499 Jahre deutsches Reinheitsgebot: Die langlebigste Geschmacksregel

von Patrick Buse, LL.M.

23.04.2015

Am 23. April ist der Tag des Deutschen Bieres und zugleich das 499. Jubiläum des deutschen Reinheitsgebots. Die wohl älteste wirksame Vorschrift des Lebensmittelrechts kann eine einzigartige Erfolgsgeschichte vorweisen – sie wurde in den letzten Jahren von den Gerichten jedoch etwas zurecht gestutzt.

Das Reinheitsgebot gilt als die älteste lebensmittelrechtliche Vorschrift weltweit, der heute noch Geltung zukommt. Die "Reinheit" deutschen Biers ist seit jeher Objekt des Stolzes und der Distinktion gegenüber ausländischen Brauereien.

Zunächst nur Gerste, Hopfen und Wasser, später dann auch Malz, so kurz und simpel sind die Inhaltsstoffe des Gebräus, von dem der Durchschnittsdeutsche jährlich über 100 Liter zu sich nimmt. Die Wirkungsweise von Hefe war damals noch nicht bekannt, das Reinheitsgebot schweigt dazu. Aber natürlich wurde sie schon damals während des Brauens hinzugefügt und gehört heute zu den üblichen Inhaltsstoffen des Bieres.

Zusatzstoffe sind hingegen grundsätzlich verboten. Kohlendioxid und Stickstoff dürfen in technisch unvermeidbaren Mengen in das Bier übergehen, wenn sie nicht bei der Bierbereitung gewonnen werden und den Kohlensäuregehalt nicht erhöhen. Die Braukunst ist sogar so streng reglementiert, dass nicht einmal Liebe ins Bier darf. Ein Bonmot von Richard von Weizsäcker bringt es auf den Punkt: "Man könnte froh sein, wenn die Luft so rein wäre wie das Bier."

Ein Gulden fürs Kröpfchen und einer fürs Töpfchen

Der Begriff des Reinheitsgebots gewann zwar erst im zwanzigsten Jahrhundert an Bedeutung, wird seinem Inhalt nach aber auf das Jahr 1516 zurückgeführt. Am 23. April 1516 – auf dieses Datum nimmt der Tag des Deutschen Bieres Bezug – erließ das Landesherzogtum Bayern mit seiner Landesordnung die Ursprungsfassung des Reinheitsgebots, nach dem "zu keinem Bier mehr Stücke als Gersten, Hopfen und Wasser genommen und gebraucht solle werden".

Das Reinheitsgebot in der Form von 1516 diente zum einen dem Schutz der Bevölkerung vor Anreicherungen mit Anis, Löwenzahn oder giftigem Efeu. Wegen steigender Rohstoffpreise fanden diese immer öfter ihren Weg ins Bier. Andere Getreide hingegen sollten nicht zu Bier gemacht werden, um die Versorgung der Bevölkerung zu sichern, und waren daher den Bäckern vorbehalten.

Neben den Inhaltsstoffen sollten aber auch die Bierpreise reguliert werden. Denn die Finanznot mittelalterlicher Landesherren ließ sich mit dem Reinheitsgebot ebenfalls lindern. So versprach sich mancher Fürst durch entsprechende Steuervorschriften und Im- bzw. Exportzölle auch sprudelnde Staatseinnahmen. Und wem das Bier zu Kopfe stieg, dem drohte zudem der Saufgulden, eine Geldbuße bei überhöhtem Alkoholkonsum und ungebührlichem Verhalten.

Daneben – und sogar seit noch früherer Zeit – gab es andere Vorschriften, die den korrekten Umgang mit Bier betrafen. So sollte nach einer Rechtsverordnung der Stadt Augsburg von 1156 ein Bierschenker gestraft werden, wenn er schlechtes Bier macht oder ungerechtes Maß gibt.

Von Bayern nach ganz Deutschland

Ob das ursprünglich bayerische Reinheitsgebot kontinuierlich galt, ist umstritten. Jedenfalls aber griff es mit der Zeit um sich: Seit 1896 war die bayerische Regelung in Baden und seit 1900 in Württemberg anerkannt. 1906 wurde sie ins Reichsrecht aufgenommen. Im Beitrittsgebiet der ehemaligen DDR gilt sie seit 1993 wieder.

Die Entwicklung des bayerischen zu einem gesamtdeutschen Reinheitsgebot wurde auch durch den europäischen Binnenmarkt beeinflusst. In den 1960-ern rückten die Brauer aller Bundesländer bei der europäischen Harmonisierung der Bierherstellung zusammen. Das Reinheitsgebot gewann zunehmend Bedeutung als Marketinginstrument der deutschen Brauwirtschaft und Bier wurde auch in Europa zum wichtigen Wirtschaftsgut.

Deutsch-französischer "Bierkrieg"

In den 1980-ern kam es auf europäischer Ebene zu einer - etwas dramatisch als deutsch-französischer "Bierkrieg" betitelten - Auseinandersetzung. Die Bundesrepublik hatte die Einfuhr von Bier untersagt, bei dessen Herstellung nicht ausschließlich Wasser, Hefe, Hopfen, Malz und Gerste verwendet wurden. Die Europäische Kommission ging davon aus, dass das Reinheitsgebot den innergemeinschaftlichen Warenverkehr behindern würde. Sie zweifelte an seiner zwingenden Erforderlichkeit für den Gesundheits- oder Verbraucherschutz für den innergemeinschaftlichen Handel.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied daraufhin im Jahr 1987, dass die Bundesrepublik in anderen Mitgliedstaaten hergestelltes und in den Verkehr gebrachtes Bier zulassen muss, auch wenn es nicht dem Reinheitsgebot entspricht (Urt. v. 12.03.1987, Az. 178/84). Er folgte damit seiner Cassis de Dijon-Rechtsprechung (Urt. v. 20.02.1979, Az. 120/78). Das Reinheitsgebot ist danach nicht notwendig, um zwingenden Erfordernissen des Allgemeinwohls gerecht zu werden. Hier folgt demnach Bier auf Wein…

Für deutsche Produkte hält der deutsche Gesetzgeber trotzdem am Reinheitsgebot fest. Es gilt somit für in Deutschland gebraute Biere fort; Importbiere müssen etwaige Zusatzstoffe auf dem Etikett ausweisen.

Zitiervorschlag

Patrick Buse, 499 Jahre deutsches Reinheitsgebot: . In: Legal Tribune Online, 23.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15327 (abgerufen am: 04.10.2024 )

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