Klage gegen Staatsvertrag: Das ZDF und die Politik

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck will vom Bundesverfassungsgericht prüfen lassen, ob der ZDF-Staatsvertrag, die rechtliche Grundlage des Senders, verfassungsgemäß ist. Er hält es für problematisch, dass Politiker und Staatsvertreter in den dortigen Führungsgremien so großen Einfluss haben. Was ist der verfassungsrechtliche Hintergrund seiner Initiative?

Das Rundfunkrecht in Deutschland muss einen heiklen Balanceakt ausführen. Die rundfunkpolitische Grundentscheidung ist: Es gibt nicht nur privaten, sondern auch öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Diese duale Struktur des Rundfunks soll verhindern, dass das Programm  nur von wirtschaftlichen Zwängen, den Interessen der Werbewirtschaft und dem Quotendruck geprägt wird.

Gleichzeitig fordert das Grundgesetz aber nachdrücklich, dass der Rundfunk nicht vom Staat dominiert werden darf. Ein Staatsfernsehen lässt sich mit der verfassungsrechtlich geschützten Medienfreiheit und der offenen Demokratie des Grundgesetzes nicht vereinbaren.

Die Causa Brender - Ausdruck des politischen Einflusses

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk, der aber nicht vom Staat dominiert wird: Wie soll das gehen? Der ZDF-Staatsvertrag versucht eine Antwort. Die wichtigsten Führungsgremien - der ZDF-Fernsehrat und der ZDF-Verwaltungsrat - werden pluralistisch mit Vertretern aller gesellschaftlich relevanten Gruppen besetzt.

Alle wichtigen Teile der Gesellschaft sollen Vertreter in die Gremien schicken. Dann - so die Theorie - steuern nicht die Politik und der Staat, sondern die Zivilgesellschaft das ZDF. Tatsächlich findet sich in beiden Führungsgremien eine bunte Mischung unterschiedlichster Akteure: Kirchenvertreter sitzen - um nur einige zu nennen -  neben Sportfunktionären, Gewerkschaftern, Arbeitgebervertretern, Naturschützern und Kulturschaffenden.

Trotz allem: Wenn es darauf ankommt, haben die Staatsvertreter und die Parteipolitiker den entscheidenden Einfluss im ZDF. Das hat vor einem Jahr die "Causa Brender"  wieder schlaglichtartig gezeigt. Der damalige hessische Ministerpräsident und Parteipolitiker Roland Koch hat - gegen heftigen Widerstand nicht nur aus den Medien - verhindert, dass der Journalist Nikolaus Brender weiter als Chefredakteur amtieren durfte. Es ist ein offenes Geheimnis, dass er ihm zu kritisch und zu unbequem war.

Zwischen Vertretung der Zivilgesellschaft und Bindung an Parteipolitik

Woran liegt es, dass der Staat und die Parteien so einen entscheidenden Einfluss im ZDF haben? Die wirklich wichtigen Entscheidungen im ZDF fallen im Fernsehrat und im Verwaltungsrat. Auf den ersten Blick sind die Vertreter des Staates und der Parteipolitik in beiden Gremien in der Minderheit. Die Vertreter gesellschaftlicher Gruppen und einflussreicher Verbände bilden - das stellt der ZDF-Staatsvertrag in Art. 21 und 24 sicher -  in beiden Gremien die deutliche Mehrheit. Eigentlich sollte damit eine Vorherrschaft der Politik ausgeschlossen sein.

Die Praxis sieht allerdings anders aus. Oft sind die Verbandsvertreter gleichzeitig Parteipolitiker oder stehen dem Staat grundsätzlich nahe. Ehemalige Bundesminister oder Abgeordnete aus dem Bundestag oder dem Europaparlament firmieren im Fernsehrat als Vertreter der Zivilgesellschaft, obwohl sie faktisch der Parteipolitik eng verbunden sind.

Ein Beispiel: Der langjährige Bundesinnenminister Rudolf Seiters sitzt im Fernsehrat, nicht als Vertreter der Parteipolitik, sondern der Wohlfahrtsverbände. Oder: Die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth ist ebenfalls Mitglied im Fernsehrat. Allerdings offiziell nicht als Parteipolitikerin, die sie auch ist, sondern als Vertreterin des Deutschen Städtetags.

Konstruktionsfehler des ZDF-Staatsvertrags

Ein Zufall ist die Dominanz der Parteivertreter nicht. Denn die Verbände dürfen lediglich Vorschlagslisten einreichen, aus denen dann ihre Vertreter im Fernsehrat ausgewählt werden - von den Ministerpräsidenten der Länder. Diese Regelung - versteckt im unscheinbaren Art. 21 Abs. 3 des ZDF-Staatsvertrages - hat eine fatale Konsequenz: Die (Partei-)Politik hat das letzte Wort bei der Besetzung fast aller Gremiensitze.

Damit sind der parteipolitische und der staatliche Einfluss gesichert. Im Sinne der verfassungsrechtlich garantierten Rundfunkfreiheit ist das nicht. Wenn man die Staatsfreiheit des Rundfunks ernst nimmt, ist das ein Konstruktionsfehler im Staatsvertrag.

Der Staat bedroht die Freiheit des Rundfunks. Gleichzeitig ist es aber der Staat, der die Unabhängigkeit des Rundfunks garantieren und verteidigen muss. Denn er muss die entsprechenden Staatsverträge abschließen und die Mediengesetze in diesem Sinne ausgestalten.

Wie Karlsruhe entscheiden wird

Dieses Dilemma des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verlangt viel staatliche Zurückhaltung. Der Fall Brender ist nur ein Beispiel dafür, dass Staatsvertreter dieses self-restraint nicht immer aufbringen. In den letzten Monaten hat Kurt Beck als Präsident des Verwaltungsrats versucht, im Verhandlungsweg den ZDF-Staatsvertrag zu ändern und den Einfluss der Politik zu begrenzen. Damit ist er gescheitert. Freiwillig verzichten Staat und Politik nicht auf ihren entscheidenden Einfluss in den Gremien.

Als letzte Hoffnung bleibt jetzt nur das Bundesverfassungsgericht, das den ZDF-Staatsvertrag am Maßstab des Grundgesetzes messen wird. Als Hüter der Rundfunkfreiheit hat es immer wieder betont: Auch mittelbare, indirekte Einflüsse des Staates können die Rundfunkfreiheit verletzen. Denn staatsfrei ist der Rundfunk nur, wenn die staatlichen Vertreter und die Parteipolitiker den Rundfunk nicht beherrschen.

Das letzte - und entscheidende  - Wort in den Führungsgremien des ZDF haben bisher die Ministerpräsidenten der Länder. Wenn nicht alles täuscht, wird das Bundesverfassungsgericht diesen Teil des Staatsvertrags als verfassungswidrig verwerfen (müssen). Denn das ist der Hebel, durch den die Politik den Rundfunk beherrscht.

Prof. Dr. jur. habil. Dr. rer.pol. Volker Boehme-Neßler lehrt u.a. Medienrecht in Berlin.

Zitiervorschlag

Volker Boehme-Neßler, Klage gegen Staatsvertrag: Das ZDF und die Politik . In: Legal Tribune Online, 20.12.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2169/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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