Frauenquote für Aufsichtsräte

Längst überfällig oder völlig überflüssig?

Gil Eilin JungLesedauer: 5 Minuten
Seit Anfang des Jahres ist die gesetzlich geregelte Frauenquote in den Aufsichtsräten deutscher Unternehmen lebhaft im Gespräch. Nun sind die Grünen in Abstimmung mit dem Deutschen Juristinnenbund mit einem Gesetzesentwurf vorgeprescht, der sich am norwegischen Vorbild von 40 Prozent orientiert. Sinn oder Unsinn? LTO hat sich unter JuristInnen umgehört.

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Es scheint, als komme sie fließend und unaufhaltsam ins Rollen, diese große, Türen öffnende Reform, die Frauen qua Gesetz ermöglichen soll, endlich dorthin zu gelangen, wo sich bislang vorwiegend Männer getummelt haben: in die Schaltstellen und Machtzentralen deutscher DAX-Gesellschaften.

Auf freiwilliger Basis ist in der Vergangenheit zu wenig passiert, wenn es darum ging, qualifizierte Frauen ihrer demoskopischen Präsenz entsprechend in Unternehmen zu platzieren. Nun soll die Quote helfen. Frankreich, Finnland und Norwegen haben sie bereits, andere europäische Länder planen, gleich zu ziehen.

"Viele beruflich sehr erfolgreiche Frauen betonen immer wieder, dass sie ohne den Druck der Quote nicht dahin gekommen wären, wo sie sind", sagt die Vorsitzende des Deutschen Juristinnenbundes Jutta Wagner im Gespräch mit LTO. Wagner, deren Vereinigung maßgeblich an dem Gesetzentwurf der Grünen zur Einführung einer Quote mitgefeilt hat, betont, dass es wesentlich mehr qualifizierte Frauen gibt, als man denkt.

"Man muss nach qualifizierten Frauen anders suchen als nach Männern"

"Es wird gerne ausgeblendet, dass Frauen generell nicht dazu neigen, sich beruflich in den Vordergrund zu spielen", sagt Wagner und ergänzt: "Man muss nach qualifizierten Frauen auf eine andere Art und Weise suchen als nach Männern."

Die Juristin wehrt sich vehement gegen Unterstellungen, wonach die Quote zu Lasten der Qualität gehe. "Diese Abwertung als Quotenfrau ist nichts als eine gern gebrauchte Disqualifizierung", erläutert die DJV-Präsidentin. "Dabei verlangt in diesem Land doch niemand, dass einer Frau mit geringerer Qualifikation der Vorzug gegeben wird". Wenn man die Präsenz von Frauen in Führungsetagen verstärken wolle, seien Aufsichtsratsposten "relevante Hebel". Sie hätten ein entscheidendes Bestimmungsrecht in Bezug auf die Bestimmung der Vorstände, die ihrerseits Entscheidungen treffen.

Der andere Grund für die Einführung der Quote sei rechtlicher Natur, erläutert DJV-Präsidentin Wagner. "Wenn es darum geht, rechtliche Vorschriften zu machen, sind Aufsichtsräte die richtigen Gremien, um gesetzliche Vorschriften zu erlassen und sich die geeigneten Sanktionsmöglichkeiten zu überlegen." Jutta Wagner glaubt, dass die Quote in Deutschland nur noch eine Frage der Zeit sei.

"Auch eine Vorbildfunktion für andere Frauen"

Eine Ansicht, der sich Wagners Hamburger Kollegin Katharina Feddersen anschließt. "Es würde mich nicht wundern, wenn das Gesetz bereits innerhalb der nächsten zwei Jahre kommt", sagt die Juristin für Bau- und Architektenrecht und Vorsitzende des Hamburger Juristinnenbundes im Interview mit LTO.

"Wir haben eine pluralistische Gesellschaft, die derzeit verzerrt wiedergegeben wird", so Feddersen. Persönlich halte sie es für vernünftig, Frauen in diese Positionen hineinzubekommen, "auch, damit für andere Frauen eine Vorbildfunktion entsteht". Es müsse "darstellbar sein, dass solche Positionen für Frauen theoretisch erreichbar sind", sagt die Anwältin.

Nach Feddersens Auffassung ist die Quote für Aufsichtsratsposten aber nur ein Anfang. "Es wäre schön, wenn irgendwann eine praktizierte Gleichberechtigung in allen Boards stattfinden würde, also auch auf der Vorstandsebene". Große Unternehmen, Behörden, aber auch Kanzleien sollten sich grundsätzlich fragen, "ob sie den Anschluss an die Moderne wollen oder dem Retrospektivischen den Vorzug geben", gibt Katharina Feddersen zu bedenken. Ihr Fazit: "Die Quote öffnet eine Tür zur modernen Gesellschaft."

"Die Qualität und Qualifizierung sollten entscheidend sein."

Eine gesetzlich durchgedrückte Zwangsmaßnahme als Allheilmittel zur geschlechtergerechteren Postenverteilung? Mit diesem Bild hadert die Landsberger Gesellschaftsrechtlerin und Partnerin der Sozietät Mundt Unger, Dr. Ulrike Unger. "Ich zweifle, ob eine solche Quote für jedes deutsche Unternehmen überhaupt interessengerecht wäre", sagt die Juristin im Gespräch mit LTO. "Der Deutsche Corporate Governance Kodex hat bereits einführt, dass Frauen mehr Berücksichtigung in Vorständen und Aufsichtsratsgremien finden sollen. Wie weit sich das auswirkt, wird sich erst in ein paar Jahren zeigen."

Unger betont, dass sie "eigentlich gegen starre Regeln" sei und "sehr dagegen, Unternehmen immer mehr aufzuoktroyieren". Auf der anderen Seite gebe es aber positive Vorbilder für Quoten, wenn man sich im europäischen Ausland umschaue. Beispiele, so Unger, "die belegen, dass sich etwas bewegt, wo Diskussionen oder gute Absichten bislang ihre Wirkung verfehlt haben".

Dennoch wirft die bayerische Rechtswissenschaftlerin ein, "dass die Qualität und Qualifizierung einer Person entscheidend sein sollten und nicht das Geschlecht". Andererseits sei es aber so, dass nach wie vor sehr wenige Frauen trotz ausreichender Qualifizierung in deutschen Aufsichtsräten oder Vorständen vertreten seien. "Also kann es nicht an der Qualität liegen, warum sie nicht berufen werden", so Unger, deshalb "schwanke ich in meiner Ansicht".

"Es gibt andere Maßnahmen, die wichtiger wären."

Ähnlich geht es der Frankfurter Steuerrechtlerin Dr. Heike Weber. Die Partnerin bei der internationalen Wirtschaftskanzlei Allen & Overy LLP betrachtet die Quote als ein Instrument, "das vom Ziel her sicher zu begrüßen ist". Aber sie habe "große Zweifel, ob es wirklich dieses gesetzlich verordnete Mittel sein muss".

Weber sagt im Interview mit LTO, dass "es andere Maßnahmen gibt, die wichtiger wären". Viele Frauen, bei denen das Familienthema anstünde, wüssten nicht, wie sie ihre Karriere generell bewerkstelligen sollten – da wäre es wichtig, über Vorbilder zu zeigen, dass man es durchaus schaffen kann.

Die Juristin sagt, man müsse Frauen ermöglichen, "Familie und Beruf in einer Führungsposition besser zu vereinbaren, etwa in Form von flexibleren Arbeitsmodellen". Modelle, die in Webers Sozietät bereits praktiziert werden, etwa in Form von Teilzeitalternativen für Partnerinnen. "Das Problem ist, dass Frauen sich das oft nicht zutrauen und letztlich Prioritäten verlagern, anstatt weiter an ihrer Karriere zu feilen", betont Heike Weber. Die Quote – die laut Gesetzesentwurf sukzessive auf 40 Prozent hochgehen soll – hält sie für einen "erheblichen Eingriff". Persönlich, sagt Weber, empfände sie es "als Makel, eine Quotenfrau zu sein".

Am richtigen Ende ansetzen: Aufstiegschancen in Unternehmen verbessern

Die Berliner Juristen Dr. Marcus Schladebach und Georgia Stefanopoulou* gehen in einer jüngeren Veröffentlichung sogar so weit, zu behaupten, dass die Quote Frauen herabsetze. Insbesondere qualifizierte Frauen hätten es überhaupt nicht nötig, über Quoten an entsprechende Posten heranzukommen.

Es sei ein "wünschenswertes Ziel, mehr Frauen in Aufsichtsrats-Positionen zu bekommen", betonen die Juristen. Man müsse jedoch an den Aufstiegschancen der Frauen in den Unternehmen arbeiten – und damit das Pferd gewissermaßen richtig herum aufzäumen.

Schladebach und Stefanopoulou argumentieren, dass für Aufsichtsratsposten "typischerweise Mitarbeiter aus dem höheren Management genommen werden, die eine gewisse Erfahrung haben. Bis dorthin kommen viele Frauen aber schon mal gar nicht". Um dieses Missverhältnis zu regulieren, müssten "die Möglichkeiten der Qualifizierungen in Unternehmen für Frauen verbessert und ihr Interesse an solch wirtschaftlichen Führungspositionen geweckt werden", fordern die Autoren.

Dabei betonen sie, dass die Schwachstelle oft auch bei den Frauen selber zu finden sei, weil "die Förderung dieses Interesses (an wirtschaftlichen Führungspositionen) bei Frauen zu schwach ausgeprägt" sei. Das Mittel einer gesetzlich forcierten Quote zum direkten Zugang zur Spitze eines Unternehmens halten die Berliner Juristen für "wenig überzeugend" - auch wenn sie eingestehen, dass sie in der gegenwärtigen Debatte um die Frauenquote "nicht ganz im Trend liegen".

Gil Eilin Jung ist freie Journalistin in Bremen.

* Anm. d. Red. (5. September 2011): Georgia Stefanopoulou wurde in einer früheren Version des Beitrags zunächst als Dr. Georgia Stefanopoulou ausgewiesen. Tatsächlich war sie zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Beitrags am 26.10.2010 wie auch zu dem dieser Änderung nicht Inhaberin eines Doktortitels. Wir bitten, das entstandene Versehen zu entschuldigen.

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