Während der sogenannten Lewinsky-Affäre kritisierte der amerikanische Anwalt und Professor Alan Dershowitz einen "sexuellen McCarthyismus". In Sachen Trump mahnt er nun zur Zurückhaltung: Zwei Bücher zum Verhältnis von Recht und Demokratie.
Ein juristisch profunder Kommentar zur Affäre von Richard Nixon (1913–1994) trug ihm bereits Anfang der 1970er Jahre die Aufmerksamkeit eines US-Präsidenten ein, der dann seinen schlechten Gewohnheiten folgte und eine Akte über den noch jungen Rechtsgelehrten anlegen ließ: Seit bald fünf Jahrzehnten kommentiert der Anwalt und inzwischen emeritierte Harvard-Professor Alan M. Dershowitz (1938–) das politische Geschäft seines Landes.
Die Tätigkeit als Strafverteidiger in aufsehenerregenden Fällen wie der Strafsache O. J. Simpson trugen über die Jahrzehnte zu seiner kaum überbietbaren öffentlichen Präsenz bei – wobei Dershowitz dem Publikum gelegentlich das Vergnügen bereitet, seine Rolle in den Medien satirisch zu unterlaufen. In deutscher Sprache liegen unter anderem seine Autobiografie, eine Auseinandersetzung mit biblischen Rechtsproblemen sowie zwei von echten Rechtsfragen getragene Kriminalromane vor.
Sogar die letztgenannten bieten – neben einer realistischen Darstellung des positiven Rechts – eine Auseinandersetzung mit juristischen Aporien, den ethischen und rechtslogischen Ausweglosigkeiten, in denen Dershowitz seine nach dem Leben gezeichneten Figuren nicht selten Orientierung in der talmudischen Tradition suchen lässt.
Oft äußert sich Dershowitz nicht, wie es die bequeme Moral erwarten lässt, so beispiels-weise in der seit 2001 virulenten Diskussion um die Zulässigkeit der Folter, was ihm neben berechtigter Kritik auch vorschnelles Naserümpfen einträgt. Ein interessanter Kopf, immerhin. Zwei seiner Werke zur Verrechtlichung demokratischer Prozesse sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden.
Obsession für Sexualität untergräbt die Verfassung
Unter dem Titel "Sexual McCarthyism. Clinton, Starr and the Emerging Constitutional Crisis" beschrieb Dershowitz 1998 die Kontroverse um die Amtstauglichkeit von US-Präsident Bill Clinton (1946–, im Amt 1993–2001). Ausgangspunkt der Affäre waren Vorwürfe, Clinton habe in seiner Zeit als Amtsanwalt und Gouverneur von Arkansas in den 1970er Jahren seine staatlichen Funktionen zur Einflussnahme auf Immobiliengeschäfte genutzt, in die er beziehungsweise seine Frau involviert waren. Diese sogenannte Whitewater-Affäre führte 1994 zur Einsetzung des Bundes-Sonderermittlers Kenneth Starr (1946–), eines bis dahin parteiübergreifend gut angesehenen Juristen, dessen Ermittlungsinteressen freilich peu à peu von der Immobilien- auf intime Affären abglitten.
Dershowitz erweitert, um Starrs Vorgehen einzuordnen, das Bild um die Funktion, die das Wissen um sexuelle Vorlieben und sogenannte Verfehlungen in Politik und Rechtssystem der USA bis dahin hatte: Namentlich J. Edgar Hoover (1895–1972), der von 1935 bis zu seinem Tod als erster Direktor des FBI tätig war, nutzte ein aus klandestinen Ermittlungen gewonnenes Wissen um das Sexualverhalten von etablierten Politikern wie außerparlamentarischen Oppositionellen zur Erpressung und zu Operationen, die im DDR-Sprachgebrauch "Zersetzung des politischen Gegners" hießen. Der Bürgerrechtler Martin Luther King (1929–1968) sollte beispielsweise unter dem Vorwurf außerehelicher Affären mit – horribile dictu – "weißen" Frauen zum Rückzug aus der Öffentlichkeit, besser noch zum Selbstmord gebracht werden.
Auch Joseph McCarthy (1908–1957) bediente sich in seiner Kampagne gegen mutmaßli-che kommunistische Verschwörer des Mittels, Zeugen, etwa aus Künstlerkreisen, mit Kenntnissen zu sexuellen Vorlieben zu Aussagen zu bewegen.
Abschied vom Sex-Skandalisieren hält nicht lange vor
Dank der Entkriminalisierung von Ehen zwischen Menschen unterschiedlicher "Rassen" durch Urteil des U.S. Supreme Courts, 1967, und dem seit den späten 1980er Jahren zurückgehenden Beschämungspotenzial homosexueller Lebensführung hätte hinsichtlich der Privatsphäre von Personen des öffentlichen Lebens einige Entspannung eintreten können.
Die Chance, im demokratischen Prozess die öffentlichen Verdienste und Versäumnisse sowie die mehr oder weniger delikaten privaten Vorlieben getrennt zu halten, fand ihr Ende in der Untersuchung von Sonderermittler Starr, die von Clintons möglicherweise rechtswidrigen Immobiliengeschäften abglitt auf die – dem Publikum deutlich besser vermittelbaren – außerehelichen Sexualkontakte des Präsidenten.
Dershowitz zog 1998, noch bevor die Anklage gegen Clinton vor dem US-Kongress tatsächlich erhoben werden und schließlich scheitern sollte, zwei Lehren. Erstens warnte er davor, die in der US-Verfassung ausbalancierten Machtverhältnisse dadurch aus dem Gleichgewicht zu bringen, indem – namentlich durch Sonderermittler mit weitgehenden Rechten – die Kriminalisierung des politischen Gegners betrieben werde.
Zweitens monierte Dershowitz, dass mit dem Starr-Report ein zwar moralisch anstößiges, jedoch legales Intimverhalten – ein Feld, auf dem jeder sich schnell zur Lüge verführt sehen könnte – in den politischen Machtkampf zurückgebracht werde, kaum dass man in den 1970er Jahren die Chance gehabt hatte, sich von dieser Politisches und Privates vermengenden Skandalisierungspraxis jedenfalls zu distanzieren.
2/2: Soll Trump denn formal so gar nicht Präsident sein?
Auch wenn Bill Clinton der öffentlichen Auseinandersetzung um präsidiale Sperma-Flecke auf Praktikantinnen-Kleidung nicht entkam, gingen Entblößungen und Entblödungen doch fast gemächlich vonstatten.
Seither haben sich dank Online-Kommunikation Schlagzahl und Härte in der öffentlichen Auseinandersetzung um Privates derart erhöht, dass das politische Kerngeschäft darüber fast gänzlich die Aufmerksamkeit – jedenfalls im anstrengenden Detail – verlor. Den grotesken Höhepunkt macht ein zum Präsidenten avancierter Immobilienbankrotteur und TV-Unterhalter, der sich für die formalen, juristischen Details offenbar auch gar nicht mehr zu interessieren braucht.
In seinem dieser Tage veröffentlichen Buch "Trumped Up: How Criminalization of Political Differences Endangers Democracy" konzentriert sich Alan M. Dershowitz allerdings nicht auf die bis zur Erschöpfung des Publikums diskutierte öffentliche Performanz des Donald J. Trump (1947–).
Vielmehr moniert er, dass Trump, nachdem Sonderermittler Robert Mueller (1944–) seinen potenziell unbegrenzten Untersuchungsauftrag erhalten hatte, zum "Weißen Wal" geworden sei. Dershowitz nennt die laufenden Ermittlungen wenig schmeichelhaft – auch für ihr Objekt – eine "Darmspiegelung des Weißen Hauses" und warnt – selbst bekennender Unterstützer Barack Obamas und Hillary Clintons – davor, dass hiermit ein weiterer Präzedenzfall dafür geschaffen werde, sich des politischen Gegners nicht auf der Sachebene anzunehmen, sondern ihn durch eine formal entgrenzte Kriminalisierung beseitigen zu wollen – im blinden Eifer des Kapitän Ahab aus "Moby Dick".
Bürgerrechte auch für Pomuchelsköpfe
Es nimmt sich komisch aus, aber Dershowitz sorgt sich um die Bürgerrechte von Donald Trump. Wie fremd ist uns doch diese Sorge! Merkwürdig ist sie aus deutscher Sicht, käme hierzulande beispielsweise der Herausgeberkreis des "Grundrechte-Reports" vermutlich kaum jemals auf den Gedanken, zu den ersten zu zählen, die schon aus Prinzip die Redefreiheit eines Björn Höcke oder Alexander Gauland verteidigen.
Der in Sachen Grundrechtsschutz hartnäckige Dershowitz sorgt sich darum, dass renom-mierte Bürgerrechtsvereinigungen wie die American Civil Liberties Union (ACLU) nun ebenfalls einseitig Partei nehmen und nicht mehr für die verfassungsmäßigen Rechte noch des letzten Narren in die Bresche springen.
Der Verlust an juristischem Formbewusstsein zeigt sich für Dershowitz aktuell beispiels-weise darin, dass nicht nur Trump zelotenhafe Freunde finde, die an ihrem Helden nie einen Hauch von Kritik zuließen, sondern auch seine Gegner in blinden Eifer verfielen. Kraft seiner exekutiven Eigenschaft könne der Präsident etwa durchaus nachrangige FBI-Beamte anweisen, Ermittlungen aufzunehmen oder einzustellen. Die Ausübung dieser Kompetenz bereits als Impeachment-würdiges Verbrechen anzugreifen, die z.B. erst bei Vernichtung von Beweismitteln vorläge, verkenne die Verfassung.
Streitbarer Liberalismus in Person
Sollte der ebenso streitbare wie rechtsgelehrte Anwalt Dershowitz hier und in einigen weiteren Details Recht behalten, könnte die auch von Teilen der deutschen Öffentlichkeit herbeigesehnte Anklage gegen den amtierenden US-Präsidenten ein anderes Ende nehmen als erwartet.
Jedenfalls steht zu befürchten, dass sich – sollte die "Koloskopie" (Dershowitz) in den Eingeweiden von Trumps Geschäftsbeziehungen dazu motivieren – der demokratische Prozess noch stärker als bisher von den politischen Entscheidungsfragen auf die – dann ausermittelbare – Geschäfts- und Privatpersönlichkeit aktueller, aber auch künftiger Amtsinhaber verlagert.
Nebenbei finden sich in Dershowitz' Werken immer wieder auch äußerst erfrischende Einsichten in die historische Kontingenz; z.B. müsste, gemessen am zotig-aggressiven Humor der US-Verfassungsväter, Pornografie eigentlich vom Kernbereich der Äußerungsfreiheit gedeckt sein – ein hübscher Ansatz, neokonservative Tugend-Prediger ins Schleudern zu bringen. Vergleichbar historisches Bewusstsein fände man gern auch öfter unter deutschen Juristen.
Vom gefestigten Standpunkt für Freiheitsrechte einzutreten, so abscheulich ihre Nutzer sein mögen, lässt sich anhand der Biografie und der Schriften von Alan Dershowitz für den Parteibetrieb der deutschen Öffentlichkeit noch einiges abschauen. Wir haben hier doch sehr viel weniger Substanz, von der zu zehren wäre.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Solingen-Ohligs.
Literatur: Alan M. Dershowitz: "Sexual McCarthyism. Clinton, Starr and the Emerging Constitutional Crisis", New York 1998, ders.: "Trumped Up: How Criminalization of Political Differences Endangers Democracy", New York/Nashville 2017
Martin Rath, Affären als politisches Kampfmittel: Schmutzige Geheimnisse aus dem weißen Haus . In: Legal Tribune Online, 03.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24275/ (abgerufen am: 20.04.2024 )
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