Diskussion um neue Rechtsextremisten-Datei: Wer alles weiß, soll nicht alles dürfen

Prof. Dr. Mark A. Zöller

21.11.2011

Als Reaktion auf die Neonazi-Terrorserie wollen die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern ein gemeinsames Abwehrzentrum und eine zentrale Datei zum Rechtsextremismus einrichten. Dabei laufen sie Gefahr, gerade diejenigen rechtsstaatlichen Grundsätze zu opfern, die sich Deutschland in der Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich hart erkämpft hat, meint Mark A. Zöller.

Wo der Mensch versagt hat, speziell die Beamten des Verfassungsschutzes in Thüringen und Niedersachsen, soll nun der Computer helfen. So jedenfalls das Ergebnis der Sonderkonferenz der Innen- und Justizminister aus Bund und Ländern sowie der Spitzen von Bundesanwaltschaft, Bundeskriminalamt und Bundesamt für Verfassungsschutz vom vergangenen Freitag in Berlin. Bei dem Treffen wurde vereinbart, eine Arbeitsgruppe zur Errichtung einer neuen Gefahrendatei zum Rechtsextremismus einzusetzen.

Gleichzeitig und trotz bestehender Meinungsverschiedenheiten unter den zuständigen Ministern und Behördenleitern mehren sich auch die Anzeichen für die Etablierung eines gemeinsamen Abwehrzentrums von Bund und Ländern für den Bereich rechtsextremistisch motivierter Gewalttaten. Dabei sollen schnellstmöglich die gesetzlichen und technischen Voraussetzungen für die Einrichtung einer Verbunddatei zum Rechtsextremismus geschaffen werden.

Bei solchen Verbunddateien handelt es sich um Dateisysteme, die bei einer Bundesbehörde als Zentralstelle geführt werden, bei denen aber die Länder selbst unmittelbar Daten eingeben und abrufen können. Insbesondere mit der so genannten Antiterrordatei existiert ein Vorbild, das sich rasch auch auf den Bereich des Rechtsextremismus zuschneiden ließe. Ihre Hardware ist beim BKA installiert, als gemeinsame Datenbank von insgesamt 38 deutschen Sicherheitsbehörden ging sie bereits im Jahr 2007 in Betrieb.

Antiterrordatei von 2007 als Vorbild äußerst fragwürdig

Der derzeit verbreitete Glaube an eine Datei als Heilsbringer übersieht allerdings – sicher nicht bei allen Beteiligten aus purer Naivität – eine Reihe gewichtiger Einwände. Zum einen muss auch ein solch umfassendes Dateisystem von Menschen betrieben und ausgewertet werden. Wo der Wille zu behördenübergreifender Kooperation und zur Zerschlagung krimineller Strukturen fehlt, hilft es auch nicht, ungeheure Datenmengen lediglich in einen Topf zu werfen.

Zum anderen darf man nicht vergessen, dass das Antiterrordateigesetz aus dem Jahr 2006 als Rechtsgrundlage für die derzeit viel gerühmte Antiterrordatei zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus erhebliche datenschutzrechtliche Defizite aufweist. Nur die wenigsten sind sich der Tatsache bewusst, dass in dieser Datei in erheblichem Umfang sensible Informationen auch über solche Personen erfasst werden, die nur zufällig in Kontakt mit Terroristen stehen oder deren Verhalten sogar ablehnen. Für deren Speicherung sind nicht einmal konkrete Verdachtsmomente erforderlich; es genügen bereits allgemein indiziengestützte, behördliche Erfahrungswerte.

Vor allem aber geht mit dem Ausbau gemeinsamer Datenbestände von Polizei und Nachrichtendiensten auch ein schleichender Umbau unserer Sicherheitsarchitektur einher. Nach den Erfahrungen des Dritten Reiches wurde nicht ohne Grund ein so genanntes Trennungsgebot für Polizei- und Nachrichtendienstbehörden etabliert. Um jeden Preis wollte man eine Wiederholung der Gestapo-Schreckensherrschaft verhindern, die unter einem Dach Ermittlungs- und Vollstreckungsbehörde zugleich war.

Aus diesem Grund wurden die deutschen Nachrichtendienste so aufgebaut, dass sie zwar nicht an Eingriffsschwellen wie den strafprozessualen Anfangsverdacht oder die polizeirechtliche Gefahr gebunden sind, dafür aber im Gegensatz zu Polizei und Staatsanwaltschaft auch keine Eingriffsbefugnisse besitzen. Es gilt also der Grundsatz: Wer alles weiß, soll nicht alles dürfen und wer alles darf, soll nicht alles wissen. Ob diese Grundregel nicht sogar verfassungsrechtlich in Art. 87 des Grundgesetzes verankert und damit einer einfachen Änderung durch Gesetz entzogen ist, ist nach wie vor nicht geklärt.

Mit gemeinsamer Datei wird Boden des Rechtsstaats verlassen

Im Ergebnis führen gemeinsame Dateien von Polizei- und Nachrichtendienstbehörden also zusammen, was rechtlich nicht zusammen gehört. Mit ihrer Hilfe erhalten die Dienste systematisch einen "Vollzugsarm", da Staatsanwaltschaft und Polizei nun nachrichtendienstliche Informationen erhalten, die sie selbst – zur Vermeidung staatlicher Willkür – nie selbst hätten erlangen können. Das Trennungsverbot verbietet zwar nicht per se die Zusammenarbeit und den Datenaustausch zwischen Nachrichtendiensten und Strafverfolgungs- und Gefahrenabwehrbehörden. Wo aber die Dienste gezielt zur Sammlung von Informationen instrumentalisiert werden, die andere Behörden aus guten Gründen nicht erheben dürfen, verlässt man den Boden des Rechtsstaates.

Damit keine Missverständnisse entstehen: Brutale Morde gegenüber Migranten und Andersdenkenden sind mit der gesamten Härte des Gesetzes zu verfolgen. Dass in der Vergangenheit offenbar erhebliche Ermittlungspannen passiert sind, ist beschämend, ebenso die Verharmlosung einer ganzen Serie von Straftaten als "Dönermorde". Trotzdem: Wo Menschen am Werk sind, passieren gelegentlich auch Fehler, so unbegreiflich sie uns auch erscheinen mögen. Aus diesen Fehlern muss man lernen, aber man sollte dies ohne blinden Aktionismus tun. Vor allem muss man jeden Anschein vermeiden, die Interessen der Opfer für die Erfüllung lange gehegter Wünsche der Sicherheitsbehörden nutzen zu wollen.

Der Fall der Zwickauer Zelle zeigt, wie schwierig Ermittlungen gegen Täter sind, die keinem feststehenden modus operandi folgen und die sich im Gegensatz zu Terroristen der Gewalt mangels Bekennerschreiben oder -videos nicht als Kommunikationsstrategie, sondern ausschließlich zur Verwirklichung ihrer eigenen ideologischen Ziele bedienen. Die Entwicklung von geeigneten Reaktionsstrategien hierauf wird die eigentliche Herausforderung im Kampf gegen den politischen Extremismus darstellen.

Mark A. Zöller ist Professor für Deutsches, Europäisches und Internationales Strafrecht und Strafprozessrecht sowie Wirtschaftsstrafrecht an der Universität Trier.


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Zitiervorschlag

Prof. Dr. Mark A. Zöller, Diskussion um neue Rechtsextremisten-Datei: Wer alles weiß, soll nicht alles dürfen . In: Legal Tribune Online, 21.11.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4851/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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