Arbeitsrecht: "Abschied vom Nor­mal­ar­beits­ver­hältnis?"

von Martin W. Huff

16.09.2010

Der 68. Deutsche Juristentag in Berlin steht bevor. Und wie immer werden in sechs Abteilungen wichtige rechtspolitische und juristische Probleme unserer Zeit diskutiert. So fragt sich die Abteilung Arbeitsrecht, welche Regelungen die moderne Arbeitswelt erforderlich macht.

Die arbeits- und sozialrechtlichen Abteilung greift die spannende Frage auf, ob wir uns vom Normalarbeitsverhältnis verabschieden. Die Entwicklung zeigt zum einen Rückgang der Normalarbeitsverhältnisse bei gleichzeitigem Anstieg des Anteils "neuer Beschäftigungsformen" und zum zweiten die wachsende Diskontinuität von Erwerbsbiographien. Arbeitnehmer erreichen heute nicht mehr in demselben Betrieb oder auch Unternehmen, in dem sie mit einer Lehre oder nach einem anderen Abschluss in das Berufsleben eingestiegen sind, auch die Altersgrenze für den Übertritt in den Ruhestand. Beides sind in den Industriestaaten weltweit zu beobachtende Strömungen.

Die neuen Beschäftigungsformen sind Ausdruck eines berechtigten Flexibilisierungsbedarfs der Unternehmen, aber auch wirtschaftlicher (Insolvenzen, Konzentrationen, Arbeitsplatzabbau in Deutschland) und gesellschaftlicher (Elternzeiten, alleinerziehende Arbeitnehmer) Veränderungen. Sie führen zu Schutzlücken und auf der Arbeitnehmerseite zu einer Zwei–Klassen-Gesellschaft. Es stellt sich dabei zunehmend die Frage, ob und wenn ja mit welchem Modell von Arbeitsbeziehungen unsere Gesellschaft planen und arbeiten will.

Der Gutachter, Professor Dr. Raimund Waltermann (Bonn), sieht auf verschiedenen Feldern gesetzlichen Handlungsbedarf. Kritisch steht er der Abgabenprivilegierung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse gegenüber. Deren beschäftigungspolitische Vorteile würden durch erhebliche Nachteile für die Gesellschaft erkauft.

Die unzureichende sozialrechtliche Vorsorge erfordere in der Zukunft eine massive steuerfinanzierte Aufstockung der Etats der Sozialversicherungsträger. An der geltenden Regulierung der Leiharbeit, aktuell Stein des Anstoßes, bemängelt er die unzulängliche Umsetzung des europarechtlich vorgegebenen Gleichbehandlungsgrundsatzes. Waltermann fordert auch, die "Kleine Selbständigkeit" zum Schutz der Allgemeinheit und zur Risikovorsorge Einzelner in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen.

Auch die Referenten sehen überwiegend Handlungsbedarf, auch wenn die Entwicklung zu sehr unterschiedlichen Erwerbsbiographien seit langem andauert. Aber es müsse, so die überwiegende Meinung, noch die Vorstellung von einem Normalarbeitsverhältnis geben. Gerade hier müssten soziale Grundrechte geregelt werden.

Ansatzpunkte für intensive Diskussionen sind zum Beispiel weiterhin die Fragen nach einem Mindestentgelt, Kündigungsfristen und der Altersversorgung.

Es besteht die Hoffnung, dass bei aller sozialpolitischen Brisanz beide Arbeitsmarktparteien – Arbeitgeber und Arbeitnehmer - das neutrale Feld des Juristentags nutzen, um konstruktive und zukunftsgerichtete Lösungen zu entwickeln.

Der Autor Rechtsanwalt Martin W. Huff, Leverkusen, ist Pressesprecher des Deutschen Juristentags.

 

Rund um den Juristentag - Kurzinformation

Abteilung Zivilrecht: Ist unser Erbrecht noch zeitgemäß?

 

Zitiervorschlag

Martin W. Huff, Arbeitsrecht: "Abschied vom Normalarbeitsverhältnis?" . In: Legal Tribune Online, 16.09.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1471/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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