Auslands-Secondment in Indien: Going spicy

Dr. Roland Wiring

30.04.2011

Zwei Monate in Indien, dem Land der Vielfalt, der Farben, der Gewürze und des Cricket: Auch das ist eine Facette des Anwaltslebens. Dr. Roland Wiring von CMS Hasche Sigle hat ein Auslands-Secondment bei einer indischen Großkanzlei absolviert. Einige Eindrücke aus Neu Delhi und Mumbai.

Flughafen Delhi, 2 Uhr nachts. Endlich am Ziel. Der Flug war in Ordnung, die Koffer sind da, das Visum wurde akzeptiert. Erst einmal durchatmen. Doch wie geht es zum Hotel? Im Ankunftsbereich wimmelt es von Menschen. Viele halten Schilder in der Hand, andere schwenken Zettel, wieder andere rufen umher. Ein buntes Treiben – und ein Vorgeschmack auf den Trubel, der mich in den kommenden Wochen erwarten wird. Nach einer Weile erblicke ich endlich das Schild – "Welcome Dr. Wiring". Der Fahrer begrüßt mich herzlich und schon sind wir auf dem Weg zum Hotel. Namaskar, welcome to Delhi! Das Secondment hat begonnen.

Indien boomt, es herrscht Aufbruchstimmung. Die Wachstumsraten sind enorm, der Konsum steigt, immer neue Unternehmen drängen auf den Markt. Ein vielversprechendes Umfeld für Investoren. Entsprechend hoch ist der Bedarf an rechtlicher Beratung. Klassischerweise in den Bereichen Corporate, Finance und Tax. Seit kurzem wird ein weiteres Feld relevant: Competition Law. Vor allem diesen Bereich werde ich bearbeiten.

Mein Arbeitstag im Zentrum Neu Delhis beginnt etwas später als der in Deutschland. Wegen der langen Anfahrtswege füllt sich das Büro erst nach und nach. Dafür wird oft bis in den späten Abend hinein gearbeitet – und an jedem zweiten Samstag: Es gilt die alternierende Sechs-Tage-Woche. Der Platz ist, wie überall im zentralen Delhi, knapp. Erstaunlich, wie viele Anwälte in dem Gebäude unterkommen und trotz eines für deutsche Verhältnisse ungewohnten Geräuschpegels erstklassige Arbeit leisten. Zunächst ungewohnt ist auch die Vielzahl an Support-Kräften, die einem Tee oder Kaffee an den Schreibtisch bringen, Kopieraufträge erledigen, Dokumente binden oder Botengänge durchführen. Schnell weiß ich diesen Komfort sehr zu schätzen.

In der obersten Etage gibt es einen Raum, der mittags zur Kantine wird. Hier essen Partner, Anwälte und Support-Staff gemeinsam entweder ihr "Homemade Food", das sie morgens in den typischen mehrteiligen Behältern mitbringen und in der Mikrowelle erwärmen, oder ein von einem lokalen Caterer geliefertes Gericht. Das einfache, aber schmackhafte Essen besteht meist aus Reis, indischem Brot, Dal und einer weiteren vegetarischen Komponente. "Non veg" steht nur ganz selten auf dem Speiseplan – was angesichts des vielfältigen "Veg-Food" aber kaum eine Entbehrung ist.

Kartellrechtliche Aufbauarbeit

Im Zentrum meiner inhaltlichen Arbeit steht das noch junge indische Kartellrecht. Erst vor zwei Jahren traten Regelungen in Kraft, die wettbewerbsbeschränkende Absprachen und den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung verbieten. Ab dem 1. Juni 2011 müssen auch Transaktionen, an denen Unternehmen einer bestimmten Größenordnung beteiligt sind, bei der indischen Kartellbehörde angemeldet und von ihr freigegeben werden. Dass diese Regelungen, die die Handlungsfreiheit der Unternehmen in bisher ungewohntem Maße einschränken, bei indischen Mandanten nicht immer auf Zustimmung stoßen, überrascht kaum. Umso wichtiger sind das "Awareness-Building" sowie die Überzeugungsarbeit, dass sich Compliance langfristig auszahlt. Dabei kann ein Blick nach Europa den einen oder anderen Unternehmer durchaus überzeugen. Zudem erkennen sie schnell, dass das neue Kartellrecht auch Chancen bietet – etwa, wenn ein Anbieter systematisch von großen Playern diskriminiert wird oder keinen Zugang zu "Closed Shops" bekommt.

Am Wochenende bleibt Zeit, die Stadt zu erkunden. Im pulsierenden Old Delhi taucht man ein in eine faszinierende Welt. Es wimmelt nur so von Geschäften, Märkten, Straßenverkäufern, Passanten, Autos, Rickschafahrern. Eine Oase der Ruhe bietet das Red Fort, die beeindruckende Festungsanlage aus der Epoche des Mogulreiches. Wesentlich geordneter kommt Neu Delhi daher. Der während der britischen Kolonialzeit angelegte Stadtteil beeindruckt durch breite, begrünte Straßen, repräsentative Regierungsgebäude und historische Bauwerke. Hier befindet sich auch der Supreme Court, das höchste Gericht Indiens. Bei meinem Besuch drängen sich Anwälte in schwarzen Roben durch die Gänge. Eine Verhandlung in einem prominenten Korruptionsfall ist hoffnungslos überfüllt: Der gesamte Saal steht dicht an dicht, selbst die Richter haben es schwer, mit ihrer Stimme durchzudringen. Und schon nach wenigen Minuten ist die Sache vorbei, die elektronische Terminrolle springt weiter und ein Schwarm von Robenträgern schiebt sich zum Ausgang.

Mumbai: Unermesslicher Reichtum neben bitterer Armut

Den letzten Teil meines Secondments verbringe ich in Mumbai, dem wirtschaftlichen Zentrum Indiens. Eine ganz andere Stadt als Delhi – sie wirkt noch pulsierender, noch gedrängter, noch extremer. Aber mindestens ebenso faszinierend. Hier existieren scheinbar unüberbrückbare Gegensätze nebeneinander: Unermesslicher Reichtum und bittere Armut, neueste Technologie und uralte Tradition, Luxuskarosse und kaum fahrtüchtiger Untersatz. Vereint werden die Menschen unter anderem durch den Volkssport Cricket. Ich werde Zeuge eines historischen Ereignisses – Indien gewinnt im eigenen Land den Cricket World Cup! Nachdem das Team den Erzrivalen Pakistan ausgeschaltet hat, setzt es sich in Mumbai im Finale gegen Sri Lanka durch. Indien steht Kopf, 1,2 Milliarden sind außer Rand und Band: Menschenmassen feiern am Gateway of India, fahren in Jubelkonvois über den Marine Drive und zünden spontane Feuerwerke. Eine außergewöhnliche Atmosphäre.

Es ist eine spannende Zeit in Indien, dem Land der Vielfalt, der Gegensätze, der Farben – und der Gewürze. Mal sind die indischen Gerichte schärfer, mal weniger scharf. Aber "spicy" ist es eigentlich immer. Und dass die gewisse Würze zum indischen Alltag gehört, zeigt sich auch an anderer Stelle: Fliegen mit "Spicejet", Telefonieren mit "Spice Mobile", Relaxen im "Spice Cinema". A spicy Secondment!

Dr. Roland Wiring ist Rechtsanwalt bei CMS Hasche Sigle in Hamburg. Er berät unter anderem in Fragen des Kartellrechts, Wettbewerbsrechts und Medien- und Presserechts. Außerdem ist er Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg für Medienkartellrecht.

 

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Zitiervorschlag

Roland Wiring, Auslands-Secondment in Indien: Going spicy . In: Legal Tribune Online, 30.04.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3158/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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