Warnung vor dem Anwalt: Forderungen eines Romantikers?

von Annelie Kaufmann

06.05.2014

2/2: "Zynische und gewissenlose Strafverteidiger"

Gerade hier sieht Wagner Mängel. Er berichtet von Anwälten, die unsauber arbeiten, aussichtslose Rechtsmittel einlegen, um Gebühren zu schinden, Verschwiegenheitspflichten nicht einhalten, lügen, Kollegen scharf angehen oder ihre Kanzlei schlampig führen. Er warnt vor mangelndem Berufsethos und Werteverfall und schildert drastische Einzelfälle.

Auf das Thema stieß er bei den Recherchen für sein vorheriges Buch "Richter ohne Gesetz – Islamische Paralleljustiz gefährdet unseren Rechtsstaat". Wagner beschreibt darin auch Fälle, in denen mehrere Täter eine Straftat begehen und sie dann auf denjenigen schieben, der die geringste Strafe zu erwarten hat. Er erklärt: "Ich war damals entsetzt, wie zynisch und gewissenlos manche Strafverteidiger solche Dinge umsetzen."

Den Strafverteidigern widmet er nun ein eigenes Kapitel, schildert Existenzängste und den Kampf um Mandate, der zu einem "Hauen und Stechen" in der Untersuchungshaft führe, Anwälte, die Briefe aus dem Gefängnis schmuggeln oder Zeugen beeinflussen. Mangelndes Berufsethos sieht Wagner aber auch auf dem sogenannten "neuen Anwaltsmarkt": Bei Opferanwälten, Hartz-IV-Anwälten und Anlegeranwälten, die mehr im eigenen Interesse handelten als im Sinne ihrer Mandanten. Hinzu kämen grenzwertige oder sogar illegale Methoden etwa bei Anwälten, die für Inkasso-Firmen Geld eintreiben.

"Ethischer Kompass" für Rechtsanwälte

Mangelnde Qualität und fehlendes Berufsethos. Geht es da um Einzelfälle oder um mehr? Wagner zitiert viele Experten und nennt viele Zahlen, auch wenn die oft nur einzelne Aspekte belegen. Es sind "Eindrücke", so Wagner, "aber ich glaube, die sind sehr gut belegt in dem Buch." Er betont: "Ich will nicht sagen, dass das bei der Mehrheit der Anwälte der Fall ist, aber ich habe eben entdeckt, dass es bei einem relevanten Teil der Advokatur der Fall ist."

Er fordert deshalb vor allem ein neues Berufsethos – und zwar in Form unverbindlicher, schriftlicher Regeln. Wagner verspricht sich davon einen "ethischen Kompass", der "der Anwaltschaft eine Richtung und Orientierung geben würde". Die Diskussion ist nicht neu. Laut einer Studie des Soldan-Instituts von 2011, die Wagner zitiert, befürworten 77 Prozent der Anwälte solche Regeln.

Allerdings sprach sich im gleichen Jahr die Mehrheit der Anwälte auf der Hauptversammlung der BRAK gegen solche Richtlinien aus, auch der DAV lehnte einen schriftlichen Kodex ab. "Wenn es um Moral geht, muss die gelebt werden." Es gebe ja eine anwaltliche Ethik, "es gibt Sachen, die man tut und Sachen, die man nicht tut", erklärt Schellenberg.

Trotzdem wird auf dem Deutschen Anwaltstag im Juni auch über diese Fragen wieder diskutiert werden. BRAK-Vize Schäfer würde es durchaus begrüßen, wenn die Debatte um die Berufsethik wieder aufgenommen wird: "Ich könnte mir schon vorstellen, dass Herr Wagners Buch dazu beiträgt, nochmal über Berufsethik zu diskutieren. Aber das müssen wir abwarten."

Romantische Forderungen?

Bisher sind Reformen der Juristenausbildung auch auf der politischen Agenda kein Thema. Wagner schlägt vor, den Zugang zum Jurastudium zu begrenzen und nach dem ersten Examen eine spezialisierte Ausbildung für Justiz, Verwaltungsjuristen und Anwälte einzuführen. Es wäre sicherlich sinnvoll, wenn solche Vorschläge nicht nur von Juristen, sondern auch in der Bildungspolitik aufgegriffen werden.

Trotzdem klingen Wagners Forderungen nach einem kleineren Anwaltsmarkt, angesehenen Juristen und einem hohem Berufsethos fast schon romantisch. Will er zurück zu einer einfacheren Gesellschaft, in der ein Anwalt wieder eine unangefochtene Respektsperson darstellt – schon allein, weil das eben nicht jeder werden kann? Ist das nicht ein veraltetes Anwaltsbild?

"Das ist ein Missverständnis", sagt Wagner. Er will den Rechtsanwalt zwar wieder stärker als Organ der Rechtspflege in die Pflicht nehmen, sieht ihn aber durchaus auch als Interessenvertreter und als Unternehmer: "Diese alte Geschichte, wir müssen dem Recht dienen und wir dürfen nicht in erster Linie Gewinn machen – also ich bekenne mich zum Gewinn, zum Umsatz, zur Rendite. Insofern ist das für mich völlig modern."

Joachim Wagner, "Vorsicht Anwalt", C.H.Beck, 336 Seiten, 24,90 Euro, ISBN 978-3-406-66683-4.

Zitiervorschlag

Annelie Kaufmann, Warnung vor dem Anwalt: Forderungen eines Romantikers? . In: Legal Tribune Online, 06.05.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11874/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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