Streit um Kernkraftwerke: Warum die Atomenergie Grundrechte verletzt

Die aktuelle deutsche Atomrechtsdebatte hält sich bei der Frage auf, ob die Bundesregierung ein Moratorium für Gesetze verhängen darf. Das zentrale Verfassungsproblem der Atomenergie ist jedoch der Schutz von Leben und Gesundheit. Viel drängender muss daher über erneuerbare Energien und die Energieversorgung als solche gesprochen werden, meint Felix Ekardt.

Das deutsche Atomrecht ist in den letzten zwei Wochen wieder einmal hochumstritten, wie schon so oft in der Vergangenheit. Doch setzt die Debatte mit der Frage nach der Rechtmäßigkeit des von der Bundesregierung verkündeten Atom-Moratoriums den falschen Schwerpunkt.

Richtig ist zwar das, was momentan vielstimmig von allen Seiten betont wird: Eine Aussetzung  der 2010 beschlossenen Laufzeitverlängerung für deutsche Atomkraftwerke ist ohne eine Gesetzesänderung nicht möglich. Alles andere würde den Gesetzesvorbehalt und die Gewaltenteilung missachten. Sehr wohl ohne Gesetzesänderung möglich ist entgegen vielen Stimmen allerdings ein dreimonatiges Abschalten einiger Atomkraftwerke.

Das Atomgesetz (AtG) erlaubt in seinem § 19 Abs. 3 Nr. 3, vielleicht auch in § 17 genau dies: Die Normen sind genau darauf ausgelegt, einen wachsenden Kenntnisstand zu möglichen Gefahren zu berücksichtigen. Die Möglichkeit einer solchen Berücksichtigung hat auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) seit dem Kalkar-Urteil von 1978 stets verlangt.

Der erweiterte Kenntnisstand muss dabei nicht von Ereignissen an der jeweiligen Atomanlage selbst ausgehen. Ausreichend sind Erkenntnisse, die von ähnlich konstruierten Reaktoren herrühren.

Nach Japan sind auch deutsche Störfälle nicht ausgeschlossen

Der Streit über §§ 17, 19 Abs. 3 AtG lenkt jedoch vom eigentlichen Verfassungsproblem ab. Selbst wenn man die relativ atomfreundliche Verfassungsinterpretation des BVerfG zugrunde legt, ist die Atomkraft spätestens nach den Erkenntnissen aus Japan verfassungswidrig.

Das BVerfG hat seit dem Kalkar-Urteil 1978 stets betont, dass die Atomenergie mit dem Recht auf Leben und Gesundheit aus Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz (GG) nur "derzeit" noch vereinbar sei, da das atomare Gefährdungspotenzial bisher nur im Bereich theoretischer Vorstellung liegt.

Dies hat sich jetzt ersichtlich geändert. Denn man kann bei den japanischen Erfahrungen mit den Folgen stromausfallbedingt ausfallender Kühlsysteme nicht wie bei Tschernobyl sagen, dies sei in Deutschland ausgeschlossen. Für Stromausfälle braucht es auch kein Erdbeben und keinen Tsunami. Deshalb muss der Gesetzgeber einen zügigen Atomausstieg beschließen, eher noch zügiger als ursprünglich von der rot-grünen Bundesregierung geplant.

Legt man das AtG verfassungskonform anhand des Kalkar-Urteils aus, kommt vielleicht sogar schon ohne eine solche Gesetzesänderung ein endgültiger Widerruf der Kraftwerksgenehmigungen nach dessen Bestimmungen in Betracht.

Natürlich steht ein Grundrecht nie allein. Verschiedene Grundrechtssphären kollidieren miteinander: etwa Leben und Gesundheit mit dem Eigentumsschutz der Kraftwerksbetreiber. Dabei ist nicht etwa jede Beeinträchtigung von Leben und Gesundheit verboten. Sonst wäre die Industriegesellschaft per se verfassungswidrig und der Schrankenvorbehalt der Grundrechte witzlos.

Das Eigentum ist im Atomstreit jedoch weniger schutzwürdig. Denn eine sichere Energieversorgung kann genauso über mehr Effizienz, mehr erneuerbare Energien und mehr Suffizienz garantiert werden. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung hat es gerade noch einmal auf 700 Seiten detailliert vorgerechnet.

Energiedebatte wird zu atomfixiert geführt

Da die vorhandenen deutschen Kraftwerke schon lange laufen und sie in puncto Forschung, Errichtung und Endlagerung vielfach staatlich subventioniert sind, muss für den Atomausstieg auch keine Entschädigung an die Unternehmen gezahlt werden. Entschädigungspflichtig wäre nur eine Enteignung. Die liegt hier aber nicht vor, weil der Staat sich ja nicht die Kraftwerke aneignet, sondern schlicht eine Politik der Risikominimierung betreibt. Der Atomausstieg ist nur eine Inhaltsbestimmung des Eigentums gemäß Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG.

Dennoch: Befürworter und Gegner gleichermaßen eint in Deutschland eine einseitige Fixierung auf die Atomenergie. Dabei ist sie nicht das einzige Umwelt-Grundrechtsproblem. So könnten laut EU-Kommission 350.000 Feinstaubtote durch bessere Filter für Autos, Heizungen und Industrie verhindert werden. Tut man das nicht, verletzt auch dies die Grundrechte. Gleichermaßen wäre es Grundrechtsverstoß, dem Klimawandel und dem Schwinden lebenswichtiger Ressourcen freien Lauf zu lassen. Deswegen darf Atomenergie nicht einfach durch klimaschädliche Kohle ersetzt werden.

Mehr erneuerbare Energien und mehr Energieeffizienz allein allerdings genügen auch nicht; es muss auch die absolute Energieverbrauchsmenge reduziert werden. Allein mehr Effizienz kann das nicht verhindern. Denn werden wir immer reicher, frisst dies eine steigende Energieeffizienz ganz oder teilweise auf.

Die wirksamsten Instrumente fürs Energiesparen sind die Streichung schädlicher Subventionen und die Anhebung der Energiepreise über eine einschneidende Reform von Energieabgaben und EU-Emissionshandel, ergänzt durch eine reformierte Erneuerbare-Energien-Förderung. Auf Dauer ist dies - das ist unter Klimaökonomen unumstritten - bei weitem billiger und risikoärmer als der bisherige energiepolitische Weg.

Prof. Dr. Felix Ekardt, LL.M., M.A. Jurist, Philosoph und Soziologe, Universität Rostock, Leiter der Forschungsgruppe Nachhaltigkeit und Klimapolitik, Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie ist politikberatend national und international im Klimaschutz tätig und arbeitet vor allem in den Bereichen Energie- und Klimaschutzrecht, WTO-Recht, Gerechtigkeits- und Menschenrechtstheorie und transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung.

 

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Zitiervorschlag

Felix Ekardt, Streit um Kernkraftwerke: Warum die Atomenergie Grundrechte verletzt . In: Legal Tribune Online, 25.03.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2877/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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