DoJ kündigt Anpassung von Richtlinien an: US-Justiz ver­schärft Ver­fol­gungs­praxis für Unter­nehmen

Gastbeitrag von Dr. Eike Bicker und Moritz Stilz LL.M. (Duke)

23.09.2022

Während in Deutschland eine Überarbeitung der Regeln zu Unternehmenssanktionen aussteht, kündigt das US-Justizministerium eine Verschärfung seiner Enforcement Policy an. Eike Bicker und Moritz Stilz wissen, was sich ändern wird.

Der Entwurf der deutschen Bundesregierung zum Verbandssanktionengesetz wurde mit Ende der vergangenen Legislaturperiode aufgrund des Diskontinuitätsprinzips zu den Akten genommen. Die neue Regierung kündigte im Koalitionsvertrag zwar Vorschriften zu Unternehmenssanktionen an, bislang liegen aber noch keine neuen Entwürfe vor.

Nun kommt ein Anstoß von jenseits des Atlantiks: Bereits kurz nach ihrem Amtsantritt hatte die stellvertretende US-Justizministerin Frau Lisa Monaco als Teil der neuen Biden-Administration ein aggressiveres Vorgehen gegen Wirtschaftskriminalität angekündigt und eine multidisziplinäre Arbeitsgruppe eingesetzt, um bestehende Strafverfolgungsrichtlinien des US-Justizministerium (DoJ) zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.

Die neuen Richtlinien stellte Monaco in einer Rede am 15. September 2022 vor. Zeitgleich veröffentlichte das DoJ ein zugehöriges Memorandum. Es handelt sich um eine der umfangreichsten Überarbeitungen der Strafverfolgungsrichtlinien in den letzten Jahren. Die Anforderungen an Kooperation, Übergabe von Dokumenten und Compliance-Maßnahmen sollen signifikant verschärft werden.

DOJ Richtlinien und Memoranda

In der Praxis haben DoJ-Richtlinien und Memoranda eine hohe Bedeutung. Richtlinien haben zwar nicht die Qualität einer Rechtsnorm, sie legen aber intern für die US-Bundesstaatsanwälte fest, wie diese ihr weites Ermessen zur Verfolgung von (Unternehmens-)Straftaten ausüben sollen.

Da aber die ganz überwiegende Zahl der Fälle in den USA nicht streitig vor Gericht, sondern einvernehmlich zwischen Staatsanwaltschaft und Beschuldigten erledigt wird, kommt den internen Richtlinien des DoJ enorm wichtige Bedeutung zu. Sie definieren unter anderem, ob und unter welchen Voraussetzungen Bundesstaatsanwälte einer einvernehmlichen Erledigung zustimmen können.

Fokus auf die strafrechtliche Verfolgung von Individualpersonen

Höchste Priorität legt das DoJ weiterhin auf die Verfolgung von Individualpersonen, die Straftaten begehen und von ihnen profitieren. Das DoJ will hier schneller vorgehen. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass die Verfolgung von Individualpersonen schwieriger werde, je länger Beweismaterial gesammelt werden müsse. Daher werden Unternehmen im Rahmen der Kooperation angehalten, Dokumente schneller zu übergeben.

Wenn ein kooperierendes Unternehmen wichtige Dokumente (z.B. im Rahmen von internen Untersuchungen) auffindet, soll es nach Vorstellung des DoJ "als erstes" die Bundesstaatsanwälte informieren. Überlege ein Unternehmen zunächst, wie es mit den Dokumenten umgehen wolle, um Schadenbegrenzung zu betreiben, oder ermittle es zunächst selbst intern weiter, behindere dies das DoJ bei seinen Ermittlungen. Übermäßige oder bewusste Verzögerung sollen daher künftig dazu führen, dass sich die Strafvergünstigung für die Kooperation (sog. "Cooperation Credit") reduziert oder ganz entfällt.

Zudem soll nun spätestens zeitgleich mit der strafrechtlichen Entscheidung über das Unternehmen auch über etwaige strafrechtliche Sanktionen gegen die involvierten Personen entschieden werden. Zweck dieser neuen Richtlinie ist es, sowohl die Ermittler als auch das Unternehmen dazu anzuhalten, die Ermittlungen gegen Einzelpersonen zu beschleunigen.

Compliance-Vorgeschichte von Unternehmen rückt in das Blickfeld

Das DoJ will früheres Fehlverhalten von Wiederholungstäter künftig stärker berücksichtigen. Am relevantesten seien dabei Gesetzesverstöße, die dieselben Mitarbeiter oder die Unternehmensführung betreffen. Zudem sei entscheidend, ob das aktuell untersuchte Fehlverhalten auf dieselbe Ursache (sog. Root Cause) zurückgehe, weswegen das Unternehmen in der Vergangenheit bereits sanktioniert wurde.

Die Berücksichtigung der Compliance-Vorgeschichte eines Unternehmens soll jedoch nicht dazu führen, dass Akquisitionen und Übernahmen behindert werden. Wenn das übernehmende Unternehmen die Compliance-Verstöße des Targets unverzüglich nach Closing abstellt, soll sich dessen Vorgeschichte nicht negativ auf eine (künftige) vergleichsweise Einigung des übernehmenden Unternehmens auswirken.

Abschließend betonte die stellvertretende Justizministerin, dass Unternehmen nicht automatisch damit rechnen dürften, eine Einstellung des Verfahrens unter Auflagen (sog. "Non-Prosecution Agreement") oder einen Aufschub der Strafverfolgung unter Auflagen (sog. "Deferred-Prosecution Agreement") zu erreichen, sofern sie in der Vergangenheit schon einmal eine solche Verfahrensbeendigung erreicht hätten ("particular when they are frequent flyers").

Freiwillige Selbstanzeige, Kooperation und Monitorships

Das DoJ stellt in seiner neuen Richtlinie besonders heraus, dass eine freiwillige Selbstanzeige ein Zeichen für ein funktionierendes Compliance-Programm sei und für eine gute Compliance-Unternehmenskultur spreche.

Für alle Selbstanzeigen gelte folgendes Prinzip: Wenn keine strafschärfenden Faktoren vorliegen, werde das DoJ kein Schuldeingeständnis (sog. "Plea Agreement") fordern, falls das Unternehmen vollständig kooperiert sowie freiwillig unverzüglich das Fehlverhalten offengelegt und vollständig behoben hat. Auch werde das DoJ kein Monitorship verlangen, wenn das Unternehmen zum Zeitpunkt der Entscheidung ein effektives Compliance Programm eingeführt und getestet habe.

Die Rechnung sei einfach: Eine freiwillige Selbstanzeige könne einem Unternehmen Hunderte von Millionen Dollar an Bußgeldern, Strafen und Kosten ersparen. Schuldeingeständnisse könnten vermieden werden.

Die Kooperation des Unternehmens hänge auch davon ab, ob das Unternehmen rechtzeitig relevante Dokumente gesichert und offengelegt hat. Sofern etwa datenschutzrechtliche Vorschriften die Herausgabe von im Ausland befindlichen Dokumenten erschweren, müsse das Unternehmen die Beschränkungen nachweisen und alle verfügbaren Rechtsgrundlagen ermitteln, um die Informationen zu sichern und zügig herauszugeben. Darüber hinaus seien "angemessene Alternativen" für die Bereitstellung der angeforderten Informationen zu identifizieren.

Mit der Erfahrung aus über 30 DoJ Monitorships will das DoJ das Verfahren weiter verbessern. Auf der bisherigen Handreichung aufbauend benennt das Memorandum zehn Faktoren für die Analyse, ob ein Monitor notwendig ist. Zudem kündigte das DoJ an, dass es neue Leitlinien herausgeben werde, wie ein Monitor ausgewählt werden solle und wie die Arbeit des Monitors überwacht werden soll.

Nutzung privater Geräte und Compliance durch Vergütung

Bei der Bewertung eines Compliance-Programms soll einerseits Berücksichtigung finden, ob das Unternehmen effektive Prozesse eingeführt hat, die sicherstellen, dass relevante Unternehmensdaten auf privaten Geräten und Messenger-Apps (bspw. WhatsApp) gesichert und an das DoJ herausgegeben werden können und ob das Unternehmen ein Vergütungssystem eingeführt hat, das ein Compliance förderndes Verhalten belohnt bzw. ein Fehlverhalten sanktioniert.

Beispielsweise könnten sog. "Clawback"-Klauseln einen Anspruch auf Rückzahlung eines Teils der Vergütung vorsehen, wenn Compliance-Pflichtverletzungen nachgewiesen sind. Das DoJ kündigte an künftig auch prüfen zu wollen, ob Vergütungen ganz oder teilweise tatsächlich vom Unternehmen zurückgefordert werden, wenn ein Fehlverhalten festgestellt wird.

Auswirkungen

Die Rede und das Memorandum fügen sich in die Gesamtstrategie des DoJ seit Amtsantritt von Joe Biden ein: Die Anforderungen an Unternehmen für "favorable resolutions" werden weiter geschärft, damit das DoJ eigene Ermittlungen, insbesondere gegen Individualpersonen schneller und effektiver durchführen kann. Zugleich sollen die präventiven Compliance-Maßnahmen in Unternehmen gefördert und insbesondere deren Compliance-Abteilungen gestärkt werden, um intern den "Business Case" für rechtmäßiges Verhalten vereinfachen zu können.

In diese Richtung geht auch die seit März 2022 bestehende (neue) Policy des DoJ, künftig zu erwägen, ob Chief Executive Officer ("CEO") und Chief Compliance Officer ("CCO") eines Unternehmens schriftlich als Teil einer vergleichsweisen Beendigung erklären müssen, das Compliance System sei angemessen entworfen und effektiv, um Verstöße gegen bestimmte Gesetze aufzudecken und zu verhindern. Ein entsprechendes Erfordernis wurde dann auch sogleich Teil des Plea Agreements von Glencore.

Vor Abgabe einer solchen - weitreichenden - Erklärung wird sich anbieten, zuvor einen Review oder eine Zertifizierung durchzuführen oder eine anderweitige Expertise einzuholen, dass das Compliance Management System ("CMS") tatsächlich angemessen entworfen und wirksam ist. Um eine Aussage zur Wirksamkeit des CMS treffen zu können, wird wohl ein "testing" der Compliance-Prozesse und -Kontrollen erforderlich sein.

Das DoJ hat weitere Überarbeitungen angekündigt. Schon jetzt lässt sich aber eine klare Verschärfung bei der Strafverfolgung von Unternehmen und Individualpersonen erkennen. Die Auswirkungen auf Unternehmen, die geschäftliche Beziehungen zu den USA unterhalten, können erheblich sein.

Dr. Eike Bicker ist Partner bei Gleiss Lutz und leitet die Praxis Compliance & Investigations. Er berät als Rechtsanwalt weltweit Unternehmen bei Investigations- und damit verbundenen Rechtsstreitigkeiten.

Moritz Stilz LL.M. (Duke) berät als Rechtsanwalt im Bereich Gesellschaftsrecht und Compliance bei Gleiss Lutz in Stuttgart. Er ist sowohl in Deutschland als auch in New York als Rechtanwalt zugelassen und hat für mehr als vier Jahre in New York als US-Litigation Associate gearbeitet.

Beteiligte Kanzleien

Zitiervorschlag

DoJ kündigt Anpassung von Richtlinien an: US-Justiz verschärft Verfolgungspraxis für Unternehmen . In: Legal Tribune Online, 23.09.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49718/ (abgerufen am: 16.04.2024 )

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