Zum Geburtstag von Louis Begley: Der Mann, der "About Sch­midt" erfand

Als der Bestseller "Lügen in Zeiten des Krieges" erschien, war der Autor lediglich in New Yorker Juristenkreisen bekannt: Louis Begley. Anders als seine ebenfalls schreibenden Kollegen und Landsleute John Grisham und Scott Turow beschäftigte sich Begley in seinem Buch nicht mit dem Krimi- und Anwaltsmilieu, sondern dem Holocaust. Er feiert heute seinen 78. Geburtstag.

Das zu Beginn der 90er Jahre mit zahlreichen Literaturpreises ausgezeichnete Werk "Lügen in Zeiten des Krieges" gilt neben Imre Kertész’ "Roman eines Schicksallosen" und Jurek Beckers "Jakob der Lügner" als einer der wichtigsten Holocaust-Romane. Das Buch, das während eines Sabbaticals verfasst wurde, ist Autobiografie, Fiktion und Zeitgeschichte zugleich. Darin spiegelt sich das Leben des Louis Begley wieder, des einzigen Kindes polnisch-jüdischer Eltern im ostgalizischen Provinzstädtchen Stryi. Geboren wurde er am 6. Oktober 1933 als Ludwik Begleiter.

Im Juni 1941 war der Vater als Militärarzt von der russischen Armee zwangsrekrutiert worden. Für den siebenjährigen Jungen und seine Mutter begann eine schreckliche Odyssee von Versteck zu Versteck. Als polnische Katholiken getarnt flohen sie über Lemberg und Warschau in ein entlegenes Bauerndorf in Masowien, wo sie inkognito den Krieg überlebten.
Das Buch berichtet von dieser langen Zeit der Demütigungen, der Angst vor Denunziation, aber auch von der Macht der lebensrettenden Lüge in einer barbarischen Zeit von Krieg und Zerstörung.

Als die Jury der Konrad-Adenauer-Stiftung Begley im Jahr 2000 den Literaturpreis verlieh, huldigte sie den Juristen und Schriftsteller als einen subtilen Analytiker der jüdischen Selbstverleugnung, der "der letzten Generation der überlebenden Juden in Europa eine Stimme" geliehen habe.

Ludwik Begleiter = Louis Begley

Als der Krieg und der Schrecken des Holocaust vorbei waren, fand sich die Familie wieder zusammen. Vier Monate lang lebten die Begleiters in Paris, wo sie sich auf die Auswanderung nach Amerika vorbereiteten. Im März 1947 trafen sie in New York ein und ließen sich in Flatbush/Brooklyn nieder. Die Anglisierung ihrer Vornamen und des Familiennamens folgte nur kurze Zeit später. 1953 erhielt Louis Begley die amerikanische Staatsbürgerschaft.

Von 1950 an besuchte Begley die Erasmus Hall High School. Dank eines Stipendiums nahm er ein Studium in Harvard auf, das er 1954 im Fach Englisch mit summa cum laude abschloss. Es folgte der Militärdienst beim Hauptquartier der 9. Division im schwäbischen Göppingen. Nach seiner Rückkehr in die USA studierte er in Harvard Jura und machte 1959 seinen zweiten Universitätsabschluss.

Im unmittelbaren Anschluss an an das Jurastudium wurde Louis Begley Anwalt in der renommierten Kanzlei Debevoise & Plimpton, bei der er im Laufe der Jahre zum Sozius aufstieg. Ende der sechziger Jahre arbeitete er bei der französischen Niederlassung von Debevoise in Paris. Hier lernte er Vertragsentwürfe und Darlehensurkunden so zu komponieren, dass jedes Wort genau das meint, was der Verfasser sagen will. Eine Kunst, die auch Begleys Selbstbekenntnis zufolge der literarischen Tätigkeit zugute kam: "Ohne Juristerei wäre ich nicht Schriftsteller geworden, und ohne die Literatur wäre ich kein guter Rechtsanwalt geworden".

Albert Schmidt ≠ Louis Begley

Dem literarischen Erstlingserfolg ließ Louis Begley – ohne seine Rechtsanwaltskarriere zu vernachlässigen – im Laufe der Jahre weitere Bücher folgen: "Der Mann, der zu spät kam" "Wie Max es sah", "Venedig unter vier Augen" usw. – allesamt Gesellschaftsromane, die in der Welt des "bargeldlosen Wohlergehens" spielen und die auf gleichsam spannende wie subtile Weise von Geld und Macht, Ehebruch und Liebesverrat, Leidenschaft und Treulosigkeit handeln. Begley schöpft beim Schreiben aus dem, was er erlebt hat. Die Banker, Anwälte und Architekten in seinen Romanen sind darin geübt, mit Hilfe ihres Vermögens und Intellekts über moralische Zwangslagen hinwegzutäuschen.

Eine besondere Figur in Begleys Romankosmos ist jedoch Albert Schmidt, dem Hollywood bei der Verfilmung von 2002 bereits in Person von Jack Nicholsen ein Leinwandgesicht verliehen hat. In seinen Romanen "Schmidt", "Schmidts Bewährung" und "Schmidts Einsicht" (das im November 2011 auf Deutsch erscheinen wird) schildert Begley mit viel Humor, Ironie und galligem Sarkasmus die Geschichte des ehemals gefragten New Yorker Staranwalts Albert Schmidt der sich in vorgerücktem Alter noch einmal neu erfinden will. Der vorzeitig in den Ruhestand versetzte Neurotiker und Rechtsanwalt a.D. durchlebt zahlreiche Krisen und läuft permanent Gefahr, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Der Antiheld erinnert jedoch nur partiell an seinen literarischen Schöpfer. Während Schmidt oftmals verbittert und einsam ist, lebt Begley seit 1974 glücklich verheiratet in zweiter Ehe mit der Schriftstellerin und Historikerin Anka Muhlstein zusammen. Auch zu seinen Kindern, dem in Paris lebenden Künstler Peter Begley und seiner Tochter, der Schriftstellerin Amey Larmore, unterhält der Jurist eine enge familiäre Beziehung.

Seiner rechtsanwaltlichen Karriere ging Begley bis Ende 2004 nach. Schriftsteller ist er bis heute. Neben zahlreichen Literaturpreisen erhielt er 2008 die Ehrendoktorwürde der Universität Heidelberg verliehen. Er ist Mitglied der Anwaltskammer (Bar Association) seiner Heimatstadt New York, Mitglied des Council on Foreign Relations sowie Mitglied des Vorstandes des amerikanischen PEN-Zentrums. Für deutsche Zeitungen wie die F.A.Z. verfasst Begley regelmäßig Essays zu aktuellen Ereignissen in den Vereinigten Staaten.

 

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Zitiervorschlag

Jürgen Seul, Zum Geburtstag von Louis Begley: Der Mann, der "About Schmidt" erfand . In: Legal Tribune Online, 06.10.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4481/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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