Wirtschaftskrimi Cum/Ex-Geschäfte: Wenn die Ver­fas­sung die Steuer über­holt

von Dr. Christph Knauer und Sören Schomburg

12.04.2017

Zur Rechtsprechung bei den Cum/Ex-Deals hat das BVerfG den BFH nun rechts überholt. Christoph Knauer und Sören Schomburg erklären die steuerlichen Konstrukte und den rechtlichen Diskussionsstoff.

Steuergetriebene Aktiengeschäfte rund um den Dividendenstichtag erhitzen seit Jahren nicht nur die juristische Fachwelt. Mehrere Staatsanwaltschaften ermitteln gegen die Beteiligten wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung. Die politische Aufarbeitung durch den 4. Untersuchungsausschuss des Bundestags hat das mediale Interesse an dem Thema nochmals befeuert.

Der Vorwurf: Bei den umstrittenen Cum/Ex-Geschäften sollen die Beteiligten den deutschen Fiskus angeblich um ca. zwölf Milliarden Euro gebracht haben. Zum Teil ist die Rede vom größten Steuerskandal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland; die Empörung ist groß.

Lange wurde in der juristischen Diskussion auf das Fehlen höchstrichterlicher Rechtsprechung verwiesen. Ein Kammer-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 02.03.2017 könnte dies nun – jedenfalls vorläufig – ändern, auch wenn damit immer noch keine tragende höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt. Denn das Gericht verwarf eine Verfassungsbeschwerde gegen Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen im Zusammenhang mit Aktienkäufen über den Dividendenstichtag, die so genannten Cum-/Ex-Geschäfte, als unbegründet (Az: 2 BvR 1163/13). Die Annahme eines hinreichenden Tatverdachts der besonders schweren mittäterschaftlichen Steuerhinterziehung sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Verkaufen, was man nicht besitzt

Doch worum geht es? Mit den Cum/Ex-Geschäften konnte es bis Ende 2011 zu einer mehrfachen Erstattung von Kapitalertragsteuer auf Dividenden inländischer Aktien kommen, obwohl die Steuer nur einmal abgeführt wurde.

Ausgangspunkt war dabei ein Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH, Urt. v. 15.12.1999, Az. I R 29/97). Darin bejahte der BFH den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an Aktien auf den Erwerber schon mit dem Vertragsschluss; die Belieferung der Aktie sei nicht erforderlich. Der Erwerber, der wirtschaftlich Berechtigte, war also zur Geltendmachung von Kapitalertragsteuer berechtigt, obwohl die Aktie am Dividendenstichtag noch nicht in sein Depot eingeliefert worden war.

Dieses Grundmodell wurde in der Folge offenbar teilweise abgewandelt. Voraussetzung war, dass der Verkäufer der Aktien diese zum Verkaufszeitpunkt nicht in seinem Depot hatte. In der Fachsprache sagt man, der Verkäufer habe einen Leerverkauf getätigt, er war "short".

Damit war nicht nachvollziehbar, wer von wem Aktien bezogen hatte. Es konnte ein und dieselbe Aktie am Dividendenstichtag zwei Eigentümern zugerechnet werden: dem ursprünglichen, der erst nach dem Stichtag an den Leerverkäufer lieferte, und dem wirtschaftlich berechtigten Erwerber, der zwar die Aktien mit Dividendenanspruch (cum) vom Leerverkäufer bereits vor dem Dividendenstichtag erworben hatte, diese aber erst nach dem Stichtag (ex) erhielt.

Problematisch waren die Absprachen

Beide, ursprünglicher Eigentümer und Erwerber, beanspruchten nun die Dividende für sich – und tatsächlich bekamen beide die (Netto-) Dividende. Der ursprüngliche Eigentümer vom Aussteller der Aktie, dem Emittenten – also einer deutschen Aktiengesellschaft. Der Erwerber bekam eine Ausgleichszahlung, die manufactured dividend, in Höhe der Nettodividende, vom Leerverkäufer und später von Clearstream, dem Sammelverwahrer der Deutschen Börse.

Vergleichbares galt für die Kapitalertragsteuer: Der Emittent der Aktie führte die Kapitalertragsteuer an das Finanzamt ab. Der ursprüngliche Eigentümer erhielt von seiner Depotbank eine Steuerbescheinigung, ebenso wie der wirtschaftlich Berechtigte wiederum von seiner eigenen Depotbank. Beide machten die Steuer geltend, obgleich diese nur einmal einbehalten und abgeführt worden war. Dies konnte aufgrund der technischen Gegebenheiten schlicht passieren. Problematisch wurde es, wenn beide, also Eigentümer und wirtschaftlich Berechtigter voneinander wussten oder gar ihr Vorgehen vorab miteinander abgesprochen hatten.

Die Strukturen unterschieden sich im Einzelnen gravierend. Flankiert wurden die Aktiengeschäfte regelmäßig durch Derivatgeschäfte wie Swaps, Optionen oder Futures, also solche Termingeschäfte, bei denen üblicherweise  z.B. auf bestimmte Kursentwicklungen von Aktien spekuliert wird.

Diese Derivatgeschäfte dienten dabei nicht nur der Besicherung von Kursschwankungen. Sie waren offenbar teils auch Vehikel zur Verteilung der mehrfach erstatten Steuer. Denn der Gewinn entstand zunächst beim Leerverkäufer, der den vollen Kaufpreis erhielt, aber im Gegenzug nur die Aktie und die Nettodividende weitergab. Sein Gewinn, die nicht abgeführte Steuererstattung in Höhe von 21,1%, wurde regelmäßig über die Derivate an die übrigen Beteiligten verteilt. Da der Gewinn also pro Aktie lediglich 21,1% der Dividende betrug, mussten die Aktien im großen Volumen gehandelt werden, um signifikante Gewinne zu erzielen.

Zitiervorschlag

Dr. Christph Knauer und Sören Schomburg , Wirtschaftskrimi Cum/Ex-Geschäfte: Wenn die Verfassung die Steuer überholt . In: Legal Tribune Online, 12.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22650/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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