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100 Jahre Frauen in juristischen Berufen: Gegen viele Wider­stände

Gastbeitrag von Johanna Groß und Sina Ness

09.07.2022

Jurastudierende Universität

Bis 1922 durften Frauen zwar Jura studieren, aber kein Staatsexamen ablegen. Was müsste sich heute in der juristischen Ausbildung verändern? Foto: picture alliance / dpa | Friso Gentsch

"Die Fähigkeit zum Richteramte kann auch von Frauen erworben werden": Mit dieser Regelung eröffnete ein Gesetz 1922 Frauen die Möglichkeit, juristische Berufe zu ergreifen. Johanna Groß und Sina Ness mit einem Blick zurück und nach vorn.

 

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Als Maria Hagemeyer die Schule beendet, dürfen Frauen zwar Jura studieren und auch promovieren, der Zugang zum juristischen Vorbereitungsdienst und den beiden Staatsexamina bleibt ihnen aber verwehrt. Gleichwohl immatrikuliert sie sich 1916 an der Juristischen Fakultät der Universität Bonn.

Als sie drei Jahre später die Arbeit an ihrer Doktorarbeit beginnt, hat sich die politische Situation grundlegend geändert: Die Einführung des Frauenwahlrechts und die Verankerung der – wenn auch nur "grundsätzlichen" – Gleichstellung der Frau in der Weimarer Reichsverfassung lassen hoffen, dass Frauen auch der Zugang zu den juristischen Berufen nicht länger verwehrt bleibt. Dennoch sollte es noch fast drei weitere Jahre dauern, bis sich diese Hoffnung mit dem "Gesetz über die Zulassung der Frauen zu den Ämtern und Berufen in der Rechtspflege" vom 11. Juli 1922 (RGBl 1922 I, S. 573) erfüllte. Nun konnten Frauen erstmals beide juristischen Staatsexamina ablegen und damit auch einen juristischen Beruf ergreifen.  

Die ersten Jurastudentinnen stammten aus privilegierten Familien  

Die Widerstände gegen die Öffnung waren groß: Frauen seien weder physisch noch psychisch geeignet, Berufe der Rechtspflege auszuüben; zudem drohe ein Autoritätsverlust der Gerichte, wenn nun auch Frauen die Richterrobe tragen dürften. Aber auch Sorgen über eine wachsende Konkurrenz durch Juristinnen und die Verletzung des "deutschen Mannesgefühls" wurden ins Feld geführt, um eine Veränderung des Status quo zu verhindern.

Weder die ablehnende Haltung der juristischen Berufsorganisationen noch die konservativen Kräfte im Reichstag konnten die Zulassung aber letztlich verhindern. Das politische Engagement verschiedener Frauenorganisationen und die Beharrlichkeit einiger weiblicher Abgeordneter ermöglichten schließlich, dass 1927 am Amts- und Landgericht Bonn die vermutlich erste deutsche Richterin ihren Dienst antritt: Dr. Maria Hagemeyer.

Sie stammt - wie die meisten frühen Jurastudentinnen – aus einer bildungsbürgerlichen Familie. Insgesamt ist die Gruppe der ersten Jurastudentinnen klein und homogen: Die Kosten für ein Studium sind hoch, die beruflichen Aussichten ungünstig und bereits das Abitur legten nur wenige Mädchen ab. Nur ein sehr kleiner, privilegierter Teil der Frauen hat die entsprechende familiäre Unterstützung und die erforderlichen Mittel, um einen Studienbeginn zu wagen.

Die Nationalsozialisten drängen Frauen zurück in die Hausfrauenrolle

Die Phase der ersten Juristinnen soll allerdings nur kurze Zeit andauern. Schon gegen Ende der Weimarer Republik wird ihnen die Berufstätigkeit zunehmend erschwert. Insbesondere über die beamtenrechtliche "Zölibatsklausel" wird bei schlechter konjunktureller Lage Personalabbau zulasten verheirateter Frauen betrieben. Ein jähes Ende nimmt die in der Weimarer Zeit in Gang gesetzte positive Entwicklung schließlich mit der nationalsozialistischen Machtergreifung.  

Mit der NS-Ideologie, die Frauen vorrangig in der Hausfrauen- und Mutterrolle sieht, sind berufstätige Juristinnen – zumal in staatstragender Rolle – nicht vereinbar. Nachdem sie zunächst durch familien- und arbeitspolitische Anreize in den häuslichen Bereich zurückgedrängt werden, dürfen Assessorinnen ab 1935 nicht mehr in die Richter- und Staatsanwaltslaufbahn übernommen werden; bald darauf ist ihnen auch eine Karriere als Anwältin versperrt.  

Noch härter trifft die nationalsozialistische Machtübernahme Juristinnen jüdischen Glaubens. Während ihre nichtjüdischen Kolleginnen zum Teil auf weniger öffentlichkeitswirksamen Stellen weiterhin einer Beschäftigung nachgehen können – so auch Hagemeyer – werden sie vollständig aus ihren Berufen verdrängt. Unter den vielen Juristinnen, die von dieser rassistischen Ausgrenzung und Verfolgung betroffen sind, finden sich einige Persönlichkeiten, die später noch große Bedeutung erlangen sollen, etwa die erste Richterin am Bundesverfassungsgericht Erna Scheffler.

Von der Unrechtsprechung des Nazi-Regimes ausgeschlossen, gelingt mancher Juristin nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein schneller Wiedereinstieg in ihren früheren Beruf. Dennoch bleibt der Frauenanteil in den ersten zwanzig Jahren der Bundesrepublik – anders als in der von einem permanenten Arbeitskräftemangel geplagten DDR – gering. Nicht zuletzt bestehende Hürden in familien- und beamtenrechtlichen Vorschriften drängen Frauen erneut in die Sphäre des Privaten. Mit ihrer Mitwirkung an der Erarbeitung des Grundgesetzes und an der Überarbeitung des Bürgerlichen Gesetzbuches sind es Juristinnen der ersten Generation wie Hagemeyer, Marie-Elisabeth Lüders, Elisabeth Selbert und Elisabeth Schwarzhaupt, die erheblichen Einfluss auf ihre Beseitigung haben.

Wo Juristinnen heute noch unterrepräsentiert sind

Und heute? Schon seit langem entscheiden sich mehr Frauen für ein juristisches Studium als Männer. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in Justiz und Anwaltschaft wider: So entspricht der Frauenanteil bei den Staatsanwaltschaften und Gerichten weitgehend dem der Männer, in manchen Bereichen übersteigt er ihn sogar. Auch der Anteil der Frauen in Beförderungs- und Führungsämtern wächst mittlerweile, wenn auch deutlich langsamer.  

In der Anwaltschaft stellt sich diese Entwicklung hingegen nur verzögert ein: Seit einigen Jahren werden zwar mehr Frauen als Männer zum Anwaltsberuf zugelassen. Insgesamt ist die Anwaltschaft aber noch deutlich männlich geprägt – das zeigt sich besonders, wenn es um die Partnerschaft geht, hier werden weiterhin meistens Männer ernannt.  

Eine eklatante Unterrepräsentanz von Frauen zeigt sich auch in der Wissenschaft. Mit einem Frauenanteil von nur knapp 18 Prozent Frauen in der Professor:innenschaft im Jahr 2017 schneiden die Jurist:innen auch im Vergleich zu anderen Fächern äußerst schlecht ab.  

Ein neuer Blick auf die juristische Ausbildung ist notwendig

Dass es sich bei dieser erheblichen Unterrepräsentanz von Frauen in der Wissenschaft nicht nur um ein Problem fehlender Vorbilder während der Ausbildung handelt, zeigt eine Studie des Justizministeriums NRW aus dem Jahr 2018. Demnach schneiden Frauen im Vergleich zu ihren männlichen Kommilitonen in den mündlichen Staatsexamensprüfungen im Schnitt selbst dann schlechter ab, wenn sie mit den gleichen schriftlichen Ergebnissen eingereicht wurden. Das Erschreckende: Die Geschlechtsunterschiede verschwinden, sobald zumindest eine Frau Teil der Prüfungskommission ist – ein klarer Hinweis auf einen (jedenfalls unbewussten) Diskriminierungseffekt. Daneben sehen sich Studierende häufig sexistische Stereotype bedienende Ausbildungsliteratur ausgesetzt, die erkennen lässt, dass in Sachen "diskriminierungssensible Lehre" noch Nachholbedarf besteht.

Aber nicht nur das Geschlecht spielt eine Rolle: Die nordrheinwestfälische Studie hat ebenfalls gezeigt, dass Studierende mit zugeschriebener Migrationsgeschichte im Schnitt schlechter abschneiden als männliche Studierende, denen eine Migrationsgeschichte nicht zugeschrieben wird. Auch rassistische Diskriminierung ist daher ein aktuelles Problem der juristischen Ausbildung. Diskriminierungserfahrungen aufgrund der Klassenzugehörigkeit oder einer Behinderung wurden in der Studie nicht untersucht, dürften aber sicherlich auch eine nicht unerhebliche Rolle spielen.

Die verpflichtende Besetzung von Prüfungskommissionen mit mindestens einer Frau, transparente Maßstäbe für die Bewertung von Prüfungsgesprächen, aber auch verpflichtende Fortbildungsveranstaltungen zur Etablierung einer diskriminierungssensiblen Ausbildung wären ein guter Anfang, diese Herausforderungen anzunehmen.

Die Autorinnen sind Akademische Mitarbeiterinnen an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und Mitorganisatorinnen der interdisziplinären Tagung Frau.Macht.Recht., die anlässlich des Jubiläums am 15. Juli 2022 in Heidelberg stattfinden wird. 

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100 Jahre Frauen in juristischen Berufen: . In: Legal Tribune Online, 09.07.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48988 (abgerufen am: 14.11.2025 )

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