1. Mai: Raus auf die Straße!

von Martin Rath

01.05.2018

9/9: Kindergewerkschaften – Perspektiven auf Zukunft der Arbeit

Das in Deutschland seit 1938/39 etablierte, regelmäßig zu beachtende Verbot, Menschen unter 14 Jahren in Arbeitsverhältnissen zu beschäftigen, beansprucht heute auf Grundlage der Konvention 138 der International Labour Organization beinah weltweit Geltung. Auch die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen erkennt in ihrem Artikel 32 das Recht des Kindes an, vor wirtschaftlicher Ausbeutung geschützt und nicht zu einer Arbeit herangezogen zu werden, die seine Erziehung, Gesundheit und körperliche, seelische oder soziale Entwicklung schädigen könnte.

Solche Normen werden in ihrer Geltung nicht allein durch die böse Realität der armen Staaten unterlaufen, sondern stoßen auch auf offene Kritik. In Mittelamerika, auch in Bolivien und Peru, finden sich Kindergewerkschaften, die von der katholischen Befreiungstheologie inspiriert sind. Ihre Parole geht dahin, nicht Kinderarbeit schlechthin, sondern nur eine solche zu verbieten, die körperliche, seelische und intellektuelle Schäden nach sich zieht. Bolivien geriet so mit einer entsprechenden Arbeitsgesetzgebung in offenen Konflikt mit der International Labour Organization.

In Deutschland ist diese intellektuelle Bewegung in den 1970er Jahren mit dem Philosophen Ivan Illich (1926–2002) einmal recht bekannt geworden. Hierzulande galt die Kritik vor allem der umfassenden Verschulung – damals des Lebens von Kindern. Heute ließe sich noch an der Doktrin des "lebenslangen Lernens" ansetzen, soweit sie eine Verschulung des Lebens auch erwachsener Menschen verlangt.

Man mag unschlüssig sein, ob man beispielsweise die jugendlichen Anführer der Kindergewerkschaften nicht vor sich selbst schützen muss. Und ist die Frage obszön, ob das Leben eines 12-jährigen bolivianischen Schuhputzers, der halbtags zur Schule geht, nicht reicher ist als das einer 25-jährigen deutschen Bachelor-Studentin mit Hauptfach Eventmanagement?

Dass der hohe arbeitsrechtliche Standard, den wir in Deutschland kennen, aber auf einer Verkettung mehr und manchmal minder glücklicher Zufälle beruht, sollte nicht aus dem Blick geraten. Offen zu bleiben auch für drastisch andere Entwicklungslinien und Beispiele, schützt davor, unseren normativen Status quo für alternativlos zu halten – sei es zu seinem Schaden, sei es zu seinem Gunsten.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.

Zitiervorschlag

Martin Rath, 1. Mai: Raus auf die Straße! . In: Legal Tribune Online, 01.05.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28367/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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