikel.

Eine feine Ironie zum Schuss: diplomatisch sprechen lernen

Das Kürzel "BRD" stand und steht vielleicht bis heute im Ruf, ein Instrument der SED-Sprachmanipulation zu sein. Mit Sicherheit konnte der zart radikal linke Nachwuchs in der Bundesrepublik, zum Beispiel der typische "früh politisierte" Gymnasiast, bei der Fabrikation einer Schülerzeitung noch in den frühen 1990er Jahren darauf vertrauen, dass seine Verwendung provozierte. Dass im Dezember 1990 die "Grünen" in Westdeutschland mit dem Slogan: "Alle reden von Deutschland. Wir reden vom Wetter", scheiterten, vermittelte aber allmählich, wie infantil, zudem machtlos, derlei nun auf weite Bevölkerungskreise wirkte.

Zu den feinen Ironien dieser Geschichte zählt, dass der mutmaßliche juristische Erstverwender von "BRD", der Diplomat, Staats- und Völkerrechtslehrer Wilhelm G. Grewe, auch kluge Überlegungen zu einem überlegten Gebrauch von Sprache hinterlassen hat, in denen er unter anderem vor allzu harschen semantischen Festlegungen warnt, die in der politischen Handlungsfreiheit hinderlich werden.

Mit dem Kürzel "BRD" ist das einer "rechten Wokeness" offenbar nicht so gut gelungen.

Eine bunte Anekdote zum Schluss: Als der westdeutsche Ingenieur Reinhold Rath, geb. Raczinski (1936–2016), im Jahr 1986 bei der Rückreise an der sowjetisch-polnischen Grenze gefragt wurde, wie seine Geburtsstadt Danzig in die Papiere einzutragen sei, mit "Polen", "Deutschland" oder gar "BRD", war dem sowjetischen Grenzbeamten das korrekte "Freie Stadt Danzig" nicht geheuer und für das Formular zu lang. Mit dem spöttischen Vorschlag, als Kompromiss "DDR" einzutragen, war er auch nicht glücklich, sodass es ahistorisch "BRD" wurde. Es zählt vielleicht nur die Haltung des gewitzten Bürgers gegenüber jeder Obrigkeit.

Hinweise: Instruktiv ist der Aufsatz der Sprachwissenschaftlerin Silke Hahn: "Vom zerrissenen Deutschland zur vereinigten Republik. Zur Sprachgeschichte der 'deutschen Frage'". In: Georg Stötzel und Martin Wengeler: "Kontroverse Begriffe. Geschichte des öffentlichen Sprachgebrauchs in der Bundesrepublik Deutschland". Berlin/New York (De Gruyter) 1995, S. 285–353. Kursiv gesetzte Zitate stammen aus diesem Aufsatz.

Zitiervorschlag

Von "kommunistischen Sprachreglern" erfunden?: . In: Legal Tribune Online, 09.03.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56754 (abgerufen am: 18.03.2025 )

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