Das Verlagshaus Mohr-Siebeck brachte dieser Tage das Buch "Zeitgeistreiches. Scherz und Ernst in der Juristenzeitung" heraus, das sich mit allerhand komischen Juristen befasst. Martin Rath über den Witz und das Recht im Wandel der Zeit.
Noch in den 1990er Jahren attestierte der Germanist Otto F. Best (1929-2008) den Deutschen, ein "Volk ohne Witz" zu sein. Damit war kein Defizit an Witzen vom Typ: "Fragt der Lehrer Fritzchen im Unterricht zu Heinrich von Kleist: 'Was weißt du über den Zerbrochenen Krug?‘ – 'Ich war’s nicht!‘" gemeint. Dieser Witz, den Bundespräsident Johannes Rau (1931-2006) in einer ausgeschmückten Form gern erzählt haben soll, ist eine dieser typischen Pointenerzählungen, über die vermutlich zwischen zehn und 90 Prozent aller Zuhörer bestenfalls aus Höflichkeit lachen.
Was Best in seiner Studie als "deutsches Defizit" beschrieb, galt weniger dem Witz als Pointenerzählung, sondern der Fähigkeit, die alltägliche Kommunikation um Esprit, um Unernstes, Ironisches, auch um einen mehr oder weniger subtilen Sarkasmus zu bereichern, kurz: den Zuhörern und Lesern die Pointe einer Aussage nicht mit dem Brecheisen zu vermitteln. Allgemein mögen Zwanghaftes und Zotiges im Humor überwiegen. Doch hat es den Anschein, dass Best die deutschen Juristen nicht kannte.
Denn die in Tübingen erscheinende "Juristenzeitung", die inzwischen auf 70 Jahre Blattgeschichte zurückblickt, pflegt seit den 1950er Jahren eine Kunst der Glosse als jener journalistischen Ausdrucksform, mit der sich Vorwitziges, Hinterhältiges und geschickt Pointiertes leichthin an den Leser bringen lässt.
Auswahl aus dem juristischen Fachwitzwesen
Aus den 430 Glossen, die seit 1951 in der "Juristenzeitung" erschienen sind, haben Hanjo Hamann, Lektor bei Mohr-Siebeck, und Martin Idler, der Chefredakteur des Blattes, eine Auswahl getroffen, sorgfältig ediert und knapp kommentiert – und das Ergebnis dieser editorischen Arbeit stellt den Rezensenten vor ein Problem.
Zwar thematisiert einer der wiederabgedruckten Texte, unter dem Titel "Juristen auf dem soziologischen Prüfstand" im 1970 von Peter Schwerdtner vorgelegt, die autoritären Züge des Juristencharakters. Gerne würde der Rezensent hier einfach herumkommandieren: Lieber Leser, kaufe dir gefälligst "Zeitgeistreiches", das ist ein witziges Buch und gar nicht so teuer! – Doch ist es damit leider gar nicht getan, weil man das a) nicht glauben muss und b) Schwerdtner schon damals starke Zweifel an der Autoritätsgläubigkeit der Juristen äußerte. Im Detail auf die wiederveröffentlichten Glossen einzugehen, um den Witz zu belegen, hieße aber zu spoilern. Das ist zwar nicht verboten, sonst hätten Medienanwälte längst viel mehr abzumahnen, es ist aber auch nicht schön.
Versuchen wir daher einfach, die Auswahl von Hamann/Idler schmackhaft zu machen, indem wir von einigen Glossen erzählen, die es nicht ins Buch geschafft haben. Damit Sie, verehrte Leserin, lieber Leser, auch glauben, dass das Buch mindestens genauso gut ist, wird erst nach dem Hinweis --- Spoiler! --- ein wenig aus dem Nähkästchen geplaudert.
Die Juristerei scheint für den Witz besonders geeignet, weil sie über eine vergleichsweise strenge Formsprache verfügt, auch berührt der Zwang zur Entscheidung in den juristischen verfahren das Tragische in der menschlichen Natur, mit dem man nicht immer zwingend ernst umgehen möchte. Die Glossen in der "Juristenzeitung" spielen oft mit beidem, der Form und der Abneigung gegen übertriebenen Ernst.
Glossenwitz – eine Auswahl außerhalb der Auswahl
Zunächst ein etwas abiturzeitungsmäßiges Beispiel. Eine unerhörte Begebenheit ließ Hansjörg Lohrmann im Jahr 1972 einen Aufruf im revolutionären Stil der damals noch nicht altgewordenen 68er-Salonsozialisten formulieren: Die Fakultätsbibliothek in Tübingen hatte entgegen aller ehrwürdigen Tradition "Alpmann-Schmidt"-Skripten in ihren Bestand aufgenommen. Lohrmann rief scherzhaft auf: "Gegen das Repetitorienwesen! Für das Lehrbuchwesen! Wissenschaftler aller Seminare, vereinigt Euch!!" – Fritz Baur, der Zivilrechtsgelehrte, hielt nicht minder unernst dagegen, dass die Skripten ein gutes Hilfsmittel der neueren revolutionären Gelehrsamkeit seien, monierte aber das Fehlen anderer Repetitoren-Ware unter Gleichheitsgesichtspunkten.
Wiederholt und offenbar mit einigem Vergnügen stritt sich die Redaktion der "Juristenzeitung" öffentlich mit den Kollegen der "Neuen Juristischen Wochenschrift". So warf Friedrich-August Johannes Wilhelm Ludwig Alfons Maria Freiherr von der Heydte (1907-1994), ein Fallschirmjäger a.D. der Wehrmacht und in Bayern weltberühmter Staatsrechtsgelehrter von dem Schlag, mit dem man sich lieber nicht anlegt, 1956 eine ungehörige Rezension in der "NJW" aufs Korn, die den guten rechtswissenschaftlichen Ton verletzt habe. Die eher liberalen Tübinger sprangen dem erzkonservativen bayerischen Baron gerne bei.
Hübsch auch eine Karikatur auf die in den 1970er Jahren publizierten Berufsbeschreibungen nach dem Berufsbildungsgesetz von 1969: Fritz Baur formulierte 1971 die an sich schon komisch wirkende "Verordnung des Bundesministers für Wirtschaft über das Berufsbild für das Modellbauer-Handwerk" in eine entsprechende Verordnung "über das Berufsbild für das Wirtschaftsminister-Handwerk" um: "Arbeitsgebiet: Wirtschaftsmodellbau: Herstellung und Instandsetzung von maßstäblich genauen, beweglichen und unbeweglichen Modellen aus dem Bereich der Wirtschaft …".
Die Ämter des Bundesministers für Wirtschaft und zugleich des Bundesministers der Finanzen hatte 1971 der habilitierte Volkswirt Karl Schiller (1911-1994) inne. Gewiss ist es der Dezenz von Hanjo Hamann und Martin Idler geschuldet, die Baur‘sche Karikatur auf das Berufsbild des Bundeswirtschaftsministers nicht mit in ihre Sammlung aufzunehmen, könnten sich doch die illustren Amtsinhaber der jüngeren Zeit – Karl-Theodor zu Guttenberg, Rainer Brüderle, Philipp Rösler und Sigmar Gabriel – womöglich beschämt fühlen, unter eine satirische "Verordnung über das Berufsbild für das Wirtschaftsminister-Handwerk" subsumiert zu werden, die doch eigentlich dem großen sozialdemokratischen VWL-Titanen Karl Schiller galt.
Damit diese Buchvorstellung nicht vollständig am Buch vorbeigeht, ist nun aber doch ein wenig zur Auswahl nachdenklicher und witziger Texte zu verraten, die den Leser von "Zeitgeistreiches" erwartet. Es wird nun ein wenig gespoilert.
2/2: *** Und nun ein wenig spoilern ***
Großartig zu lesen ist beispielsweise eine Glosse des mehrfach mit vorwitzigen Texten vertretenen Hamburger Professors Paul Heinrich Neuhaus, der sich der rechtlichen Konsequenzen des Überschreitens einer Straße bei roter Fußgängerampel annahm, was 1969 insofern besonders komisch war, als die Phrasen der Präambel zur Straßenverkehrsordnung aus der NS-Zeit noch in Kraft waren. Die NS-Vorrede zur StVO sprach einer Verurteilung des anarchistisch-undeutsch rotlichtverletzenden Fußgängers kaum das Wort – ebenso wenig wie ein erstaunliches Zitat aus der BGH-Rechtsprechung des Jahres 1965: "Im Straßenverkehr kann man täglich beobachten, daß Fußgänger, die nicht geisteskrank sind, bei rotem Licht die Straße überqueren, wenn kein Fahrzeug sich nähert."
Der wegen seiner klaren Worte geliebte und gefürchtete Richter und Rechtsanwalt Egon Schneider (1927-2014) ist mit einer Glosse aus dem Jahr 1964 vertreten, mit der er sich über den Wert der "Theorien" in der Rechtswissenschaft lustig macht – mit Vergleichen zwischen den ehrwürdigen zivilrechtlichen Kondiktionentheorien und einer denkbaren, aber unsinnigen Theorie der gärtnerischen Rasenpflege.
Günter Dürig (1920-1996), der bekannte Ko-Autor des Grundgesetzkommentars in Loseblattform, ist in der Auswahl von Hamann/Idler nicht nur mit einer Klage über Loseblattsammlungen vertreten, sondern wird später auch in komischer Form ob seines Verrats am gebundenen Buch angeklagt.
Neben der Komik: Wiederentdeckungen
Doch widmet sich die Auswahl von Hamann/Idler nicht nur den komischen Formen und Inhalten. Unter den nachdenklichen Texten fallen zwei Beiträge des streitbaren Rechtsanwalts Otto Küster (1907-1989) auf.
In einem Beitrag aus dem Jahr 1953 kritisiert Küster die nordrhein-westfälische Justiz wegen ihres Unvermögens, den Kunstraub zulasten der sogenannten "entarteten Künstler" seitens der NS-Behörden als politischen Vorgang zu würdigen. Zwei Jahre zuvor diskutierte Küster einen "Herrenbesuch bei der Mieterin" anhand einer Entscheidung des Amtsgerichts Kiel, das die Unterlassungsklage eines Vermieters gegen seine Mieterin abgewiesen hatte, bei der ein Herr aus und ein ging, der nicht mit ihr verheiratet war. Küster, selbst gläubiger Christ und Vater von acht Kindern, pflichtet den freisinnigen Kielern unter Vorbehalten bei – entgegen der sonst hochgehaltenen Moral der Adenauer-Jahre, der angeblich erst 1968 von bärtigen Revoluzzern das Mieder gelockert wurde.
Damit ist, neben der Leistung, zu amüsieren, das zweite große Verdienst von "Zeitgeistreiches" angedeutet: Es ist oft erstaunlich, wie wenig vorwitzige Juristen mit dem angeblichen Geist ihrer Zeit zu tun hatten.
Auch als Übung, die eigene Überzeugungsfaulheiten gelegentlich zu überprüfen, ist die Sammlung daher unbedingt zu empfehlen.
Tipp: Zeitgeistreiches: Scherz und Ernst in der Juristenzeitung: Glossen aus sechzig Jahren, herausgegeben von Hanjo Hamann und Martin Idler. Tübingen (Mohr-Siebeck) 2015, ISBN 978-3-16-154251-0, XIV + 193 Seiten, 16,00 Euro.
Der Rezensent konnte das Buch als PDF vorab lesen. Er unterhält keine geschäftlichen Beziehungen zu Mohr-Siebeck.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, Buchrezension: Das juristische Fachwitzwesen . In: Legal Tribune Online, 29.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17697/ (abgerufen am: 29.03.2024 )
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