Als Verteidiger von Daniel Cohn-Bendit, Ulrike Meinhof oder Hans Modrow hat der Bremer Strafverteidiger Heinrich Hannover Rechtsgeschichte geschrieben. Gil Eilin Jung traf den bekennenden Pazifisten und Sozialisten, Vater von sechs Kindern, Bestsellerautor zahlreicher Kinderbücher, der zwar aus dem aktiven Berufsleben ausgeschieden ist, sich aber keinesfalls im Ruhestand befindet.
© Helga Hagedorn
LTO: Wie haben Sie Ihre Studienzeit erlebt?
Hannover: Die war sehr hart, weil ich mittellos und Waise war. Das Vermögen meiner Eltern war noch in der sowjetischen Besatzungszone enteignet worden. Ich musste mir als sogenannter Werksstudent Arbeit suchen, um überleben zu können. Ich habe Kunden für einen Kohlenhändler geworben, unzerbrechliche Kämme verkauft und Rasierklingen. Von Haustür von Haustür. Es gab nichts umsonst, außer Hunger.
LTO: Sie sind nach dem Studium nach Bremen gegangen, wo sie später Anwalt wurden. Wann haben Sie gemerkt, dass das Juristische Ihre Berufung war?
Hannover: Das hat sich erst herausgestellt, nachdem ich als Pflichtverteidiger einem Kommunisten beigeordnet wurde. Das führte dazu, dass viele linke Klienten zu mir kamen, die in Opposition zu der Adenauer-Politik der Remilitarisierung standen. In diesen Kreisen habe ich Menschen kennengelernt, die unter Hitler im Widerstand waren, im KZ, in Zuchthäusern. Menschen, die mir viel mehr imponierten als die Richter und Staatsanwälte in meinem Umfeld, die schon während der Nazizeit ihr Amt ausgeübt hatten.
LTO: Haben Sie mit dem Kommunismus sympathisiert?
Hannover: Wenn Sie darunter Stalinismus verstehen: Nein - das habe ich immer entschieden abgelehnt. Aber ich habe mich stark gemacht für die, die Opfer von Unterdrückung, Staatswillkür und -gewalt waren. Das waren meine Leute!
"Die Justiz beurteilte Linke mit anderem Maß als Rechte"
LTO: Das Streben nach Wahrheit und Gerechtigkeit - einer der ganz zentralen und ursprünglichen Ansinnen der Rechtswissenschaft - war das Ihr ethisches Anliegen?
Hannover: Mir war es immer Ziel, ein möglichst gerechtes Urteil für die Mandanten zu erkämpfen, ja. Das war verbunden mit der Erfahrung, dass bei Gericht nicht immer Gerechtigkeit durchgesetzt wird. Es hat manche Enttäuschung gegeben, oft über die Einseitigkeit der Justiz, die Linke mit anderem Maß beurteilte als Rechte.
LTO: In den 70er Jahren haben Sie Terroristen verteidigt. Wie kam es dazu?
Hannover: Terroristen verteidigt - da muss ich einschränken: Ich habe nur Mandate übernommen, in denen es um klassische Verteidigung ging. Die Widerlegung von falschen Zeugenaussagen von Polizisten etwa. In den Fällen Astrid Proll und Karl-Heinz Roth habe ich Freisprüche errungen von der Anklage des mehrfachen versuchten Mordes, weil ich falsche Polizistenaussagen widerlegen konnte. Auch im Fall Werner Hoppe, der in Hamburg verurteilt wurde, ging es um Auseinandersetzungen mit falschen Aussagen.
LTO: Wie haben Sie Ulrike Meinhof erlebt? Sie war neben Daniel Cohn-Bendit, Günter Wallraff und Otto Schily wohl eine ihrer bekanntesten Mandanten.
Hannover: Ulrike Meinhof war fast so etwas wie eine Freundin. Ich kannte sie aus der Zeit, als sie Kolumnen für "Konkret" geschrieben hat und eine der intelligentesten und aktivsten Sprecherinnen der Linken war. Vom Terrorismus keine Spur. Eines Tages meinte sie, dass man vom Protest zum Widerstand übergehen müsste - und dann wurde es problematisch. Als sie unbedacht in den Untergrund ging, war ich entsetzt.
LTO: Trotzdem standen Sie Ulrike Meinhof als Verteidiger zur Seite...
Hannover: Bei meiner Verteidigung von Ulrike Meinhof ging es ausschließlich um die Fragen ihrer Haftbedingungen. Die waren barbarisch, genau wie die Behandlung bei ihrer Verhaftung. Als sie später einen Verteidiger für das Stammheimer Verfahren suchte, habe ich dezidiert abgelehnt, weil ich mich mit der Theorie und Praxis der RAF in keiner Weise identifizieren konnte.
"Mach der Meinhof-Veteidigung wurde meine Familie bedroht"
LTO: Als Konsequenz für Ihre Verteidigung von Ulrike Meinhof avancierten Sie zum "Terroristenanwalt".
Hannover: Die Bezeichnung "Terroristenanwalt" war übel diffamierend, eine Pressekampagne, die dazu führte, dass ich von manchen Richtern angefeindet wurde. Schlimmer jedoch waren die jahrlangen anonymen Bedrohungen gegen mich und meine Familie.
LTO: Wie sahen die Bedrohungen aus?
Hannover: Meine Töchter haben Anrufe entgegen genommen, wo jemand sagte: "Heute Nacht bringen wir Euren Vater um!" oder auch "Wir töten die ganze Familie!". Ich habe den Kindern gesagt, dass nur feige Menschen anonym anrufen – aber die Angst war über Jahre da und saß sehr tief.
LTO: Wenn man die RAF-Jahre im Nachhinein betrachtet, hätte es in Deutschland wirklich so eskalieren müssen?
Hannover: Ich denke, dass die Staatsgewalt ein gerüttelt Maß an Schuld hatte, dass es zu dieser Entwicklung kommen konnte.
LTO: Und wenn man sich die heutige, globale Terrorgefahr anschaut?
Hannover: Dann sollte man auch über die Ursachen des Terrors nachdenken! Wenn man die Liste der amerikanischen Kriegsinterventionen in aller Welt betrachtet, ist es kein Wunder, dass die Völker, die sich durch Vernichtungskriege bedroht fühlten, sich irgendwann gewehrt haben. Für mich war 9/11 keine Überraschung. Das zielte nicht nur gegen die Arroganz des Westens, sondern auch gegen dessen kriegerische Gewalt.
"Die westliche Welt hat die Gewalt provoziert"
LTO: Ganz aktuell gilt Deutschland als Zielscheibe von terroristischen Anschlägen. Wie bewerten Sie das?
Hannover: Die westliche Welt hat diese Gewalt provoziert. Jetzt tut man so, als sei der Terror von selber gekommen, als böse Verschwörung von Verbrechern. Dass das aber ursächlich auch im eigenen Verhalten liegt und auch mit unserer Staatsgewalt zu tun hat, wird nicht thematisiert. Afghanistan ist nur ein Beispiel für kriegerische Intervention, an der wir beteiligt sind. Ich wundere mich nicht, wenn jetzt Gegenterror entsteht.
LTO: Herr Hannover, Sie haben erwachsene Kinder. Haben die sich in einem Maße entwickelt, der ihrem Politik- und Rechtsverständnis entspricht?
Hannover: Meine Kinder sind wunderbar, aber nicht ganz so links, wie ich es gerne gehabt hätte. Aber ich bin tolerant genug, das zu akzeptieren.
LTO: Parallel zu Ihrer juristischen Laufbahn haben Sie Kinderbücher verfasst, die Bestseller-Status erreicht haben. Geschichten vom "Pferd Huppdiwupp", dem "Vergesslichen Cowboy" oder "Weihnachten im Zauberwald". Wie passte das mit Ihrer Tätigkeit als engagierter politischer Strafverteidiger zusammen?
Hannover: Die Kinderbücher sind aus Geschichten entstanden, die ich mir ursprünglich nur für meine Kinder ausgedacht hatte. Ich tauche da in eine ganz andere Welt der Phantasie und Zeitlosigkeit ein. Das war für mich immer eine Alternative zur harten Realität des Juristenberufs.
Rund 800.000 Mal haben sich die Abenteuer von Puschelschwanz, Pimps und Pomps, von der Mücke Pieks und all den fantasievollen Figuren in Hannovers Kinderbuch-Bestsellern bereits verkauft. Geschichten, über die Kritiker schreiben, dass sie Herzenswärme versprühen, von genauer Beobachtungsgabe zeugen, witzig und leichtfüßig daherkommen und Kindern gefallen. "Das Pferd Huppdiwupp" ist gerade erstmals in plattdeutscher Version erschienen als "Dat Pierd Huppdiwupp". Der Plädoyer-Band "Reden vor Gericht" ist jetzt im PapyRossa Verlag herausgekommen.
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Gil Eilin Jung, Heinrich Hannover: . In: Legal Tribune Online, 30.11.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2081 (abgerufen am: 07.10.2024 )
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