Alkohol- und Coca-Colajurisprudenz: Getränk­e­pro­b­leme für Gratis-Rechts­rat­su­chende

von Martin Rath

19.02.2012

Bei privaten Feierlichkeiten droht Menschen mit Befähigung zum Richteramt oft ätzender Smalltalk über kostenpflichtige Details des deutschen Rechts. Hält man sich an das, was man in der Hand hat, ein Getränk, und lenkt man das Gespräch auf die Rechtsfragen von Alkohol und Coca Cola, sollten sich laienhafte Auskunftsersuchen jedoch abwürgen lassen. Ratgeberei von Martin Rath.

Mit der Frage, was sie eigentlich beruflich machten, wird eine berufstypische Gefahrensituation eröffnet: "Wird einem Juristen diese Frage auf einer Party gestellt, macht sich bei vielen Berufskollegen Angst breit", beschrieb Moritz von Bismarck beim Start von "Legal Tribune Online" das Risiko, auch im Privatleben mit Rechtsfragen behelligt zu werden: "Denn sie wissen nur zu gut, wie das Gespräch in den nächsten Stunden sehr wahrscheinlich verlaufen wird: Zum deutschen Rechtssystem wird jeder Gast vermutlich eine Erfahrung, mindestens aber eine Meinung haben. Und ausbaden muss dies der eine Jurist, der gerade greifbar ist."

Sollte der so behelligte Jurist nicht eben bei der Faschingsfeier der örtlichen "Anonymen Alkoholiker" oder einem Empfang in der saudi-arabischen Botschaft vom Rechtsfragen stellenden Partyvolk umzingelt sein, könnte er mit einer dezenten Bemerkung zum Getränk seines Gegenübers auf Probleme überleiten, die ihm die Schmach an sich abrechnungsfähiger Antworten ersparen.

Alkoholismus, (k)eine Frage juristischer Klarheit

Rhetorisch geschickt könnte es sein, mit dem noch recht frischen Befund des Bundesgerichtshofs (BGH) zu beginnen, der im Sommer 2011 feststellte, dass Alkoholismus keine Krankheit sei – jedenfalls nicht im Sinn von § 1906 Abs. 1 Nr. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Das sollte den Gesprächspartner, Getränk in der Hand, zunächst in Sicherheit wiegen.

Die Norm sieht vor, dass ein Betreuter zu einer Unterbringung, "die mit Freiheitsentziehung verbunden ist" nur gezwungen werden darf, wenn "auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt". Alkoholismus oder die schlichte Rückfallgefahr genügen nach dem Beschluss vom 17. August 2011 (Az. XII ZB 241/11) für sich genommen nicht, eine Unterbringung zu erzwingen. In dieser Betreuungssache hatte der Erkrankte jedoch in Folge einer Hirnschädigung die Fähigkeit verloren, Rückfälle zu vermeiden. Da war sie, die psychische Erkrankung. Der BGH segnete darum die Unterbringung ab.

An diesem Punkt muss der Nicht-Jurist natürlich noch ein wenig weiter ernüchtert werden, was die Möglichkeit betrifft, im Rahmen eines Party-Smalltalks verbindliche Rechtsauskunft zu erlangen. Dabei hilft das Bundessozialgericht (BSG) mit seinem wegweisenden Urteil in Sachen Alkohol. Mit Urteil vom 18. Juni 1968 entschieden die obersten Sozialrichter, dass eine Krankenkasse die Kosten zu erstatten hatte, die "durch die Unterbringung ... im Rheinischen Landeskrankenhaus Süchteln zur Durchführung einer Alkoholentziehungsbehandlung in Höhe von 770,00 DM entstanden sind" (Az. 3 RK 63/66).  Bis dahin hatten die Krankenkassen nur die Kosten von Folgeschäden einer Alkoholabhängigkeit erstattet. Nun wurde "Alkoholismus" erstmals als eigenständige Erkrankung anerkannt.

Weitere Verderbnis juristischen Party-Smalltalks

Sollte damit dem juristischen Gesprächsbedarf des Partygastes noch nicht abgeholfen sein, kommt die Ausweitung des Gesprächsthemas um die soziale Komponente des Themas "Alkohol und Recht" in Betracht. Dazu könnte man auf einen Beschluss des Verwaltungsgerichts (VG) Gelsenkirchen vom 16. Dezember 2011 eingehen (Az. 7 L 1274/11), mit dem die Entscheidung der zuständigen Aufsichtsbehörde bestätigt wurde, einer Zahnärztin die Approbation – wie man im Volksmund sagt – zu entziehen, weil sie trotz diagnostizierter Alkoholabhängigkeit während einer "Bewährungsfrist" bei einer Trunkenheitsfahrt aufgefallen war.

Damit wäre geklärt, was ja ein schöner Befund ist, dass Juristen einen Beitrag zur Volksgesundheit leisten, indem sie sich den Suchterkrankten nicht erst im Zuge der Strafrechtspflege und des Ordnungsrechts annehmen, wie das wohl vor der BSG-Entscheidung von 1968 der Fall war.

Dass es sich nicht nur um Probleme einer Minderheit handelt, die "den ganzen Tag schlecht frisiert auf der Parkbank liegt, ins Gebüsch pinkelt und grundsätzlich stinkt wie ein alter Turnbeutel", wie es Simon Borowiak in seinem Buch "Alk" formuliert, lässt sich auch mit einem selbstkritischen Blick auf den Juristenstand illustrieren. So nannte Patrick Bahners die Tagebücher (1930-34) des berühmten Staatsrechtslehrers Carl Schmitt (1888-1985) in seiner FAZ-Rezension das "Protokoll eines Deliriums" und spielte damit auf die offensichtlich von Alkohol befeuerten Paranoia des Rechtsgelehrten an.

Rechtstatsächliche Relativierungen der blauen Gefahr

Nun bietet es sich an, den Smalltalk vor der Engführung auf die Gefahren der Trunksucht zu bewahren. Der dezente Hinweis darauf, dass sich bereits das Reichsgericht vor mehr als 100 Jahren mit der künstlichen Zuckerung des Weins herumschlagen musste, beispielsweise in seinem Urteil vom 25. April 1911 (Az. V 1065/10) ausführlich auf die Unterschiede zwischen Flüssig- und Trockenzuckerung des Mostes einging, könnte rechtshistorische Belesenheit unter Beweis stellen und das Gespräch entspannen (RGSt 45, S. 106-118).

Verkneifen sollte sich ein Jurist, der die Party um alkoholrelevante Informationen bereichern möchte, indes rechtstatsächliche Anspielungen auf die Unfallstatistik. So unterstreicht das Statistische Bundesamt zwar, dass im Jahr 2010 "insgesamt 342 Verkehrsteilnehmer bei Alkoholunfällen im Straßenverkehr getötet und weitere 18.874 Personen verletzt wurden". Auch dass "die Unfallursache 'Alkoholeinfluss' schwerwiegendere Unfallfolgen als viele andere Ursachen" hatte, bemerken die Bundesstatistiker in ihrer Broschüre – 23 Getötete und 332 Schwerverletzte "je 1.000 Unfälle mit Personenschaden".

Aufbrechende Partygäste könnten sich aber von der statistischen Feststellung in falsche Sicherheit gewiegt sehen, dass das "Fehlverhalten der Fahrzeugführer bei Unfällen mit Personenschaden" im Jahr 2010 nur zu 4,1 Prozent im Alkoholeinfluss bestand, während zum Beispiel "Abbiegen, Wenden, Rückwärtsfahren, Ein- und Anfahren" mit sagenhaften 15,2 Prozent zu Buche schlugen.

Zu einer ähnlich problematischen Sicht auf die Rechtstatsachen könnte ein "Blutalkoholrechner" des Deutschen Anwaltvereins beitragen. Diese "App" sollte darum vielleicht im Partyverlauf nicht vorgeführt werden.

Fassungslosigkeit mit Rechtstheorie provozieren

Sollten die bereits eingeführten juristischen Aspekte des Alkoholkonsums noch nicht genügt haben, andere Partybesucher vom kostenfreien Rechtsgespräch abzuhalten – oder vom Smalltalk mit dem Juristen überhaupt – hilft ein Blick in die rechtsökonomische Literatur.

Michael Adams und Maja Kraas-Littger schärften mit ihrem Festschrift-Beitrag "Produkthaftung für Colagetränke" nicht allein den medizinischen Blick auf  Mangelernährung und Knochenschwund, Nierensteine und Zahnschäden, die mit dem Konsum der braunen Soft Drinks einhergehen. Mit dem Aufsatz spüren sie "der Frage nach, ob die Hersteller von Soft Drinks für die gesundheitlichen Folgen des Konsums ihrer Getränke nach deutschem Recht in Haftung genommen werden können."

Spätestens mit dem Fazit der rechtsökonomischen Studie von Adams und Kraas-Littger, dem zufolge die vermeintlich juristisch harmlose Cola einen "Konstruktionsfehler" im Sinne des Produkthaftungsrechts aufweist und die Firma Coca-Cola von Rechts wegen "vor den Gesundheitsfolgen Übergewicht, den entsprechenden Folgeerkrankungen, der Entstehung von Typ-2-Diabetes, der Gefahr des Vitaminmangels und Knochenschwunds warnen und auf die Suchtproblematik des Koffeins und des zugesetzten Zuckers hinweisen" müsse, dürfte man die Aufmerksamkeit jedes Partygastes bei den Hörnern gepackt haben.

Und, Hand aufs Herz, ist die Frage, ob die Firma Coca-Cola wegen fehlender Warnhinweise "für die genannten Krankheitsfolgen anteilig in Höhe des Verursachungsbeitrages haftbar" zu machen wäre, nicht viel erquicklicher und erfreulicher als Antworten auf alltägliche arbeits-, haftpflicht- oder steuerrechtliche Fragen?

Dazu möchte sich der rechtsaufskunftbedürftige Partybesucher doch eines aktenkundigen Anwalts bedienen – bei Tageslicht und unter nüchternen Umständen.

Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Alkohol- und Coca-Colajurisprudenz: . In: Legal Tribune Online, 19.02.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5594 (abgerufen am: 05.12.2024 )

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