Auslaufmodell Gerichtsshows: Griff ins Justizklo (Wiederhlg.)

von Martin Rath

27.05.2012

Im Jahr 2002 prognostizierte der Vorsitzende des Deutschen Richterbunds den Gerichtsshows seiner Kollegen Herz, Hold und Salesch ein schnelles Ableben. Tatsächlich ging erst im April 2012 die letzte frische Folge von "Richterin Barbara Salesch" über den Sender. Ein Rückblick auf ein Trash-TV, das sich nicht mit einem großen Knall, sondern mit einem Winseln verabschiedet, von Martin Rath.

"Mit einem Bademantelgürtel soll Tom seine Freundin Susanne brutal erdrosselt haben", beginnt die Sendung aus dem Off. Einem jungen Mann werden die Handschellen abgenommen, während er bereits frontal zur leeren Richterbank Platz nimmt. Ältere Herrschaften berühren ihn tröstend an den Schultern, ziehen sich in den Zuschauerbereich zurück. Die markige Off-Stimme fragt weiter: "Wurde aus Liebe unbändiger Hass, weil Susanne die Beziehung beenden wollte oder hatte Susanne einen heimlichen Liebhaber, der durchgedreht ist?"

Begleitet von zwei weiteren Roben- und zwei Freizeitkleidungsträgern zieht Barbara Salesch ein, fordert das Volk zum Sitzen auf und eröffnet den Termin mit einem nuscheligen: "Herr Sander, wir verhandeln heute vor dem Schwurgericht Ihre Strafsache wegen Totschlags an Ihrer Lebensgefährtin Susanne Wilde."

Der Angeklagte erwidert sofort: "Kann mir denn keiner glauben, dass ich sie nischt umgebracht hab? Das war meine Freundin, isch hab sie geliebt. Isch hätte ihr niemals etwas antun können." Dem niedlich-naiven Zungenschlag mutmaßlich moselanischer Herkunft möchte der Zuschauer die lautere Unschuld natürlich sofort glauben (und nicht erst nach einer Stunde Trash-TV), doch unterbricht die Salesch, sie wolle zunächst die Personalien des Angeklagten aufnehmen.

Das bisher eher putzige Abweichen vom Ritual realer Strafjustiz bekommt mit der Anklageverlesung eine erste alberne Eskalationsstufe, kaum zwei Minuten nach Start der Sendung. Es spricht der "Staatsanwalt". Nachdem die "Lebensgefährtin des Angeklagten" diesem ihre Trennungsabsicht mitgeteilt habe, "drehte dieser vollkommen durch, nahm einen Bademantelgürtel und erdrosselte sie damit. Verbrechen gemäß ...".

Die Salesch: "Herr Sander, haben Sie Ihre damalige Lebensgefährtin getötet?"

"Starker Arm des Gesetzes beim Griff ins Klo"

Es spricht für die stoische Gemütslage der Juristen, dass sie über dieser Travestie ihrer Arbeit nicht "vollkommen durchgedreht" sind. Geert Mackenroth, damals Vorsitzender des Deutschen Richterbundes, antwortete dem SPIEGEL 2002 auf die Frage, warum der Verein gegen das Mitwirken seiner Kollegen nicht vorgehe: "Ich empfehle Gelassenheit." Die Shows würden sich schnell überleben.

Die günstige Sozialprognose über deutsche TV-Konsumenten sollte sich nicht bewahrheiten. Fünf Jahre später, inzwischen liefen bis zu sechs Sendungen dieser Machtart, äußerte sich Gisela Friedrichsen entnervt. In der "Zeitschrift der Rechtspolitik" (ZRP 2007, 133) wurde die Gerichtskorrespondentin deutlich: "Millionen Menschen meinen heute, im Gerichtssaal gehe es zu wie in den unsäglichen Gerichtsshows. [...] Jeden Nachmittag kann man hier dem starken Arm des Gesetzes bei seinem öffentlichen Griff ins Klo zusehen."

Alle juristischen Beobachter des seit 1999 virulenten TV-Formats beklagten, dass es in Wirklichkeit nicht so hoch her gehe in ihren Gerichtssälen. Selten würden sich Angeklagte und Ankläger derart anschreien. Wann komme es realiter jemals vor, dass ein unverhoffter Zeuge die Unschuld des Angeklagten beweise. Mit kollegialem Naserümpfen begegnete man auch dem moralisierenden Tonfall der Fernsehjuristen.

Ruinierten TV-Gerichte das Ansehen des Rechtsstaats?

Kolportiert wurde, dass im wahren Leben Angeklagte bei der Belehrung über ihr Schweigerecht abwinkten. Das würden sie schon von der Salesch kennen, auch wenn die – wie eingangs dargestellt – ein etwas eigensinniges StPO-Verständnis hat.

Martin W. Huff kritisierte, dass die Gerichtsshows "derartig verfälschend und zum Teil juristisch unsinning und wirklichkeitsfern" seien, "dass es dem Ansehen der Justiz und auch der Anwaltschaft schadet" (ZRP 2003, 68). Es sei "ein schleichendes Gift, das dort den Zuschauern eingeträufelt wird".

Das Gift war vorhanden, die Vergiftungshypothese ist aber möglicherweise übertrieben – so kann man den Befund einer medienwissenschaftlichen Untersuchung zusammenfassen, die bereits 2003 von Barbara Thym vorgelegt, von der juristischen Diskussion aber offenbar weitgehend ignoriert wurde. Die Münchener Magisterarbeit zeigte, wie drastisch die TV-Gerichte von der Realität abwichen – beispielsweise anhand der jeweils verhandelten Straftaten. Während seinerzeit der Anteil von Verkehrsdelikten bei real rund 30 Prozent lag, wurden sie bei der Salesch zu mageren 0,7 Prozent thematisiert. Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung, die in der amtlichen Statistik nur 0,2 Prozent ausmachten, bildeten bei Salesch 8,2 Prozent der TV-Delinquenz. Ein "langweiliges" Delikt wie Betrug, real rund zehn Prozent, gab es vor den strengen Augen der nuschelnden TV-Richterin gar nicht.

Das schleichende Gift war also vorhanden, fraglich allein, ob es die Zuschauer auch wirklich in ihrem Blick auf die Realität des Rechtsstaats benebelte. Soweit die empirische Basis einer Magisterarbeit das leisten kann, gab Barbara Thym Entwarnung: Sie konnte zwar belegen, dass Vielseher von Gerichtsshows beispielsweise eher daran glaubten, dass es während einer Verhandlung zu Beleidigungen und Beschimpfungen komme, dass Zeugen den "wahren Schuldigen" entlarvten oder Richter moralisch urteilen sollten, statt formal Recht zu sprechen.

Unterm Strich scheinen sich jedoch einzelne TV-Formate nicht in der erwarteten Weise in den Köpfen der Zuschauer festzusetzen. Beispielsweise haben starke "Krimi-Gucker" keine stärkere Angst, selbst zum Opfer eines Verbrechens zu werden, als durchschnittliche Fernsehzuschauer. Diese "Viktimisierungsangst" geht nach Thym nicht mit der Nutzung des Genres, sondern mit der Gesamtfernsehnutzung einher. Zugespitzt lässt sich wohl sagen: Nicht das Gucken von TV-Gerichtsshows lässt die Leute verblöden, sondern das Einschalten des Fernsehers.

Juristen trinken Kakao, durch den man sie zieht

Was an Fehleinschätzungen haften bleibt, scheint sich auf eher harmlosem Niveau zu bewegen. Beispielsweise verbreiten die Gerichtsshows mit Erfolg den Eindruck, vor Gericht werde mehr geweint als es tatsächlich der Fall ist.

In der Salesch-Folge, aus der eingangs eine Sequenz wiedergegeben wurde, wird den Gefühlen reichlich Stoff geboten: Die Eltern, die dem Angeklagten bei Eintritt in die Sitzung fürsorglich die Schultern geklopft hatten, erweisen sich als Adoptiveltern. Die leibliche Mutter, als Sozialwrack geschminkt, bekommt, nach amtlicher Ermittlung durch die Salesch, ihren Gastauftritt. Eine vollbusige Freundin der Getöteten und ein Freund des Angeklagten keifen über die Frage herum, ob seine Liebe klammernd oder fürsorglich gewesen sei.

Der Staatsanwalt schwankt derweil zwischen bornierten Tatsachenbehauptungen und giftigem Auswurf an Moralinsäure. Der Verteidiger murmelt bestätigende Worte, wenn die Salesch so tut, als ob sie gerade etwas strafprozessual Korrektes beschlösse.

In einer solchen Travestie sollte sich keine Berufsgruppe darstellen lassen. Und doch haben zahlreiche Juristinnen und Juristen den Kakao, durch den sie gezogen wurden, bereitwillig getrunken. Nicht allein, dass die Gerichtspräsidenten Nordrhein-Westfalens einen ihrer jährlichen Betriebsausflüge zu einer der TV-Shows unternahmen – auch Fleischereifachverkäuferinnen dürfen in den Zoo. Schlimmer, was die Produzentin der Salesch-Show, Gisela Marx, dem "Tagesspiegel" zur Vorgeschichte ihres Machwerks erzählte: Beim Casting zu "Barbara Salesch" habe sie "92 Richter verkraftet", beworben hatten sich knapp 200. Die Richter, vor allem die Männer, seien sehr selbstbewusste Menschen, jeder habe das Gefühl gehabt, "der geborene Fernsehstar zu sein".

Barbara Salesch als Dorfrichter Adam?

Gisela Marx, in den 1980er-Jahren WDR-Moderatorin mit Reibeisencharme, äußerte über ihren größten Star auch einen Satz, der entweder unbeabsichtigt naiv oder unglaublich zynisch ist: "Die Salesch ist inzwischen eine Kultfigur – für mich ist sie der Dorfrichter Adam als Frau." (DER SPIEGEL Nr. 14/2002, S. 179)

Bei Heinrich von Kleist ist der Dorfrichter Adam bekanntlich jener Jurist, der die Sachbeschädigung ("Der zerbrochene Krug") begangen hat, für die er einen Unschuldigen aburteilen will - zur faktischen Todesstrafe des Militärdienstes in tropischen Ländern. Das tolpatschige Auftreten des Dorfrichters enthüllt den wahren Hergang.

Damit darf man fast dankbar sein, dass die Privatsender ihre Gerichtsshows nicht mit einem großen Knall abgeschafft haben, sondern noch mit Wiederholungen im Vormittagsprogramm vegetieren lassen. So kann auch dem letzten bügelnden Hausmann (m/w) irgendwann einleuchten, dass man sich im Rechtsstaat nicht benehmen soll wie Adam, der erste Mensch.

Ob allerdings bei Anfragen der TV-Sender, frische Folgen von Justiz-Travestien zu drehen, alle Juristinnen und Juristen davon Abstand nehmen, sich für "geborene Fernsehstars" zu halten, muss man leider bezweifeln.

Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Auslaufmodell Gerichtsshows: . In: Legal Tribune Online, 27.05.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6276 (abgerufen am: 10.12.2024 )

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