Sexualisierte Gewalt und Ehebruch früher: Der belei­digte Ehe­mann

von Martin Rath

06.02.2022

Bis 1969 war Ehebruch, der zur Scheidung der Ehe führte, mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bedroht. Hilfsweise kam eine Bestrafung wegen Beleidigung des Ehegatten in Betracht. Die legislativen Aufräumarbeiten blieben unvollständig.

Wiederholt war der Angeklagte aus dem Badischen gegenüber einer verheirateten Frau sexuell übergriffig geworden. In einem Fall kam es zur Penetration.

Doch hatte sich die Frau nach Überzeugung des Landgerichts (LG) Mosbach nicht derart zur Wehr gesetzt, dass dem Angeklagten der Vorsatz der "Notzucht" – so ein damals gebräuchlicher Begriff für eine Vergewaltigung – nach § 177 Strafgesetzbuch (StGB) nachzuweisen war. Der "robuste, ungehemmte Angeklagte" hatte nach Auffassung der Richter den "ungeschickten, hilflosen" Widerstand der Frau möglicherweise missverstanden und in dem Glauben gehandelt, er habe "die Frau endlich soweit gebracht" und "den sogenannten Verführungswiderstand durch seine gewaltsame und unziemliche Verhaltensweise überwunden".

Diese überaus problematische Rechtsprechung zur Vergewaltigung, die den Mythos beinhaltet, Frauen wollten "überwunden" werden, ist zum Glück an sich überholt. Allerdings tun sich Staatsanwaltschaften und Gerichte auch heute noch mit der Strafverfolgung von sexualisierter Gewalt schwer, insbesondere was den Nachweis des Vorsatzes des Täters angeht.

In den 50er und 60er Jahren war es – wie die Argumentation des LG Mosbach zeigt – jedoch sogar noch üblich, Frauen die Schuld für sexuelle Übergriffe zu geben, ihnen "ungeschicktes Verhalten" vorzuwerfen. Wegen eines Sexualdelikts wurde der damalige Angeklagte nicht verurteilt. Doch gänzlich straflos kam er nicht davon. Das LG Mosbach verurteilte den Angeklagten nach § 185 StGB wegen Beleidigung der Frau, tateinheitlich wegen Beleidigung ihres Ehegatten. Ein knappes Jahr später, am 5. Februar 1952, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in dieser Sache.

Wenn kein Scheidungsgrund vorliegt, kommt es darauf an

Kein juristisches Kopfzerbrechen bereitete dem BGH der Umstand, dass das Verhalten des Angeklagten immerhin den Tatbestand der Beleidigung zum Schaden der Frau erfüllte. Rechtliche Bedenken waren jedoch wegen § 172 Abs. 1 StGB aus dem Weg zu räumen:

"Der Ehebruch wird, wenn wegen desselben die Ehe geschieden ist, an dem schuldigen Ehegatten, sowie dessen Mitschuldigen mit Gefängniß bis zu sechs Monaten bestraft."

Denn wenn ein "Ehebruch" im Rechtssinne vorlag, konnte der durch den Ehebruch in seiner Ehre verletzte Ehepartner nicht auch noch zusätzlich auf eine Strafverfolgung wegen Beleidigung nach § 185 StGB drängen.

Der Widerstand der Frau war hier einerseits nach Auffassung der Richter nicht stark genug gewesen, um dem Angeklagten den Vorwurf zu machen, sie vergewaltigt zu haben. Andererseits war ihr Widerwille hinreichend stark zum Ausdruck gekommen, um ihrem Gatten keinen Grund zu geben, von ihr die Scheidung zu verlangen. Deshalb blieb die Anwendung des § 172 StGB versperrt und war die Bestrafung wegen tateinheitlicher Beleidigung der unmittelbar angegriffenen Frau und des mittelbar in seiner

Ehegattenehre verletzten Mannes rechtmäßig (BGH, Urt. v. 05.02.1952, Az. 1 StR 415/51).

Küsse begründen Vorwurf, ein Volksschädling zu sein

So fremd heute die Vorstellung wirken mag, dass der sexuelle Übergriff auf die Gattin als Beleidigung des Gatten zu bestrafen sei: Aus der Perspektive der im Jahr 1952 tätigen Richter war es die Rückkehr zu einem liberalen Verständnis des § 172 StGB – ihr Urteil entsprach der juristischen Lehre, wie sie der für seine "Formeln" berühmte Reinhard Frank (1860–1934) in seinem Kommentar zum Strafgesetzbuch noch 1931 formuliert hatte.

In der Rechtsprechung des NS-Staats, insbesondere im Zweiten Weltkrieg, war hingegen der Ehebruch nach und nach in die Nähe eines lebensgefährlichen Abenteuers gerückt worden – ohne dass es hierzu der rassistischen Regelungen der Nürnberger Gesetze oder der sogenannten Polenstrafrechtsverordnung bedurft hätte.

Es fällt auf, dass sich der BGH 1952 zum Verhältnis von Gattenbeleidigung und Ehebruch auf Entscheidungen des Reichsgerichts bezog, die sich zwar ließen, überwiegend aber die Entgrenzungstendenzen der deutschen Justiz im NS-Staat dokumentierten.

Mit Urteil vom 25. November 1940 (Az. 3 StS 25/40) hatte das Reichsgericht gegen eine Entscheidung des Sondergerichts Leitmeritz noch mühsam den Grundsatz aufrechterhalten, dass für die Strafbarkeit wegen Ehebruchs bzw. Beleidigung des betrogenen Gatten erforderlich sei, dass die Ehe – noch – geschieden werden könne.

Der Ehemann hatte hier seiner Gattin den Seitensprung verziehen, womit dieser als Scheidungsgrund verbraucht war, jedoch Strafantrag gegen den Nebenbuhler gestellt. Das Sondergericht hatte diesen – zum Unwillen des Reichsgerichts – wegen Beleidigung des Gatten, § 185 StGB, in Verbindung mit § 4 Volksschädlingsverordnung verurteilt. Nach dieser Vorschrift konnte jeder, der eine Straftat "vorsätzlich unter Ausnutzung der durch den Kriegszustand verursachten außergewöhnlichen Verhältnisse" beging, "unter Überschreitung des regelmäßigen Strafrahmens mit Zuchthaus bis zu 15 Jahren, mit lebenslangem Zuchthaus oder mit dem Tode bestraft" werden, "wenn dies das gesunde Volksempfinden wegen der besonderen Verwerflichkeit der Straftat erfordert".

Knapp drei Jahre später ließ das Reichsgericht erkennen, dass es die restriktive Auslegung zu §§ 172, 185 StGB künftig hintanstellen würde. Ein Gastwirt hatte mit zwei Übernachtungsgästinnen, deren Gatten zur Wehrmacht einberufen waren, offenbar einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gehabt, zudem war ein Kuss von zweifelhafter Freiwilligkeit seitens einer anderen Frau gerichtskundig geworden. Das Landgericht Guben verurteilte den Gastwirt für den einen Vorgang zu anderthalb, wegen des anderen zu zwei Jahren Zuchthaus, wegen Beleidigung auch ihrer Ehemänner nach § 4 Volksschädlingsverordnung in Verbindung mit § 185 StGB (Urt. v. 01.04.1943, Az. 2 D 71/43).

Geschlechterehre muss trotzdem schon im Umbruch gewesen sein

Während des Krieges war hier also insbesondere dem Ehemann, der zu den Streitkräften des NS-Staats einberufen worden war, unter dem Rubrum des Ehrenschutzes ein exzessiver Anspruch auf exklusive sexuelle Interaktion mit seiner Gattin zugebilligt worden. Dem Nebenbuhler drohten nicht mehr nur ein halbes Jahr Gefängnis, sondern schwere Zuchthausstrafen, wenn nicht die Todesstrafe – unter Umständen form-, frist- und verteidigerfrei von einem Sondergericht angeordnet.

Dass den BGH-Richtern ihr Rückgriff auf die harmloseren Teile dieser archaischen Rechtsprechung nicht peinlich war, dürfte mit ihren Berufsbiografien zu tun gehabt haben – die Mehrzahl der Angehörigen des 1. Strafsenats (Hans Richter (1885–1954), Werner Hülle (1903–1992), Ernst Mantel (1897–1971), Roderich Glanzmann (1904–1988) und Heinrich Jagusch (1908–1987)) hatte in Spitzenpositionen der NS-Justiz gedient.

Allzu offene Augen für die emanzipierte Vorstellung einer inzwischen eigenständigen Geschlechterehre der Frau waren von diesen Herren kaum zu erwarten – wobei das frisch in Kraft getretene Grundgesetz vom 23. Mai 1949 an dem Wandel zunächst wohl nur einen kleineren Anteil hatte.

Denn nach Jahren des Luftkriegs, der zwischen den Geschlechtern kaum Unterschiede in der Todesgefahr machte, gefolgt von Flucht und Vertreibung, die Mütter und Kinder vielerorts ohne die Männer überstanden, hatte das archaische Bild vom wehrhaften Mann, der in der sexuellen Integrität seiner Gattin auch die eigene Ehre verteidigte, einen denkbar schwachen Realitätsbezug – nur beim BGH war diese Einsicht 1952 wohl noch nicht ganz angekommen.

Strafrecht zum Ehebruch wirft auch aktuelle Fragen auf

Der Gesetzgeber nahm sich der rechtshistorischen Rudimente gleichwohl erst mit dem 1. Strafrechtsreformgesetz vom 30. Juni 1969 an.

Dieses Artikelgesetz hob nicht nur die Strafbarkeit des Ehebruchs (§ 172 StGB) ersatzlos auf, auch § 179 StGB entfiel. Nach dieser Norm war mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bedroht, wer "eine Frau zur Gestattung des Beischlafs dadurch verleitet, daß er eine Trauung vorspiegelt" oder ihren Irrglauben ausnutzte, "in welchem sie den Beischlaf für einen ehelichen hielt".

Hier war die Auffangposition des Beleidigungstatbestandes (§ 185 StGB) sogar noch deutlicher: Zum Strafantrag wegen dieser Form sexuellen Betrugs war nur die Frau berechtigt. War sie jedoch verheiratet, stand es ihrem Gatten frei, den Nebenbuhler wegen Beleidigung zu belangen.

Obwohl 1969 eine ganze juristische Welt zusammenbrach – jene, in der § 185 StGB systematisch dazu diente, die Ehre der Geschlechter in sexueller Hinsicht zu schützen, soweit sich das anders nicht bewerkstelligen ließ – kam das Bundesverfassungsgericht noch im "Soldaten"-Beschluss vom 10. Oktober 1995 (Rn. 116, Az. 1 BvR 1476/91 u. a.) zu der Auffassung, dass der gesetzliche Tatbestand der Beleidigung nicht gegen das Bestimmtheitsgebot von Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz (GG) verstoße.

Rund 100 Jahre lang war die Vorstellung davon, was nach § 185 StGB strafbar sei, unter anderem von seiner Auffangfunktion für andere Strafrechtsvorschriften geprägt gewesen. Nicht nur Rechtsprechung und Lehre zu den §§ 172, 179 StGB verwiesen darauf, sondern auch der in Bürgertum und Adel tief verankerte Spleen des Duells konkretisierte den Komplex des Ehrenschutzes. Die alten §§ 201–210 StGB setzten ein ganzes System von Ehrvorstellungen voraus. Für wie gefährlich der Gesetzgeber z. B. bereits die bloße "Androhung von Verachtung" in den zum Duell geneigten herrschenden Kreisen Deutschlands hielt, ließ § 210 StGB a.F. erkennen.

Der Blick aufs rechtshistorische Gerümpel des § 172 StGB, mit dem sich der BGH vor 70 Jahren noch einmal befasste, sollte vielleicht nicht nur zum Amüsement bzw. Entsetzen über die anachronistischen Vorstellungen der (Ur-) Großeltern in Geschlechterfragen herhalten.

Er gibt auch Anlass zur Frage, warum der Schutz der persönlichen Ehre heute nahezu ausschließlich im Recht der Social-Media-Algorithmen und in zivilrechtlichen Unterlassungsansprüchen gesucht werden muss, eine Reform der §§ 185 bis 200 StGB aber gar kein Gegenstand der rechtspolitischen Diskussion ist – immerhin sollte es doch, neben dem Niveau der öffentlichen Kommunikation, auch um die Würde jener Menschen gehen, für die ein Rechtsbeistand deutlich schwerer zu erreichen ist als für die vermeintlich in ihrer Ehre gekränkte Polizei und die abmahnfreudige Medienprominenz.

Zitiervorschlag

Sexualisierte Gewalt und Ehebruch früher: . In: Legal Tribune Online, 06.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47439 (abgerufen am: 03.12.2024 )

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