Studie zur Tierschutzkriminalität in der Landwirtschaft: Mas­sen­hafte Tier­quä­le­reien ohne Folgen

Gastbeitrag von Johanna Hahn

18.07.2022

Eine noch unveröffentlichte Studie belegt: Quälereien an Schweinen, Rindern und Hühnern werden kaum sanktioniert. Wie sowohl das Tierschutzstrafrecht als auch die Strafverfolgungsbehörden versagen, erläutert Johanna Hahn.

Auf den ersten Blick klingt das deutsche Tierschutzstrafrecht richtig gut. Es gilt ohne Unterschied für Haustiere und sogenannte Nutztiere. Strafbar macht sich nach § 17 Nr. 1 Tierschutzgesetz (TierSchG), wer ein Tier ohne vernünftigen Grund tötet. Strafbar ist auch, wer Tieren aus Rohheit oder länger anhaltende erhebliche Schmerzen oder Leiden bereitet (§ 17 Nr. 2 TierSchG). Unter Schmerzen versteht das TierSchG körperliche Beeinträchtigungen, Leiden können auch "(tier-)seelisch" empfunden werden und sind insbesondere anzunehmen, wenn artgemäße Verhalten übermäßig eingeschränkt wird.

Dennoch häufen sich Berichte und Videos, die einen grausamen Umgang mit Tieren zeigen. Schweine, die ohne Betäubung geschlachtet werden, Rinder, die mit einer Seilwinde an den Beinen vom Transporter gezerrt und Hühner, die zu Zehntausenden auf engstem Rauem gehalten werden. 700 Millionen Tiere werden jedes Jahr in Deutschland geschlachtet. Man würde erwarten, dass regelmäßig Strafprozesse wegen Tierquälerei stattfinden.

Laut Strafverfolgungsstatistik für das Jahr 2020 wurden allerdings lediglich 1.027 Personen wegen Tierschutzdelikten verurteilt, davon 95 Prozent zu einer Geldstrafe. Dabei differenziert die Statistik nicht einmal nach privaten und gewerblichen Tierhaltern. Gerade mit Blick auf landwirtschaftlich genutzte Tiere lassen sich kaum Gerichtsurteile finden.

Gemeinsam mit der Strafrechtlerin Prof. Dr. Elisa Hoven bin ich im Rahmen einer empirischen Untersuchung auf Basis von Ermittlungsakten und Experteninterviews der Frage nachgegangen, wie Tierschutzkriminalität in der Landwirtschaft strafrechtlich verfolgt wird.

Gewerbliche Tierquälerei wird kaum verfolgt

Der Ergebnisse sind eindeutig: Eine Vielzahl der Straftaten an sogenannten Nutztieren wird nicht abgeurteilt. Die empirische Untersuchung legt nahe, dass das Tierschutzstrafrecht in der Praxis vielfach nicht oder nicht angemessen angewendet wird. Im Bereich Haltung, Transport und Schlachtung von sogenannten Nutztieren kommt es äußerst selten zu Anklagen oder zu Verurteilungen wegen Tierschutzkriminalität. Wenn Sanktionen verhängt werden, sind sie sehr gering. In nur einem der untersuchten rund 150 Verfahren wurde der Täter zu einer Freiheitsstrafe verurteilt – und diese wurde zur Bewährung ausgesetzt.

Tierquälerische Sachverhalte gelangen häufig schon gar nicht zur Kenntnis der Staatsanwaltschaft. Da die Opfer dieser Straftaten sich nicht äußern können, sind die Strafverfolgungsbehörden auf behördliche Kontrollen und die Initiative von Tierschutzorganisationen oder Privatpersonen angewiesen. Ein Tierhalter muss aber im Durchschnitt nur alle 17 Jahre mit einer Routinekontrolle rechnen. Häufig leiten Amtstierärzte strafbare Sachverhalte gar nicht an die Staatsanwaltschaften weiter.

Kommt es zu einer Strafanzeige, stellen die Staatsanwaltschaften die meisten Verfahren ein. Eine Kommunikation zwischen Staatsanwaltschaft und Veterinärbehörden findet selten statt; mit Tierschutzorganisationen, die Videomaterial zu tierquälerischen Sachverhalten eingereicht haben, wurde in den untersuchten Verfahren kein Kontakt für Rückfragen aufgenommen. Eigene Ermittlungsmaßnahmen der Staatsanwaltschaften, insbesondere Durchsuchungen der Haltungsanlagen, kamen kaum vor.

Im Vergleich zu Heimtieren werden bei der Verfolgung von Tierquälerei bei sogenannten Nutztieren offensichtlich deutlich andere Maßstäbe angelegt. Wird ein Hund bei Hitze mehrere Stunden im Auto zurückgelassen, findet eine strafrechtliche Ahndung statt; werden Rinder über Tage bei Hitze unter Verstoß gegen zahlreiche Vorschriften der Tiertransportverordnung transportiert, wird das Verfahren in der Regel ohne Ermittlungen eingestellt.

Schöne Worte, wenig greifbar

Die zentralen Gründe für die geringen Verurteilungszahlen wegen § 17 TierSchG liegen zum einen in der zurückhaltenden Anwendung des Tierschutzstrafrechts durch die Staatsanwaltschaften, zum anderen in der Ausgestaltung der Vorschrift selbst.

Die meisten Tatbestandsvarianten – Tiertötung ohne vernünftigen Grund, Tiermisshandlung aus Rohheit und die Zufügung von Leiden – werden kaum geprüft. Zudem stellen die Staatsanwaltschaften häufig übersteigerte Anforderungen, insbesondere an die Annahme von erheblichen Schmerzen oder Leiden.

In einem untersuchten Fall wurde das Strafverfahren eingestellt, obwohl Transporteure Puten getreten und mit Wucht in Transportkäfige geworfen hatten. Im Einstellungsbescheid hielt die Staatsanwaltschaft fest: "Im Hinblick auf die gefilmte Ausstallung kann es nach Einschätzung der Sachverständigen zwar sein, dass die Tiere beim Einsetzen in die Behältnisse etwa durch Flügelbrüche oder Hämatome erhebliche Schmerzen erlitten, dies sei aber anhand der Videoaufnahmen ebenso wenig sicher zu belegen wie daraus möglicherweise resultierende länger anhaltende erhebliche Leiden."

Die derzeitige Ausgestaltung des Tierschutzstrafrechts ermöglicht und begünstigt diese zurückhaltende Anwendung des Rechts. Die Strafnorm klingt schön, ist aber wenig greifbar. § 17 TierSchG ist denkbar weit gefasst und beinahe alle Tatbestandsmerkmale – "vernünftiger Grund", "Leiden", "erheblich", "länger anhaltend", "Rohheit" – bieten erheblichen Auslegungsspielraum.

"(…) dann würden alle Bauern pleitegehen."

Das geltende Recht verlangt den konkreten Nachweis von Schmerzen oder Leiden der Tiere im Einzelfall. Diese sind aber aus strukturellen Gründen oft nicht feststellbar: Verstöße in Haltungsbetrieben oder Schlachthöfen sind häufig nur auf Video oder in Dokumentationen der Veterinärbehörden festgehalten.

Hierdurch konnten in den untersuchten Verfahren zwar regelmäßig eine Reihe an Verwaltungsverstößen festgestellt werden, wie etwa eine Überbelegung von Ställen oder eine unterlassene Behandlung kranker Tiere. Schmerzen oder Leiden eines bestimmten Tieres sind in diesen Fällen aber kaum nachzuweisen. Die Tiere können meist nicht mehr begutachtet werden, da sie entweder bereits tot sind oder aus der Vielzahl der gehaltenen Tiere nicht herausgegriffen werden können. Dabei liegt bei diesen verwaltungsrechtlichen Verstößen nahe, dass dem Tier auch strafrechtlich relevante Schmerzen oder Leiden zugefügt werden.

Daneben sind auch politische Einflussnahme und Verflechtungen ein zentraler Grund für die zurückhaltende Anwendung des Tierschutzstrafrechts. Die Nähe zwischen den örtlichen Veterinärämtern und den Betrieben sowie der politische Druck auf einzelne Amtstierärzte tragen dazu bei, dass tierquälerische Sachverhalte nicht an die Staatsanwaltschaft abgegeben werden, sondern im Rahmen verwaltungsrechtlicher Anordnungen oder informell geregelt werden.

Viele der befragten Amtstierärzte gaben an, dass eine konsequente Ahndung von Verstößen gegen das Tierschutzgesetz als Gefahr für die Funktionsfähigkeit und Profitabilität der Landwirtschaft gesehen werde. Eine Landestierschutzbeauftragte äußerte hierzu: "Ich habe es auch erlebt, dass im Fall eines großen Landwirtschaftsfunktionärs, nachdem da auch Bilder veröffentlicht worden sind, sich der entsprechende Amtstierarzt im TV hinsetzt und mir sagt, "wenn ich alle Landwirte so kontrollieren würde, wie ich müsste, dann würden alle Bauern pleitegehen.""

Grundlegende Reform erforderlich

Soll das Tierschutzstrafrecht nicht länger bloß gut klingen, sondern auch gut anzuwenden sein, müssen die Vorschriften grundlegend neu gefasst werden. Die Strafbarkeit sollte nicht länger allein durch eine abstrakte Norm geregelt werden, sondern direkt an erhebliche Verstöße gegen verwaltungsrechtliche Vorschriften zum Schutz von Tieren anknüpfen und damit verwaltungsrechtsakzessorisch ausgestaltet sein. Die Verletzung wesentlicher Vorschriften zu Haltung, Transport und Schlachtung stellt eine so hohe Gefahr für das Tierwohl dar, dass insbesondere wiederholte und systematische Zuwiderhandlungen strafwürdig sind – unabhängig davon, ob konkretes Tierleid später nachweisbar ist.

Wer etwa zur Schlachtung defekte Betäubungsgeräte verwendet oder zu viele Tiere auf engem Raum hält, der gefährdet das Wohl der Tiere so massiv, dass sein Verhalten strafbar sein sollte. Ein solch konkretes Tierschutzstrafrecht ermöglicht eine deutlich schnellere und effektivere Handhabung durch Staatsanwaltschaften und Amtstierärzte: Aufwändige Sachverständigengutachten, mit denen rekonstruiert wird, ob und welche Tiere über welchen Zeitraum gelitten haben, erübrigen sich. Und die Verstöße sind klar zu belegen; Auslegungsspielräume wie bei § 17 TierSchG, die Einfallstor für sachfremde Interessen sein können, gibt es nicht.

"Verwaltungsrechtsakzessorisches Tierschutzstrafrecht" klingt vielleicht wenig sexy, hat aber eine echte Chance, einen Unterschied für die Tiere zu machen.

Autorin Johanna Hahn ist Doktorandin im Strafrecht und forscht zu Tierschutzkriminalität. Zuvor hat sie ihr Referendariat absolviert mit Stationen am Bundesverfassungsgericht und im Bundesministerium der Justiz.

Ihre gemeinsam mit Prof. Dr. Elisa Hoven verfasste Studie "Strafrechtliche Verfolgung von Tierschutzkriminalität in der Landwirtschaft – eine empirische Untersuchung" erscheint demnächst im Nomos Verlag (open access).

Zitiervorschlag

Studie zur Tierschutzkriminalität in der Landwirtschaft: Massenhafte Tierquälereien ohne Folgen . In: Legal Tribune Online, 18.07.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49070/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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