Tötung von Osama bin Laden: Der Al-Qaida-Chef als Krieg­s­opfer

Nach den Angriffen auf das World Trade Center 2001 hat der damalige US-Präsident George W. Bush dem Terrorismus den Krieg erklärt, die Regierung Obama führt diese Politik fort. In einem Krieg dürfen feindliche Kämpfer grundsätzlich getötet werden. War aber der Einsatz in Abbottabad tatsächlich eine militärische Operation im Sinne des Völkerrechts? Nick Roguski hat Zweifel.

Der Tod von Osama bin Laden hat in deutschen und internationalen Medien eine Debatte über die Rechtmäßigkeit der Tötungsaktion ausgelöst. Diese konzentriert sich im Wesentlichen auf die Verletzung pakistanischer Souveränität und die Frage, ob das durch die Menschenrechtspakte geschützte Recht auf Leben verletzt wurde. Weniger prominent ist hingegen das Problem, ob der Spezialkräfteeinsatz eine militärische Operation im Rahmen eines Krieges darstellte.

Dabei ist diese Überlegung weder fernliegend noch irrelevant. Die Amerikaner argumentieren seit langem, dass ihre Einsätze gegen Al-Qaida teil eines weltweiten "Kriegs gegen den Terrorismus" sind. In einem Krieg sind aber andere rechtliche Maßstäbe einschlägig – nämlich solche des Kriegsvölkerrechts. So genannte gezielte Tötungen sollen im "Krieg gegen den Terrorismus" durch das Selbstverteidigungsrecht gedeckt sein.

Zudem gelten in einem Krieg menschenrechtliche Garantien nur eingeschränkt. Die Rechtmäßigkeit der Tötung von Personen beurteilt sich nach dem so genannten humanitären Völkerrecht. Es lohnt daher, einen Blick auf diese Regeln zu werfen.

Kein Selbstverteidigungsrecht der Amerikaner

Das Recht auf Selbstverteidigung wird durch Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen (UN-Charta) und das Völkergewohnheitsrecht geschützt. Es besagt, dass sich ein Staat gegen einen bewaffneten Angriff zur Wehr setzen darf. Doch die Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht stößt auf mehrere Probleme.

Zum einen ist umstritten, ob es auch auf Angriffe von nichtstaatlichen Akteuren anwendbar ist. Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat dies in Bezug auf Art. 51 der UN-Charta verneint. Allerdings gehen zumindest die Sicherheitsratsresolutionen 1368 und 1373, die unmittelbar nach dem 11. September 2001 verabschiedet wurden, davon aus, dass das Selbstverteidigungsrecht auch gegen Angriffe nichtstaatlicher Gruppen besteht.

Im Falle Bin Ladens dürfte gegen das Selbstverteidigungsrecht aber vor allem sprechen, dass kein bewaffneter Angriff vorliegt. Die Angriffe auf das World Trade Center liegen fast 10 Jahre zurück und es ist nicht bekannt, dass der Tötungsaktion Erkenntnisse zugrunde lagen, wonach ein Angriff ähnlicher Intensität in nächster Zukunft geplant war. Die auf Al-Qaida zurückzuführenden Terrorattacken, beispielsweise Selbstmordanschläge im Irak oder in Afghanistan, haben hingegen nicht die notwendige Intensität eines bewaffneten Angriffs im Sinne des Art. 51 UN-Charta.

Bin Laden wohl kein Kombattant einer Konfliktpartei

Zudem hat das Selbstverteidigungsrecht lediglich Auswirkungen auf das Gewaltverbot des Art. 2 Abs. 4 UN-Charta. Über die Rechtmäßigkeit der Tötung einer Person entscheidet es nicht. Hierfür ist im Kriegsfalle vielmehr das so genannte ius in bello, also das humanitäre Völkerrecht, zuständig.

Das humanitäre Völkerrecht unterscheidet zwischen internationalen und nicht-internationalen bewaffneten Konflikten. Liegt ein internationaler bewaffneter Konflikt vor, dürfen Personen straflos getötet werden, wenn sie zu den Kombattanten einer Konfliktpartei zu zählen sind. Wäre Osama bin Laden also als Kombattant einzustufen, hätte er von den amerikanischen Spezialkräften erschossen werden dürfen, auch wenn er zu dieser Zeit (wie mittlerweile von den Amerikanern eingeräumt) unbewaffnet war.

Diese Argumentation scheitert jedoch daran, dass ein internationaler bewaffneter Konflikt nicht vorliegt. Ein solcher kann nur zwischen zwei oder mehreren Staaten bestehen. Die USA führen aber keinen bewaffneten Konflikt gegen Pakistan. Die internationalen Konflikte gegen Afghanistan und den Irak sind beendet, die jetzigen Auseinandersetzungen finden nicht gegen diese Staaten sondern in ihnen statt. Zudem war Pakistan nie Kampfgebiet. Nichtstaatliche bewaffnete Gruppen können wegen des klaren Wortlauts der Genfer Abkommen nicht Parteien eines internationalen bewaffneten Konflikts sein.

Abbottabad als Konfliktgebiet?

Hingegen können bei einem nicht-internationalen bewaffneten Konflikt Kampfhandlungen auch gegen nichtstaatliche Gruppen geführt werden. Diese Gruppen müssen jedoch einen bestimmten Organisationsgrad aufweisen und mit einer gewissen Intensität an Kampfhandlungen beteiligt sein, um als Konfliktpartei eingestuft zu werden.

Ob dies bei Al-Qaida anzunehmen ist, ist zweifelhaft. Selbst wenn Selbstmordanschläge als Kampfhandlungen zu verstehen wären, werden doch viele von Sympathisanten des Terrornetzwerks durchgeführt, jedoch nicht von einer zentralen Kommandostruktur gesteuert.

Zudem stellt sich die Frage, ob überhaupt ein bewaffneter Konflikt vorliegt. Problematisch sind sowohl die Intensität der Kampfhandlungen,als auch die räumliche Eingrenzung des Konfliktgebiets. In den USA wird zwar teilweise die Ansicht vertreten, dass beim Kampf gegen den Terrorismus der bewaffnete Konflikt eine globale Natur hat. Ein räumlich abgrenzbarer Bereich ist aber weiterhin notwendig, sonst käme es zu einer ausufernden Anwendung des Kriegsvölkerrechts.

Angesichts der Tatsache, dass die afghanischen Taliban-Kämpfer oft von pakistanischem Territorium aus operieren, könnte zumindest für das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet von einem bewaffneten Konflikt gesprochen werden. Ob Abbottabad auch noch zu diesem Gebiet zählt, ist hingegen zweifelhaft. 

Direkte Beteiligung an Kampfhandlungen notwendig

Schließlich ist die Tötung von Personen in einem nicht-internationalen bewaffneten Konflikt nur dann erlaubt, wenn diese direkt an Kampfhandlungen beteiligt sind. Die Anschläge auf das World Trade Center, an denen Bin Laden maßgeblich beteiligt war, taugen nicht als Begründung, da sie zu weit zurückliegen.

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz geht in seinen "Auslegungsempfehlungen" zur Frage der direkten Beteiligung aber davon aus, dass Personen, die eine "kontinuierliche Kampffunktion" wahrnehmen, stets direkt an Kampfhandlungen beteiligt sind. Dazu müsste Osama Bin Laden jedoch kontinuierlich an der Planung und Ausführung von Anschlägen beteiligt gewesen sein, worüber keine gesicherten Informationen vorliegen.

Im Ergebnis spricht viel dafür, dass der Einsatz gegen Osama bin Laden zwar ein wichtiges Element im "Krieg gegen den Terrorismus" darstellt, jedoch nicht im Rahmen eines bewaffneten Konflikts im Sinne der Genfer Abkommen erfolgte. Das Kriegsvölkerrecht vermag die Tötung bin Ladens daher nicht rechtfertigen. Wie andere "targetedkillings" auch, bewegte sich der Einsatz rechtlich in einem Grenzbereich zwischen humanitärem Völkerrecht und Menschenrechten, für den einheitliche Regeln erst entwickelt werden.

Der Autor Przemyslaw Nick Roguski, Mag. Iur. ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht, Internationales Wirtschaftsrecht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

 

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Zitiervorschlag

Przemyslaw Roguski, Tötung von Osama bin Laden: Der Al-Qaida-Chef als Kriegsopfer . In: Legal Tribune Online, 05.05.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3196/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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