Im 18. Jahrhundert wurde es auch an deutschen Fürstenhöfen Mode, sich einen sogenannten Kammer-Türken oder Hof-Mohren zu halten. Ein solcher "Mohr" brachte es in den 1730er-Jahren zum Universitätsgelehrten. Auf seiner Spur ist das deutsche Hof-Recht eine echte Entdeckung voll erlesener Frechheiten eines historischen Juristen. Von Martin Rath.
Zu DDR-Zeiten tauchte sein Name gelegentlich in akademischen Propagandaschriften im Kampf gegen die südafrikanische Apartheitsregierung sowie gegen den Staat Israel auf. Das ist ein wenig schade. Man darf vermuten, dass dieser Umstand dazu beigetragen hat, ihn in der historischen Namenlosigkeit zu halten: Anton Wilhelm Amo.
Amo wurde wahrscheinlich 1703 in einem Dorf auf dem Gebiet der heutigen Republik Ghana geboren, als Kind von Sklavenhändlern der Niederländischen Westindien-Kompanie, einer im transatlantischen Sklavenhandel bestens etablierten Handelsgesellschaft, entführt und über Amsterdam an Anton Ulrich (1633-1714), den regierenden Herzog von Braunschweig-Lüneburg weitergereicht.
"Hof-Mohr" wird Universitätsgelehrter
Das afrikanische Kind wurde 1708 in Wolfenbüttel getauft, Paten und Namensgeber waren Herzog Anton Ulrich und sein Sohn August Wilhelm. Amo erhielt keine rein höfische Ausbildung, sondern erwarb eine humanistische sowie eine praktisch-sprachliche Bildung - er beherrschte Deutsch, Latein, Griechisch, Niederländisch und Französisch. Von den aufgeklärten niedersächsischen Fürsten gefördert, nahm Amo 1727 ein Studium an der Universität Halle auf, Philosophie und Rechtswissenschaften standen im Mittelpunkt. Seine erste akademische Prüfung, eine sogenannte "Disputatio", galt nach zweijährigem Studium einem rechtswissenschaftlichen Thema: "De iure Maurorum in Europa" – "Über das Recht der Mohren in Europa".
Soweit aus historischen Quellen überliefert, behandelte diese Disputatio die Frage, ob afrikanische Könige in lehensrechtlichen Beziehungen zum römischen Kaiser standen - in deren Tradition sich zu Amos Zeiten die Kaiser des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation sahen. Eine Rechtsfrage, die rund 100 Jahre später in den USA in der Vor-Bürgerkriegszeit brisant werden sollte, behandelte Amo ebenfalls: In welchem rechtlichen Verhältnis stehen die "von Christen erkaufften Mohren", wenn sie in Gebiete gelangen, in denen Sklaverei nicht mehr praktiziert wird: Erlangen sie "in Europa ihre Freyheit"? Welche Rechtsauffassung Amo dazu vertrat, ist leider nicht bekannt.
Ausgesondertes akademisches Humankapital
Nach weiteren Studien und Abschlüssen in Wittenberg promovierte Amo über ein philosophisches Thema und erhielt 1736 das Recht zur akademischen Lehre in Halle, vergleichbar einem heutigen Privatdozenten - freilich ohne Beamten- oder Angestelltenstatus.
Seine Lehrtätigkeit endete in den 1740er-Jahren. Am 20. Dezember 1746 soll er auf einem Schiff der Niederländisch-Westindischen Gesellschaft nach Ghana zurückgereist sein. Ein Schweizer Schiffarzt will ihm 1752 begegnet sein, über das Todesjahr besteht keine Klarheit.
Die Gründe, warum Anton Wilhelm Amo in seine ferne Heimat zurückkehrte, liegen überwiegend im Dunklen. Ein angeblich "rassistisches" Spottgedicht des Hallensischen Jura-Professors Johann Ernst Philippi über eine unmögliche Liebesbeziehung Amos wird von der Forschung als Motiv genannt. Philippi starb selbst 1757 oder 1758, nach gescheiterter akademischer Existenz, wahrscheinlich im Zuchthaus. Ob ausgerechnet er den Ruf des Akademikerkollegen afrikanischer Herkunft zerstören konnte, ist fraglich, sein Gedicht eher barocker Schwulst denn rassistische Polemik.
Burchard Brentjes (1929-2012), zu DDR-Zeiten Archäologieprofessor in Halle-Wittenberg, der früh zu Amo arbeitete - und nur gelegentlich Konzessionen an die DDR-Afrikapropaganda machte - verglich das Leben Anton Wilhelm Amos mit dem eines anderen "Kammer-Mohren", der es noch weiter gebracht hatte: Abraham Petrowitsch Hanibal (ca. 1696-1781), vermutlich in Eritrea geboren, gelang es als Page von Zar Peter I. ("der Große") nach einer militärischen und Ingenieurs-Ausbildung, sich familiär in die russische und europäische Aristokratie einzugliedern. Alexander Puschkin, der Nationaldichter, war einer seiner Urenkel, und entfernte Nachfahren findet man heute unter anderem im Umkreis des britischen Königshauses.
2/2: Kammer-Mohren im Hof-Recht
Für den deutschsprachigen Raum gibt die schwäbische Bürokratie Auskunft über einen sogenannten "Kammer-Mohren" im Umkreis des Stuttgarter Hofes: Der Herzog von Württemberg, der gerade erst von Napoleons Gnaden eine Aufwertung zum König erlebt hatte, ließ für die Jahre 1807/1808 ein "Königlich Württembergisches Staatshandbuch" zusammentragen, das – mit putziger Detailgenauigkeit – selbst noch die Postkutschen-Fahrzeiten im Herrschaftsgebiet dokumentiert. Zwischen seinen Kammer-Portiers und seinen Kammer-Leibjägern benennt das Staatshandbuch einen Herrn Olivier als "Kammer-Mohr", zu dessen Aufgaben es - ausweislich anderer Dokumente der schwäbischen Bürokratie - gehörte, Geschenke an seinen Fürsten entgegenzunehmen.
Genauere Auskünfte zu den Hof-Mohren bzw. Kammer-Mohren gibt aber ein mehrtausendseitiges Werk zum "Teutschen Hof-Recht", das der Jurist Friedrich Karl von Moser-Filseck (1723-1798) ab dem Jahr 1754 herausgab.
"Teutsches Hof-Recht" - 250 Jahre alt und rotzfrech!
Heutige Rechtsgelehrte müssen nicht im Detail darüber nachsinnen, wie man sich dem amtierenden Staatsoberhaupt körperlich nähern darf. Das ist ein Fortschritt, bei dem allerdings auch viel frecher Spaß verloren geht.
Zum feudalen Hofamt des Kämmerers erklärt Moser beispielsweise, dass es - richtig ausgestaltet - zwar zu den wichtigen politischen Positionen eines Fürstentums zählt, weil es seinen Inhabern zu beinah jeder Tages- und Nachtzeit Zugang zum Souverän verschafft (etwas, wovon heutige oberste Staatsdiener auch träumen). Am kaiserlichen Hof zu Wien sei die Kammerherren-Würde aber derart inflationär verbreitet, dass mancher das Amt nur einmal im Leben wirklich ausübe: Eines Morgens will ein ehrenamtlicher Kammerherr von blauem Blut das nominelle Amt ausfüllen, indem er dem Kaiser beim Ankleiden hilft. Doch erkennt der Kammerherr den Kaiser nicht, weil dieser im Nachthemd daherkommt. Und der Kaiser ist nicht erfreut, vom Kammerherrn gefragt zu werden, ob er wisse, wo er denn sei, der Kaiser.
In einer Liste der an deutschen Fürstenhöfen vertretenen Ämter führt Moser auch einen "Hof-Tellerlecker", einen "Hof-Lügner, Hof-Ohrenbläser" und einen "Hof-Müßiggänger" auf. Als eines der Hindernisse bei seiner empirischen Untersuchung der im Umfeld deutscher Fürsten gepflegten Rechtsverhältnisse nennt Moser, "an den größten so gut wie an kleinen [Höfen] beruhet die Hof-Verfassung meisten Theils auf einem von den alten Dienern auf die neue fortgepflanzten Herkommen und dieser Hof-Schlendrian ersetzt den Abgang geschriebener und Gesetz-mäßig verfaßter Ordnungen“. Wie viel Behörden-Soziologie steckt doch noch heute in diesen Beobachtungen!
Leider verschwand der Hof-Mohr ohne Andenken
Die Nähe zum Fürsten bestimmte auch für den "Hof-Mohren", zwar nicht den Rang, aber doch einen Teil seines Renommees: Im Württembergischen "Staatshandbuch" wird der Staat in Kreisen um den Körper des Königs beschrieben. Herr Olivier, der "Kammer-Mohr", rangiert jedenfalls hier weit vor allen Ministern, Militärs oder gar den peripheren Juristen des Königreichs.
Die rechtshistorischen Seiten im Buch der deutschen Kolonialgeschichte Afrikas - zwischen 1884/85 und 1919 - erzählen viel von juristischen Gedankenspielen über Form und Ausmaß der "körperlichen Züchtigung" der afrikanischen "Schutzbefohlenen". Es ist vielleicht kein Zufall, dass einer der Kolonialjuristen später bei der Formulierung eines Gestapo-Prügelerlasses beteiligt war.
Am 20. Dezember 1746 verschwand der juristisch und philosophisch gebildete Hof-Mohr Anton Wilhelm Amo aus Europa – und weitgehend aus dem historischen Gedächtnis. Das ist, mit Blick auch auf die deutsch-afrikanische Rechtsgeschichte, durchaus ärgerlich.
Hinweis: Friedrich Karl von Mosers wirklich grandioses "Teutsches Hof-Recht" ist als Digitalisat über die Bayerische Staatsbibliothek online verfügbar.
Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, Abgeschlossene Rechtsgebiete: Hof-Recht und Hof-Mohr . In: Legal Tribune Online, 22.12.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10448/ (abgerufen am: 23.04.2024 )
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