Compliance am Nordpol: Der Weih­nachts­mann zwi­schen Lichter- und Lie­fer­kette

Gastbeitrag von Andreas Zöllner und Hendrik Schwager

23.12.2022

Menschenrechte und Umweltschutz entlang seiner Lieferketten hat auch der wohl größte Geschenkelieferant genau im Blick – oder? Wie gut der Gutmensch vom Nordpol wirklich ist, untersuchen Andreas Zöllner und Hendrik Schwager.

Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) nimmt Unternehmen ab dem 1. Januar 2023 hinsichtlich sämtlicher Produktions- und Dienstleistungsschritte im In- und Ausland in die Pflicht. Von der Rohstoffgewinnung bis zur Auslieferung tragen sie soziale Verantwortung für Zulieferer ebenso wie für ihren eigenen Geschäftsbereich (§ 2 Abs. 5 LkSG). Auch der Weihnachtsmann könnte gehalten sein, die Zügel seiner Lieferketten künftig straffer zu ziehen. 

Doch passt das leibesfüllige Leckermaul überhaupt ins enge Korsett des persönlichen Anwendungsbereichs des LkSG? Ungeachtet der auslandsbezogenen Sorgfaltspflichten wäre das nur der Fall, wenn der Hauptsitz oder zumindest eine Zweigniederlassung des Weihnachtsmannes in Deutschland wäre und dort auch mindestens 3.000 (ab 2024: 1.000) Arbeitnehmer beschäftigt wären. Ganz im Sinne des Matthäusevangeliums heißt es also auch im LkSG: "Wäre, wäre, Lieferkette"

Die Hürden des Anwendungsbereichs dürfte der kugelrunde Kaminhüpfer jedoch mit Bravour nehmen: Obwohl sein Hauptsitz im finnischen Rovaniemi liegt, betreibt er hierzulande bekanntlich Zweigniederlassungen in Himmelpfort und Himmelsthür. Selbst wenn es sich dabei, wie zu vermuten ist, nur um Briefkastenfirmen handelt und der Großteil der Elfen und Wichtel im Ausland beschäftigt ist, stehen in Deutschland unzählige (studentische) Hilfsweihnachtsmänner/innen in Lohn und Brot. Den derzeitigen akuten Fachkräftemangel in der Weihnachtsmann-Branche werden die Heiligen Drei Koalitionäre bis zum nächsten Fest gewiss durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz ausgeglichen haben. Man kann also davon ausgehen, dass der Weihnachtsmann 2023 neben Muh und Mäh und Täterätätä auch mindestens 3.000 Lohnsackerl verteilt.

Süßer die Alarmglocken nie klingen

Nach alledem dürfte bei der Compliance-Abteilung am Nordpol der Christbaum derzeit nicht nur besinnlich leuchten, sondern sprichwörtlich brennen. Denn der sonst so regelverbliebte Rutenträger steht bereits seit Längerem im Verdacht, in Sachen Menschenrechte, Umweltschutz und Nachhaltigkeit öffentlich Wasser zu predigen und heimlich Glühwein zu trinken. Die Liste entsprechender Risiken im Geschäftsbereich und entlang der Lieferkette des Weihnachtsmannes ist jedenfalls länger als manch dreist ausfallender Wunschzettel.

Das fängt bereits in der Weihnachtswerkstatt am Polarkreis an: Wer sich dort die fleißigen Helfer einmal genauer ansieht, dem dürften – gleich nach den spitzen Ohren – die verdächtig jungen Gesichter auffallen. In § 2 Abs. 2 hat sich das LkSG allerdings die Bekämpfung von Kinderarbeit gleich an erster Stelle zur Aufgabe gemacht. Da kann dem Weihnachtsmann ein minutiöser Blick in die Personalakten nur dringend geraten werden.

Auf den Prüfstand sollte das schneeverwehte Schlitzohr auch seine Mitarbeiterführung stellen: § 2 Abs. 2 Nr. 4 LkSG untersagt jegliche "Herrschaftsausübung oder Unterdrückung im Umfeld der Arbeitsstätte". Der autoritäre Arktisbewohner wird nicht abstreiten können, dass sein Umgang mit Kindern nicht immer ganz astrein ist. Ob er sich gegenüber seinen Mitarbeitern besser im Griff hat? Seien wir ehrlich: Wer glaubt, dass der Weihnachtsmann seine Rute nur am Heiligen Abend aus dem Keller holt, um damit (ausgerechnet!) auf seine Kundschaft loszugehen, der glaubt wahrscheinlich auch noch an den Osterhasen.

Elfen, hört die Signale!

Nach alledem bröckelt die Fassade einer heilen Arbeitswelt am Nordpol bedrohlich. So scheint denn auch in Sachen Koalitionsfreiheit beim Weihnachtsmann noch polare Dunkelheit zu herrschen. Roter Mantel und Karl-Marx-Bart können nicht darüber hinwegtäuschen, dass man von einem Elfenstreik ebenso wenig gehört hat wie von Kollektivverträgen für Wichtel. Der gut genährte Großkapitalist mit verräterischer Vorliebe für koffeinhaltige Erfrischungsgetränke sollte dringend sein Image als Rote Socke aufpolieren, damit ihm keine "Missachtung der Koalitionsfreiheit" (§ 2 Abs. 2 Nr. 6 LkSG) nachgesagt wird. Womöglich mischt sich also schon nächstes Jahr ein fröhlich gepfiffenes Arbeiterlied unter den Glöckchenklang des Schlittens, wenn die Bescherung nicht ohnehin einem ver.di-Warnstreik zum Opfer fällt.

Auch in anderer Hinsicht hat der knausrige Kuchenliebhaber die Regeln des Marktes erkannt. Weil Mädchen und Buben heutzutage nicht mehr mit Holzeisenbahn oder Puppenhaus zufrieden sind, hat der raffgierige Rentierreiter die Herstellung von Pokémon- und Paw Patrol-Spielwaren längst nach Asien ausgelagert. Das könnte sich nun rächen: Gerade bei der Spielzeugproduktion ist es in fernöstlichen Fabriken um Menschenrechte und ökologische Standards oft schlecht bestellt.

Nussland-Sanktionen?

"Äpfel, Nuß und Mandelkern fressen fromme Kinder gern" – jener Richter am Kreisgericht Heiligenstadt, der die wohlbekannten Zeilen um 1862 schrieb, konnte nicht ahnen, dass das LkSG selbst diese bescheidene Sehnsucht vom Wunschzettel streichen würde. Der enorme Wasserverbrauch beim Anbau vieler Nusssorten dürfte jedenfalls § 2 Abs. 2 Nr. 9 und 10 LkSG zuwiderlaufen. Den Einwohnern Kaliforniens beschert der Mandelanbau regelmäßig Dürren. Gegenüber einem Kilo Mandeln, für die es bis zu 15.000 Liter Wasser bedarf, ist selbst die viel gescholtene Avocado (1.000 Liter je kg) ein Asket.

Mit der an Weihnachten so beliebten Mandarine könnte ab 2023 ebenfalls Schluss sein! Denn in der Vitaminbombe steckt auch juristischer Zündstoff. Ob der spitzbärtige Spekulatiusspekulant angesichts der prekären Arbeitsbedingungen auf südafrikanischen Zitrusfarmen noch die Hand für seine Lieferanten ins Feuer legen möchte?

Schokoladenhersteller stehen ohnehin längst auf der Unartig-Liste jener, die Wert auf eine faire und menschenwürdige Kakao-Produktion legen. Da werden fromme Kinder hierzulande wohl nur noch in den (sauren) Apfel beißen.

Wer auf Polareis sitzt, sollte nicht mit CO2 schleudern

Auch bzgl. umweltbezogener Risiken nimmt § 2 Abs. 3 LkSG Unternehmen in die Verantwortung. Keine frohe Kunde für jemanden, dessen CO2-Fußabdruck noch gewaltiger ist als der seiner monströsen Stiefel. Denn offenbar ist ausgerechnet der Mann, dem die Polkappen seit Jahren unter seinem mächtigen Hintern wegschmelzen, nicht nur Corona-Leugner, sondern auch Klimaskeptiker.

Als reichte es nicht, dass er trotzigen Kindern (etwa solchen, die freitags Schule schwänzen) provokativ fossile Brennstoffe in die Socken stopft und sich wie kein anderer für die Erhaltung von Kaminöfen einsetzt. Der korpulente Klimakiller ist allein durch das Beheizen einer riesigen Fabrik mitten in der Arktis ein noch größerer Energie- als Plätzchenfresser. Überraschenderweise findet sich in § 2 Abs. 3 LkSG aber nichts in Bezug auf übermäßigen CO2-Ausstoß. Hat die zipfelmützige Umweltsau also nochmal Schwein gehabt?

Zum Teil wird diskutiert, klimabezogene Sorgfaltspflichten über § 2 Abs. 2 Nr. 9 LkSG (Verbot von Luftverunreinigung) zu begründen. So oder so wären die gesetzlichen Sanktionen aber das geringste Problem des pausbäckigen Pelzträgers: Er sollte sich besser zwei Mal überlegen, wen er künftig auf seinen Schoß bittet. Es käme jedenfalls nicht überraschend, wenn die süße Sophie von der "Letzten Generation" nicht etwa deshalb im Bart des alten weißen Mannes klebt, weil sie noch Schokoladen-Finger hat…

"Soll ick jetze etwa jede Kakaobohne selber pflücken?", mag der Weihnachtsmann in seinen Bart ätzen. Das nicht, zeigt ein Blick in den Pflichtenkatalog des § 3 LkSG. Allerdings muss der lethargische Lappe ein Risikomanagement etablieren. Er hat dann alle Jahre wieder die Glieder seiner Lieferketten auf Risiken zu analysieren und ggf. erforderliche Präventions- und Abhilfemaßnahmen zu ergreifen. Sprich: eine zweite Artig-oder-unartig-Liste, die der Weihnachtsmann besser doppelt prüft.

Vermutlich noch ganz im WM-Fieber, dürfte der frostige FIFA-Fan das Thema Menschenrechte bislang aber noch infantinohaft ignoriert und sich, allen Warnungen der Compliance-Abteilung zum Trotz, eher mit Vierer- statt mit Lieferketten befasst haben. Doch wie mancher Lausbub, der unvermittelt am Heiligen Abend die eigenen Missetaten aufsummiert und mit schlotternden Knien auf ein mildes Urteil des ruteschwingenden Richters hofft, wird früher oder später auch der zentnerschwere Zottelbart sich fragen: "Was droht mir armem Sünder?", sobald der Geist der zukünftigen Weihnacht ihn heimsucht.

Die Rute wird berechnet

Womöglich erhält der nachlässige Nimmersatt hierauf schneller eine Antwort, als ihm lieb ist. Zwar sitzen die Mitarbeiter des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), zuständig für die Durchsetzung des LkSG, weit entfernt im sächsischen Borna. § 16 LkSG erlaubt ihnen aber, Betriebsgrundstücke und Geschäftsräume zu betreten und Unterlagen zu sichten. Wenn es am 6. Januar also beim rüstigen Rentierzüchter an der Tür klingelt, könnte – anstelle eines Sternsingerliedes – unvermittelt sächsischer Nominalstil die polare Stille durchbrechen. Die Gelegenheit eines Betriebsausflugs nach Lappland wird sich das BAFA sicher nicht entgehen lassen.

Allzu nonchalant sollte es der fettleibige Frevler demnach nicht angehen lassen – sonst könnte die Behörde schon bald mal ordentlich mit ihm Schlitten fahren. § 24 LkSG gestattet ihr, bis zu zwei Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes als Bußgeld festzusetzen. Obendrein soll sie den Delinquenten gemäß § 22 LkSG von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausschließen – für kommunale Weihnachtsmärkte oder Bescherungen in der Grundschule sähe es dann schlecht aus.

Was leidest du alles für unsere Sünd‘

Dem wuchtigen Wichtelboss geht es dieser Tage also nicht anders als vielen Unternehmerkollegen: Respektabler bürokratischer Aufwand wartet vor der Tür und bittet um Einlass. Ist das LkSG also nur ein großzügiges Weihnachtsgeschenk an die Compliance-Industrie? Das wäre zu kurz gegriffen. Gerade ein Big Player wie das schlittenfahrende Schwergewicht ist nun gehalten, seinen enormen Einfluss auf den Markt für den guten Zweck zu nutzen. Der arktische Allheilsbringer muss den Beweis dafür liefern, dass er nicht nur moralisierende Phrasen dreschen kann, sondern sich auch selbst für eine gerechtere Welt einsetzt. Bleibt zu hoffen, dass der Mann, der angeblich alles sieht, auch auf seine Lieferketten ein waches Auge hat.

Andreas Zöllner und Hendrik Schwager sind Wissenschaftliche Mitarbeiter an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg bei der Professur für Bürgerliches Recht, Handels-, Wirtschafts- und Arbeitsrecht. Sie forschen bereits seit Jahren zu Rechtsfragen rund um die Tätigkeit des Weihnachtsmannes.

Zitiervorschlag

Compliance am Nordpol: Der Weihnachtsmann zwischen Lichter- und Lieferkette . In: Legal Tribune Online, 23.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50577/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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