Der Bademeister in der Rechtsprechung: Ein chlor­rei­cher Beruf

von Martin Rath

22.05.2021

Er macht nicht so viel her wie Rettungsschwimmer, die mit stählernem Körper über kalifornische Strände wachen, doch wer hat es mehr verdient, aus dem Dunkel der Schwimmhallen geholt zu werden, als der deutsche Bademeister?

Es wird doch stiefmütterlich mit ihm umgegangen: Seinen letzten großen Auftritt hatte der Bademeister in der deutschen Kultur- und Sozialgeschichte vor über zwanzig Jahren, als die Schriftstellerin Katharina Hacker (1967–) in ihrem Roman "Der Bademeister" (2000) einen arbeitslosen Vertreter dieses Berufs als geisterhaft existenzialistische Gestalt einsam seine Runden durch ein geschlossenes Schwimmbad am Prenzlauer Berg ziehen ließ.

Für einen neugierigen Blick auf den Bademeister warb der Cartoonist Thomas Körner (1960–) in einem Interview mit der Berliner tageszeitung. Im Schwimmbad begegneten Kinder, so Körner, einst den ersten Erwachsenen außerhalb des Elternhauses, die ihnen etwas zu sagen hatten. In seiner Jugend übernahmen es die Bademeister, den Kindern einen ersten Eindruck von Amtsautorität zu vermitteln: "Die haben uns dann angebrüllt, und die fand ich immer sehr cool."

Vielleicht sollte man das nicht unterschätzen: Während es heute oft zartfühlende Erzieherinnen sind, die bereits anderthalbjährigen Kita-Kindern wortreich zu erklären versuchen, dass sie ihre Altersgenossen nicht hauen oder kratzen dürfen, waren es in der alten Bundesrepublik die Bademeister, die Menschen im Kindesalter als erste Angehörige der Staatsgewalt herumkommandierten – und das auch noch in einem Raum, in dem sogar die Gefahr bestand, im Wasser zu Tode zu kommen.

Kaum auszudenken, welche Konsequenzen es für die normativ-emotionale Früherziehung hat, dass bei Regelverstößen heute sehr viel weniger von Bademeistern gebrüllt, sehr viel mehr von Erzieherinnen verständnisvoll erklärt wird – zumal bereits bei ungefährlichen Anlässen. Das alte Zerrbild vom liberalen "Nachtwächterstaat" hätte zwecks Erziehung zur Freiheit wohl rechtzeitig durch das positive Leitbild eines bundesdeutschen Bademeisterstaats abgelöst werden sollen: Vom Staat angebrüllt und kontrolliert zu werden, das geht schon in Ordnung, aber nur, um beim selbst gewählten Schwimmbadbesuch nicht tödlich baden zu gehen, also irgendwie ganz cool.

Identitätsprobleme deutscher Bademeister

Zum Tatbestand fehlender soziologischer und kulturwissenschaftlicher Aufmerksamkeit für den Bademeister kommt, dass ihm der Gesetzgeber und die Justiz seit Jahrzehnten Identitätsprobleme bereiten.

Denn es wurde zwar bereits im Jahr 1958 mit dem "Gesetz über die Ausübung der Berufe des Masseurs und medizinischen Bademeisters und des Krankengymnasten" geregelt, dass die heilkundigen Anwendungen von heißem und kaltem Wasser speziell dem Beruf des "medizinischen Bademeisters" zugeordnet sind.

Für jegliches Personal, das in den Frei- und Hallenbädern den Betrieb aufrechterhält und die Aufsicht über das schwimmende und plantschende Volk führt, hat sich aber die zwischenzeitlich eingeführte Bezeichnung "Schwimmmeister" nie allgemein durchgesetzt – und selbst die Rechtsprechung hielt oft am "Bademeister" fest, wenn sie mit Fachangestellten in Bäderbetrieben zu tun hatte.

In den Rechtsgeschichten der Bademeister verbirgt sich, wie könnte es anders sein, ein verstecktes Potenzial auch der Sozial- und Kulturgeschichte.

Welchen Sinn hat eigentlich das Fußreinigungsbad?

Einen wichtigen Hinweis für die sozialhistorische Einordnung des Berufs gibt das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 2. Dezember 1954 (Az. IV ZR 137/54) – zugleich beruhigt es hoffentlich die Nerven aller, die sich vom generischen Maskulinum dieser Zeilen zurückgesetzt fühlen.

Im Februar 1951 hatte die Klägerin ihre Stelle als "Badewärterin" bei den Badeanstalten der Stadt Gelsenkirchen in Erwartung ihrer anstehenden Heirat aufgegeben. Nach einem Urlaub im Allgäu kündigte ihr Verlobter, mit dem sie bereits seit dem Beginn ihrer Bekanntschaft im Zweiten Weltkrieg sexuell verkehrte, das Heiratsversprechen auf.

Der BGH erörterte in seiner Entscheidung nicht nur gewissenhaft, wie angesichts der 1949 eingerichteten Gleichberechtigung von Frau und Mann, Artikel 3 Abs. 2 Grundgesetz (GG), mit dem Anspruch der "unbescholtenen Verlobten" auf Kranzgeld nach § 1300 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu verfahren sei. In seiner Auseinandersetzung mit dem Schaden, der aus dem aufgekündigten Verlöbnis entstanden war, §§ 1298, 1299 BGB, stellte das Gericht auch fest, dass eine Badewärterin – selbst wenn diese Tätigkeit nicht dem Bild der noch höher zu wertenden Bademeisterin entsprach – zur Minderung des Schadens keine Stelle als Putzhilfe hätte annehmen müssen.

Dass nach allgemeiner Auffassung sich Bademeisterinnen und Bademeister sowie Badewärterinnen und Badewärter in verantwortungsvolleren Sphären als Putzfrauen und Putzmänner bewegten, deutete bereits ein Urteil des BGH vom 3. Februar 1954 (Az. VI ZR 332/52) an: Ein Kind, das noch nicht schwimmen konnte, war in einem Freibad in Haltern am See ums Leben gekommen. Bereits die mangelnde Abgrenzung des Nicht- vom Schwimmerbereichs genügte um den verwaisten Eltern des Kindes den Beweis des ersten Anscheins zuzubilligen, dass eine für das Kind gefährliche Wassertiefe für seinen Tod kausal gewesen sei. Nicht nur im Arzthaftungs-, auch im Bademeister- und Badebetriebsrecht nahm das so wichtige juristische Spiel mit der Beweislastverteilung als seinen Anfang.

Wem die eingangs formulierte Idee, dass Bademeister in der bundesdeutschen Früherziehung hin zu Rechts- und Normgehorsam einst eine bedeutende Rolle spielten, abwegig erscheint, der wird sich vielleicht durch das BGH-Urteil vom 9. Juni 1960 (Az. VIII ZR 155/59) überzeugen lassen.

Es ging hier um ein flaches Becken, durch das jeder Besucher des Bades zu gehen hatte, "um insbesondere seine Füße in dessen Wasser zu reinigen" – ein Ritual, das Bademeistern bekanntlich oft dazu Anlass gibt, Badegäste in Grundfragen der Deontologie zu unterweisen.

In diesem Fall verhandelten die Gerichte zwar ausführlich die Frage, in welchem Ausmaß das Becken, in dem die Gäste ihre Füße reinigen sollten, von Algen und Schmutz glitschig geworden war, und in welcher Frequenz der Bademeister zur Säuberung hätte schreiten müssen, um üble Folgen abzuwenden – hier hatte sich ein badender Unternehmer durch Sturz eine Gehirnerschütterung mit erheblichem Schaden zugezogen.

Gar keinen dokumentierten Gedanken aber verschwendeten die am Verfahren beteiligten Juristen auf die Frage, welchen hygienischen Sinn es überhaupt hatte, die am Unfalltag in großen Massen ins Bad einfallenden Badegäste überhaupt durch das mehr oder weniger augenscheinlich glitschige Fußbecken zu zwingen – Normgehorsam geht vor Hygiene, das gibt zu denken.

Bademeister im Schwarzwald-KZ

Deutlich weniger Anlass, den Bademeister als Archetypus eines mal fröhlichen, mal krampfhaften Umgangs in der alten Bundesrepublik mit den kleineren und größeren Machthabern des Alltags zu würdigen, gibt das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Mai 1960 (Az. V C 13.58).

Der im Lauf des Verfahrens verstorbene Kläger hatte sich 1942 als Veteran des Ersten Weltkriegs von einem Aufruf des Kyffhäuserbunds motivieren lassen, seine Kräfte freiwillig in den Dienst der Bewachung von Gefangenen zu stellen. Einberufen wurde er zur Waffen-SS, eingesetzt im Konzentrationslager Natzweiler. Bevor er zum Chef der Wachmannschaften des Konzentrationslagers Schömberg im Schwarzwald, ernannt wurde, leistete er beim SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt in Berlin den Dienst als Bademeister.

Das Urteil ist sicher in erster Linie wegen der heute allzu feinfühlig wirkenden Bemühungen des Gerichts beachtenswert, die Frage zu prüfen, ob der Kläger beziehungsweise seine Erben in den

Genuss von Leistungen nach dem Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz kommen könnten. Ungeachtet des Umstands, dass der SS-Mann, der unter anderem über einen Todesmarsch befohlen hatte, von einem französischen Gericht zum Tod verurteilt, dann zu lebenslänglicher Zwangsarbeit begnadigt, schließlich nach neun Jahren aus der Haft entlassen worden war, sollte noch zu prüfen sein, ob seine KZ-Tätigkeit "verwerflich" gewesen sei.

Doch interessiert sich die historische Forschung heute spezifisch auch für Körpergeschichte. Ein SS-Bademeister, der im Zentrum des mörderischen Projekts stand, im Schwarzwald Treibstoff für die deutschen Streitkräfte zu gewinnen, scheint eine bemerkenswerte Figur zu sein.

Private Partnership des NATO-Bademeisters

Ein gutes Gegengift für alle, die in der jüngeren deutschen Geschichte vor allem Anlässe sehen, sich in der Gegenwart selbst moralisch zu erhöhen, ist einem weiteren Bademeister-Fall zu verdanken.

Mit Urteil vom 22. Oktober 1981 (Az. III ZR 24/80) entschied der BGH in der Sache einer beim Schwimmunterricht zu Schaden gekommenen deutschen Schülerin der Afnorth-Schule in Brunssum, die als Stiftung niederländischen Rechts für den Nachwuchs dort stationierter NATO-Soldaten betrieben wird.

Als hätte diese Public-Private-Partnership 30 Jahre vor ihrer Zeit ein Gutachter von Bundesverteidigungsministerin a.D. Ursula von der Leyen (1958–) erfunden, war der Schwimmlehrer ein deutscher Soldat, der von der Schule zwar aus NATO-Geldern bezahlt, aber in einem privatrechtlichen Verhältnis beschäftigt wurde.

Rechtsgrundlage dafür, dass im Jahr 1981 – hier kommen wir zum Gegengift – der Schadensfall einer deutschen Schülerin an einer nach niederländischem Recht betriebenen Schule im niederländischen Brunssum vor deutschen Gerichten verhandelt wurde, war die "Verordnung über die Rechtsanwendung bei Schädigungen deutscher Staatsangehöriger außerhalb des Reichsgebiets" vom 7. Dezember 1942.

Obwohl 1981 für viele Überlebende die brutale deutsche Besatzung der Niederlande zwischen 1940 bis 1945 aus eigener Erinnerung gegenwärtig war: Schwer zu glauben, dass die niederländischen Freunde für diese rechtshistorische Fußnote mehr als ein müdes Lächeln übrig gehabt hätten. Wie viel moralische Selbsterhöhung kann sie heute noch tragen?

Zitiervorschlag

Der Bademeister in der Rechtsprechung: . In: Legal Tribune Online, 22.05.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45031 (abgerufen am: 13.10.2024 )

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