Haftung des Staates wegen Stalkings: Psychoterror begründet per se noch keine Entschädigung

von Prof. Dr. jur. Dipl. soz. Päd. Dirk Heinz

08.04.2011

Das BSG hat zum Anspruch von Stalking-Opfern nach dem Opferentschädigungsgesetz entschieden, dass für den erforderlichen "tätlichen Angriff" eine Gefahr für Leib und Leben bestanden haben muss und den konkreten Fall an die Vorinstanz zurückverwiesen. Die Auffassung der Kasseler Richter könnte auch für die rechtliche Bewertung von Mobbing bedeutsam sein, meint Dirk Heinz.

Um den Rechtsanspruch auf Entschädigung für Opfer von Gewaltkriminalität ist es lange Zeit ruhig geblieben. Hintergrund einer entsprechenden Haftung ist, dass der Staat einspringen muss, wenn er seinen Auftrag zur Verhinderung von Straftaten wegen eines Versagens seiner Sicherheitsorgane nicht erfüllt und die Straftat gesundheitliche oder gar tödliche Folgen für das Opfer hat.

1995 hatte das Bundessozialgericht (BSG) ein Grundlagenurteil gefällt, wonach ein (selbstverständlich) auch scheinbar gewaltloser sexueller Missbrauch als "tätlicher Angriff" im Sinne des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) einen entsprechenden Anspruch auslöst.

Zuletzt hatten die Kasseler Richter im Jahr 2000 offengelassen, inwieweit auch Mobbinghandlungen unter diese Defintion gefasst werden können. Zumindest der damals vorliegende Fall stellte nach Ansicht des Gerichts eigentlich keinen Fall von Mobbing dar.

Nunmehr hatte soch das BSG erstmals mit dem Fall des Stalking zu befassen. Die so genannte Nachstellung ist zwar seit 2007 nach § 238 Strafgesetzbuch (StGB) strafbar, jedoch kann die Polizei bei weitem nicht alle Taten verhindern, wie auch der zur Entscheidung vorliegende Fall zeigt.

Klägerin durchlitt jahrelanges Martyrium

Die maßgebliche Frage war, ob als Stalking strafbare Handlungsweisen auch als "tätlicher Angriff" im Sinne des OEG gewertet werden können. Dabei verwies das BSG die Klage einer heute 61-jährigen Frau zurück an das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen als Vorinstanz, da noch notwendige Tatsachenfeststellungen nachgeholt werden müssten.

Die Klägerin hatte mit einem Alkoholiker zusammengelebt und nach mehreren Monaten versucht, die Beziehung zu beenden. Der Mann akzeptierte dies jedoch nicht und stellte der Frau in der Folge über zwei Jahre lang nach.

So lauerte ihr er immer wieder auf, um sie zu verfolgen und mit ihr zu sprechen, rief sie häufig zu jeder Tages- und Nachtzeit an und schickte ihr unter anderem SMS, Briefe und Postkarten.

Der Täter schickte auch immer wieder unter Vorwänden Polizei, Notarzt und Feuerwehr zur Wohnung der Frau. Schließlich kam es wiederholt zu Bomben- oder Todesdrohungen gegenüber der Ex-Freundin und deren ihren Familienangehörigen.

Vorinstanz hatte Relevanz von fehlender physischer Einwirkung offen gelassen

Auch zwei gerichtliche Schutzanordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz konnten den Mann nicht von seinem Treiben abhalten. Er wurde schließlich wegen Bedrohung und mehrfachen Verstoßes gegen die Schutzanordnungen zu Freiheitsstrafen verurteilt. Über den gesamten Zeitraum war es   abgesehen von einem Griff an den Arm mit Herumreißen der Klägerin vor einem Geschäft nicht zu körperlichen Übergriffen gekommen.

Die Frau, die infolge der jahrelangen Nachstellungen zweimal ihre Wohnung gewechselt und ließ Auskunftssperren zu Adresse und Telefonnummer eingerichtet hatte, war  schließlich an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkrankt. Dabei gingen die Erschöpfungs  und Angstzustände, Nervosität, Konzentrations  und Schlafstörungen so weit, dass sie als schwerbehindert eingestuft werden musste.

Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hatte entschieden, dass "gewaltlose" Nachstellungen eines so genannten Stalkers  in ihrer Gesamtheit jedenfalls dann als "tätlicher Angriff" im Sinne  des § 1 Abs 1 S 1 OEG zu werten sind, wenn sie den Tatbestand der Nachstellung iS von § 238 Abs 1 StGB verwirklichen, sich zumindest mit bedingtem Vorsatz auch gegen die gesundheitliche Integrität des Opfers richteten und auch mit Zwangswirkungen wie Flucht- oder Ausweichverhalten durch physische Präsenz des Nachstellers durch Auflauern, Verfolgen oder Festhalten des Opfers verbunden sind.

Ob Nachstellungshandlungen, bei denen der Nachsteller ausschließlich postalisch, durch elektronische Medien oder telefonisch Kontakt mit dem Opfer aufnimmt und eine Konfrontation des Opfers mit seiner physischen Präsenz unterlässt, als "tätlicher Angriff" betrachtet werden können, ließ das LSG allerdings offen.

Rechtliche Bewertung der Täterhandlung tritt in den Hintergrund

An diesem Punkt setzte nun das BSG an und begründete seine Zurückverweisung damit, dass diese zentral anspruchsbestimmende Voraussetzung grundsätzlich eine in feindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung voraussetzt (Urt. v. 07.04.2011, Az. B 9 VG 2/10 R).

Je geringer dabei die Kraftanwendung durch den Täter sei, desto genauer müsse geprüft werden, inwiefern durch die Handlung eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Die bloße Drohung mit Gewalt sei nur dann als tätlicher Angriff anzusehen, wenn die Gewaltanwendung unmittelbar bevorsteht. Hingegen sollen "gewaltlose", insbesondere psychische Einwirkungen auf das Opfer nicht ausreichen.

Dieses Abstellen auf eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers ist neu, zumal hiermit die Handlung des Täters bei der rechtlichen Bewertung in den Hintergrund tritt. Im Übrigen bleibt abzuwarten, wie sich diese Sichtweise des BSG auf die rechtliche Bewertung vom Mobbing im Rahmen des OEG auswirken wird, zumal solche Vorgänge ähnlich gelagert sind wie Stalking-Prozesse.

Prof. Dr. jur. Dipl. soz. Päd. (FH) Dirk Heinz lehrt öffentliches Recht an der Hochschule Ravensburg-Weingarten.

 

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Zitiervorschlag

Prof. Dr. jur. Dipl. soz. Päd. Dirk Heinz, Haftung des Staates wegen Stalkings: Psychoterror begründet per se noch keine Entschädigung . In: Legal Tribune Online, 08.04.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2977/ (abgerufen am: 16.04.2024 )

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