Am 4. Mai 1955 bestätigte das Bundesarbeitsgericht den Ausschluss von drei Betriebsratsmitgliedern einer Bremer Werft. Vorgeworfen wurde ihnen, durch eine politische Resolution unzulässig Unruhe in den Betrieb getragen zu haben.
Der hessischen Landesregierung ging am 10. Juli 1953 ein Telegramm zu, über das der Betriebsratsvorsitzende des bedeutenden Bremer Werftunternehmens Aktiengesellschaft "Weser", kurz "A.G. Weser", tags zuvor in einer turbulenten Betriebsversammlung hatte abstimmen lassen.
Das Telegramm hatte folgenden Wortlaut: "Die Belegschaft der A.G. 'Weser' protestiert gegen den Stahlhelm-Aufmarsch in Giessen" – die Schreibweise folgt hier dem Bundesarbeitsgericht (BAG).
Durch Beschluss des Arbeitsgerichts Bremen, bestätigt vom Landes- sowie vom BAG, wurden Hermann Prüser (1903–1991), Willi Lahrs und Robert Wiliczek aus dem Betriebsrat der A.G. Weser ausgeschlossen.
Was auf den ersten Blick wie eine erwartbare Entscheidung zum Betriebsverfassungsrecht wirkt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als ganz wunderbar verwickeltes Bündel aus politischen Gegensätzen und vorangegangenen wie künftigen Spielzügen.
Sortieren wir das Spielfeld in Bremen und Hessen zunächst ein wenig.
Die drei Mitglieder des Betriebsrats der A.G. Weser gehörten der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) an, die drei Jahre vor ihrem Verbot durch das Bundesverfassungsgericht (Urt. v. 17.08.1956, Az. 1 BvB 2/51) bei den Wahlen zur Bremischen Bürgerschaft bereits deutlich an Stimmen verloren hatte, in der Arbeiterschaft der Wesermetropole jedoch stark vernetzt blieb.
Nachfolger von Hermann Prüser als Betriebsratsvorsitzender sollte für die nächsten 25 Jahre der SPD-Mann Gustav Böhrnsen (1914–1998) werden, selbst ein ehemaliges KPD-Mitglied, Vater eines künftigen SPD-Bürgermeisters der Hansestadt.
Im Hessischen Landtag hielt die SPD seit der Landtagswahl vom 19. November 1950 mit 44,4 Prozent der Wählerstimmen die absolute Mehrheit der Mandate, wobei auf die CDU nur 18,8 Prozent, auf die FDP 31,8 Prozent der Stimmen entfallen waren. Dass an diesem sensationellen Ergebnis der FDP nicht nur sogenannte Liberale Anteil hatten, wird später noch von Interesse sein.
Formale Adressaten des Telegramms aus Bremen waren daher, seit er sich im Dezember 1950 gegen seinen Parteifreund, den bisherigen SPD-Ministerpräsidenten Christian Stock (1884–1967), durchgesetzt hatte, Georg-August Zinn (1901–1976) und seine bis auf Weiteres rein sozialdemokratische Landesregierung.
Politischer Protest stört im Zweifel immer den Betriebsfrieden
Anlass des Verfahrens zum Ausschluss von Prüser, Lahrs und Wiliczek aus dem Betriebsrat der A.G. Weser gab die Betriebsversammlung vom 9. Juli 1953.
Den anfangs rund 3.400 teilnehmenden Belegschaftsangehörigen wurde aus dem Kreis der KPD-Betriebsräte zu beschließen vorgeschlagen, gegenüber der hessischen Landesregierung zu protestieren, dass am 12. Juli 1953 in Gießen eine Versammlung des "Stahlhelm" stattfinden würde – auch auf diesen Verband wird später zurückzukommen sein.
Obwohl ein weiteres Betriebsratsmitglied einwandte, dass die Betriebsversammlung nicht berechtigt sei, über diese Sache auch nur zu beraten, ließ der Vorsitzende über die Resolution abstimmen – ein Teil der opponierenden Belegschaft hatte derweil den Raum verlassen. Noch am gleichen Tag legten 216 Mitarbeiter schriftlich Widerspruch dagegen ein, dass die Belegschaft der A.G. Weser sich zur hessischen "Stahlhelm"-Versammlung eingelassen hatte.
Davon unbeeindruckt telegraphierte der Betriebsratsvorsitzende am 10. Juli 1953 an die Landesregierung zu Wiesbaden.
Das Selbstbewusstsein der kommunistischen Funktionäre kam nicht von ungefähr: Erst im Monat zuvor, am 9. Juni 1953, war unter ihrer regen Beteiligung ein mehrwöchiger Streik samt Aussperrung zu Ende gegangen, mit dem rund 14.000 Arbeitnehmer, insbesondere die Werftarbeiter in Bremen, für eine Erhöhung des Stunden-Ecklohns von 1,49 auf 1,57 Deutsche Mark (DM) bzw. für eine Anhebung der Angestelltengehälter um sieben Prozent und eine tarifvertragliche Regelung der Lehrlingsvergütungen gekämpft hatten.
Zu den kuriosen Nebenwendungen dieser Geschichte zählt, dass die Botschaft vom harten, aber doch erfolgreichen Arbeitskampf in Bremen, der im Juni 1953 mit einer Erhöhung der Ecklöhne auf 1,54 DM beendet wurde, auch die Bauarbeiter in Berlin (Ost) erreichte – und der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 begann, weil in der SED-Diktatur kein legaler Arbeitskampf vorgesehen war.
Betriebsverfassungsrechtliche Würdigung
Rechtlich zu würdigen waren die Vorgänge nach einhelliger Auffassung von Arbeits- und Landesarbeitsgericht Bremen sowie nach dem Beschluss des BAG vom 4. Mai 1955 zunächst nach § 44 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG 1952):
"Die Betriebsversammlung kann dem Betriebsrat Anträge unterbreiten und zu seinen Beschlüssen Stellung nehmen; sie darf nur Angelegenheiten behandeln, die den Betrieb oder seine Arbeitnehmer berühren."
Aus dieser Regelung folgte in den Worten des BAG, dass die Betriebsangehörigen der A.G. Weser in ihrer Versammlung "in keiner Weise zur Behandlung des Antrags auf Stellungnahme zum Stahlhelmaufmarsch in Giessen und zu einer Protestversammlung befugt" gewesen waren. Die drei Betriebsratsmitglieder, "die hierzu die Betriebsversammlung gleichwohl benutzten, missbrauchten sie und verletzten damit ihre Amtspflichten".
Die kommunistischen Betriebsratsleute wollten ihre Resolution gegen die Versammlung in Gießen auch durch Artikel 26 Grundgesetz (GG) gerechtfertigt sehen, wonach die Vorbereitung eines Angriffskrieges von Verfassungs wegen unter Strafe zu stellen ist.
Hierzu leuchtete dem BAG schon nicht ein, dass die "Stahlhelm"-Versammlung als Vorbereitung eines Angriffskrieges zu werten sei. Sollte die Verfassungsordnung einmal insgesamt in Gefahr sein, könnte sich womöglich aber eine Zuständigkeit auch einer Betriebsversammlung ergeben, wenn die Verfassungsorgane zur Abwehr dieser Gefahr nicht fähig oder willens sein sollten – die Richter hatten hier eine Situation aus dem Jahr 1920 in Erinnerung, als zwölf Millionen Beschäftigte die Arbeit niederlegten, um den Kapp-Putsch abzuwenden.
Eine Versammlung alter oder kalter Krieger in Gießen fiel nicht in diese Kategorie, sondern galt den Richtern als Sache, die zum Meinungsstreit außerhalb der betrieblichen Ordnung gehörte.
Die drei Betriebsratsmitglieder hatten nach Auffassung der Gerichte auch ihre Pflichten aus § 49 Abs. 2 Satz 1 BetrVG 1952 verletzt:
"Arbeitgeber und Betriebsrat haben alles zu unterlassen, was geeignet ist, die Arbeit und den Frieden des Betriebs zu gefährden."
Die drei Betriebsratsmitglieder gefährdeten den Betriebsfrieden bereits, indem sie die Resolution, der hessischen Landesregierung eine Protestbotschaft zukommen zu lassen, überhaupt zur Diskussion stellten. Im konkreten Fall sei der Frieden nicht nur gefährdet, sondern sogar gestört worden, weil viele der Versammlungsteilnehmer unter Protest den Raum verlassen hatten.
Schließlich galt die Verletzung ihrer Pflichten als grob, weil sie "in Kenntnis des Verbotenen ihrer Handlungsweise gleichwohl die Betriebsversammlung zur Diskussion und Resolution in einer politischen Angelegenheit missbraucht" hatten: "Es war ihnen als Betriebsratsmitgliedern bekannt, dass ihr Verhalten unrechtmässig war, weil es gegen ein Grundprinzip des BetrVG verstiess, nämlich den Grundsatz, alle politischen Meinungsverschiedenheiten, die in keiner unmittelbaren Beziehung zum Betrieb stehen, zur Erhaltung des Betriebsfriedens aus dem Betrieb fernzuhalten."
Über den Ausschluss war damit nach § 23 Abs. 1 BetrVG 1952 vom Arbeitsgericht zu beschließen.
Gegen wen oder was wurde überhaupt protestiert?
Offen blieb bisher, gegen wen die kommunistischen Aktivisten in Bremen überhaupt zu mobilisieren versuchten – und das sogar, obwohl ihnen bewusst sein musste, dass der Protest gegen den "Stahlhelm" ihnen das Betriebsratsmandat in einem führenden deutschen Werft-Unternehmen kosten konnte.
Kennern der Weimarer Republik ist der "Stahlhelm" als verfassungsfeindlicher politischer bzw. als Verband von Veteranen des Ersten Weltkriegs geläufig, der sich vielfach im ideologischen Profil und der sozialen Struktur seiner Mitglieder mit jenen der NSDAP bzw. der SA überschnitt.
Während der Zeit der Republik stand er damit in Konkurrenz zu diesen NS-Verbänden, nach der Machtübergabe an Hitler folgte eine auch für andere rechtskonservative bzw. deutschnationale Bündnispartner der NSDAP typische, teils weitgehend geräuschlose Selbstgleichschaltung, schließlich die zwangsweise Integration in die SA unter der Bezeichnung "NS-Frontkämpferbund". Einzelne Angehörige des "Stahlhelm" wurden nach 1933 politisch verfolgt, mancherorts ließ sich aber auch abseits der SA eine Art informelles Vereinsleben am Stammtisch fortsetzen.
Unter dem alliierten Besatzungsregime wurde 1945 zunächst allen Veteranenverbänden die Tätigkeit untersagt, Historiker schätzen, dass dann in der jungen Bundesrepublik zwischen 1.000 und 2.000 Soldatenvereinigungen bestanden. Der "Stahlhelm" gehörte zu den Anwärtern, auf diesem Gebiet zu einer Konsolidierung zu führen – denn vor 1933 hatte er bis zu 500.000 Mitglieder gezählt – beachtlich, wenn auch kleiner als das republiktreue "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold" mit rund 1,5 Millionen.
Integration potenziell verfassungsfeindlicher Massenverbände
Die Bundesregierung, aber auch die SPD als parlamentarische Opposition im Bund, standen vor der Herausforderung, das mächtige soziale Potenzial der neu organisierten Veteranenverbände nicht radikalen Kräften zu überlassen, zumal auch noch der Aufbau neuer deutscher Streitkräfte anstand.
Die Regierung Adenauer begleitete daher ehemalige hochrangige Befehlshaber wie Hasso von Manteuffel oder den SS-Offizier Paul Hausser in ihrer Integrationsarbeit – wobei es bereits als Erfolg zählte, wenn diese sich öffentlich zur Bundesrepublik Deutschland und zur Demokratie bekannten.
Nach Absprache mit Bundeskanzler Konrad Adenauer übernahm für den "Stahlhelm" der von einem britischen Militärgericht in Italien wegen Kriegsverbrechen zum Tode verurteilte, begnadigte und 1952 aus der Haft entlassene Generalfeldmarschall a.D. Albert Kesselring (1885–1960, auch Keßelring) die Aufgabe, seinen Verband auf diesen Kurs zu verpflichten.
In seiner Dissertation zum "Stahlhelm" erläutert der Historiker Dennis Werberg, dass Kesselring im Sommer 1953 in Gießen "die volle und gleichberechtigte Anerkennung der Farben Schwarz-Rot-Gold neben den [Frontsoldaten-]Bundesfarben Schwarz-Weiß-Rot sowie eine Neubestimmung des Verhältnisses zur Sozialdemokratie" anordnete. "Künftig sollte die Mitgliedschaft auch Angehörigen der SPD offen stehen. Ebenfalls neu war die Betonung der Sozialarbeit als Hauptaufgabe, wodurch der Stahlhelm vielmehr den Charakter einer sozialen Fürsorgeeinrichtung denn als politische Kampforganisation erhielt."
Während die kommunistischen Aktivisten in Bremen einer antifaschistischen Kampagnen-Strategie folgten, bemühten sich CDU, CSU und SPD um die Integration und Entradikalisierung der potenziell verfassungsfeindlichen Kräfte der soldatischen Milieus. Der "Stahlhelm" scheiterte in dieser Aufgabe aber letztlich doch daran, dass sich regionale Teilverbände diesem Weg nicht hinreichend öffneten, teils mit der 1952 verbotenen NS-Nachfolgegruppierung "Sozialistische Reichspartei" bzw. deren Nachfolgern verstrickt blieben.
Ungeachtet des Umstands, dass auch das SED-Regime auf Militär- und Verwaltungskräfte aus der NS-Zeit zurückgriff und mit der National-Demokratischen Partei Deutschlands (NDPD) sogar bis 1990 eine eigene Blockpartei zur Einbindung der rechtsextremen Potenziale unterhielt, wurde aus der DDR und wird bis heute vom linken bis linksliberalen Publikum allein der westdeutsche Integrationskurs als "restaurativ", unmoralisch oder gar historisch lernunwillig angefeindet.
Nicht zuletzt die SPD zeigte sich in der Integration seinerzeit erstaunlich beweglich. Mit der Landtagswahl im November 1954 verlor Georg-August Zinn in Hessen die absolute Mehrheit der Sitze, auch die FDP schnitt nun mit 20,5 Prozent deutlich bescheidener ab – unter anderem, weil der "Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten" als neue populistische Rechtspartei antrat, deren Funktionäre 1950 teils noch bei der FDP kandidiert hatten. Ministerpräsident Zinn regierte seither mit einer Koalition der SPD und des mehrfach umfirmierten "Gesamtdeutschen Blocks/Bunds der Heimatvertriebenen und Entrechteten". Er blieb sogar dabei, als die hessische SPD 1962 die absolute Mehrheit an Stimmen und Mandaten erhielt.
Ein selbst aus dem NS-Widerstand stammender SPD-Ministerpräsident regierte also mit einer in Teilen radikalen, jedenfalls populistischen Rechtspartei, um sozialdemokratische Politik gegen die CDU durchzusetzen, gewiss auch, um die innerparteiliche Linke und mit dieser eine außerparlamentarische kommunistische Opposition kleinzuhalten. Es wirkt fast so, als hätten die kommunistischen Betriebsräte aus Bremen 1953 schon geahnt, wohin die integrative Politik von CDU, CSU und SPD führen würde.
Nach dem Beschluss des BAG vom 4. Mai 1955 hatten sie dazu aber im Betrieb zu schweigen (Az. 1 ABR/53).
Hinweis: Die politische Geschichte der jungen Bundesrepublik war äußerst farbenfroh, voller schurkischer Ehrenmänner, zweifelloser Halunken, Paradiesvögel, Doppel- und Dreifachagenten, Stoff eher für verwinkelte Ross-Thomas-Thriller als für schlichte ARD-Dokudramen. Die differenzierte Studie "Der Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten. Eine Veteranenorganisation als politischer Akteur und ihr Verhältnis zum Nationalsozialismus", Berlin, Boston (de Gruyter), wurde von Dennis Werberg 2023 (Diss. 2020) veröffentlicht. Universitätsangehörige können regelmäßig kostenfrei auf eine digitale Fassung zugreifen.
Protest gegen den "Stahlhelm" in Betriebsversammlung: . In: Legal Tribune Online, 01.05.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/57103 (abgerufen am: 24.05.2025 )
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