Dissertations-Revue: Not­wehr gegen Nichtstun und Social Soft­ware

von Martin Rath

27.09.2015

4/6: Intellektuell muss man Strafrecht lieben

Vor dem inneren Auge sieht man dämonisch grinsende Examensprüfer und Blut schwitzende Prüflinge der juristischen Zunft, deren Fantasie von bislang wenig diskutierten Fragen der strafrechtlichen Rabulistik angeregt wird. André Stahls strafrechtliche Dissertation "Notwehr durch Unterlassen" regt mit folgendem Fall an.

"Hindert der Vater V beispielsweise seinen Sohn S, einen Nichtschwimmer, nicht daran, in einem von gefährlichen Tiefen und Strömungen durchzogenen See zu baden, führt er durch Unterlassen eine Gefahr für das Leben seines Sohnes herbei."

Prüfen Sie, ob Förster F den V sofort mit seiner Flinte niederstrecken durfte oder ein Warnschuss erforderlich war.

Letzteres ist natürlich eine sarkastische Zuspitzung. André Stahl setzt sich in seiner Dissertation mit dem in der juristischen Praxis vernachlässigten Phänomen von Unterlassen auseinander, gegen das Notwehrhandlungen zulässig sein könnten. Das Reichsgericht hatte beispielsweise noch häufiger mit der Frage zu tun, ob gegen den auszugsunwilligen Wohnungsmieter nach dem Ende des Vertrags Notwehr wegen Hausfriedensbruchs möglich sei. Es verneinte das mit Blick auf die reine Passivität des Ex-Mieters. Vielleicht hielten es die Reichsgerichtsräte auch einfach für sozial inadäquat, wenn eher militärisch als juristisch ausgebildete Schutzmänner in Mietrechtsfragen das erste und das letzte Wort haben sollten. Vermutlich kümmerte man sich allein deshalb in den frühen Fällen eines möglichen Notwehrrechts gegen Unterlassen wenig um dogmatisch-rabulistische Trennschärfen.

Wenn hier ein wenig herumgealbert wurde, welche Erstsemester- oder Examensfragen aus der Figur des Notwehrrechts gegen Unterlassen geschöpft werden können, ist das ein bisschen unfair. Denn wer den allgemeinen Teil des Strafrechts nicht nur irgendwie "drauf haben", sondern wirklich verstanden haben will, sollte zu so scharfsinnigen Dissertationen greifen wie:

André Stahl: "Notwehr durch Unterlassen".

Inaugural-Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Rechte durch die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster. Erster Berichterstatter: Prof. Dr. Mark Deiters. Zweiter Berichterstatter: Prof. Dr. Ulrich Stein. Dekan: Prof. Dr. Ingo Saenger. Tag der mündlichen Prüfung: 13. Januar 2015.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Dissertations-Revue: Notwehr gegen Nichtstun und Social Software . In: Legal Tribune Online, 27.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17012/ (abgerufen am: 27.03.2024 )

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