Das Referendariat im Überblick – Teil I

Die Gür­tel­tier-Safari

von Dr. Björn Kruse, LL.M. (Turin)Lesedauer: 6 Minuten
Was erwartet mich im Referendariat? Und inwiefern kann ich meine Ausbildung selbst gestalten? Björn Kruse gibt einen Überblick und Tipps. Im ersten Teil geht es um die Planung und die Zivilrechts-, Strafrechts- sowie Verwaltungsstation.

Das Jurastudium hält so einige Abschnitte parat, mit denen man sich erst auseinandersetzt, wenn sie unmittelbar bevorstehen. Die wenigsten Studenten dürften sich dabei gleich zu dessen Beginn detailliert mit allen inhaltlichen Anforderungen auseinandersetzen, die bis zum ersten Staatsexamen auf sie warten. Das ist auch in Ordnung. Ähnlich wenig Aufwand betreiben sie aber ebenso regelmäßig bei der Organisation des Referendariats. Das ist schade, denn der juristische Vorbereitungsdienst bietet viele Möglichkeiten, beispielsweise den Arbeitsmarkt kennenzulernen. Um diese zu nutzen, müssen angehende Referendare aber frühzeitig mit der Planung beginnen. Fragen zu den länderspezifischen Auswahlverfahren und Voraussetzungen sollen an dieser Stelle nicht beantwortet werden. Es geht vielmehr darum, Studenten und künftigen Referendaren einen Überblick über die Eigenheiten der verschiedenen Stationen zu geben, auf typische Fallstricke hinzuweisen und ihnen Tipps für ein möglichst bewusst genutztes Referendariat an die Hand zu geben, getreu dem Motto: "Hätte ich das mal früher gewusst!" Die Referendare treffen sich für gewöhnlich erstmals in der Einführungsveranstaltung. Nachdem sie der Mitarbeiter des Landgerichts über ihre Rechte und Pflichten aufgeklärt hat, folgt meist ein Überblick darüber, welche Ausbildungsschritte in den nächsten zwei Jahren auf sie zukommen. Die Anzahl der einzelnen Stationen mag einschüchtern, ist aber – eine gewisse Eigeninitiative vorausgesetzt – eine sehr gute Möglichkeit, in kurzer Zeit viele Bereiche der Juristerei kennenzulernen und nach den Jahren der Theorie den Weg in die Praxis zu wagen. 

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Vorbereitung - sich selbst den Chef aussuchen

Dabei ist Eigeninitiative das Stichwort. Denn die Einführungsveranstaltung ist häufig schon der letzte Warnschuss, sich um einen geeigneten Ausbildungsplatz in den einzelnen Stationen zu bemühen. Besser ist es, schon früher damit anzufangen. Immerhin erhält der Bewerber bereits einige Monate vor Beginn des Vorbereitungsdienstes eine Zusage mit dem genauen Datum des Dienstantritts. Wer sich bereits dann mit der zeitlichen Abfolge der Stationen und den entsprechenden Optionen beschäftigt, hat genug Zeit zu handeln. Wer zu lange wartet, bekommt regelmäßig durch das Landgericht einen bestimmten Einzelausbilder zugeteilt, der den Referendar parallel zu den Arbeitsgemeinschaften praktisch ausbildet. Mit genug Vorlauf können Referendare aber auch die Zuteilung zu einem bestimmten Einzelausbilder in der Zivilrechts- oder Strafrechtsstation beantragen. Gründe dafür können zum Beispiel eine bestimmte fachliche Ausbildungspraxis des Einzelausbilders oder schlichtweg Sympathie sein. Was spricht also gegen den Besuch des örtlichen Gerichts, um einen potentiellen Ausbilder initiativ anzusprechen? Dies klingt unorthodox, ist aber durchaus praktikabel. Auch die Wahl des Gerichts in der Zivilstation beeinflusst die Arbeit sehr: Ein Richter am Landgericht wird den Referendar in der Regel mit umfangreichen Akten – wegen des zusammenhaltenden Gummibandes im Juristenjargon "Gürteltiere" genannt – versorgen, wohingegen der Referendar beim Amtsgericht oftmals dünnere, dafür aber zahlreichere Aktenstücke zu bearbeiten haben wird. In der Strafrechtsstation können angehende Referendare hingegen aktiv die Zuteilung zur Staatsanwaltschaft oder zum Strafrichter beantragen. Die Unterschiede liegen auf der Hand: Die Staatsanwaltschaft bietet einen Einblick in die Ermittlungspraxis, wobei die Aufgabe dort regelmäßig in dem Entwurf von Anklagen liegt. Am Strafgericht sind dagegen die Beobachtung der Hauptverhandlungen und der Entwurf von Strafurteilen Schwerpunkte der Ausbildung.

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2/2: Zivilrechtsstation - einmal Richter sein

In aller Regel steht am Anfang der zweijährigen Ausbildungszeit die Ausbildung in Zivilsachen. Hier können auch Referendare ohne zivilrechtliche Vorliebe einen abwechslungsreichen Einblick in die Praxis bekommen. Die Verhandlungstage am Amtsgericht für Mietsachen haben beispielsweise durchaus Unterhaltungswert, wenn es etwa um Tätlichkeiten zwischen den Mietparteien oder Drogenhandel im Mietobjekt geht. Dispute zwischen wohlhabenden Wohnungseigentümern sowie Räumungsklagen gegen zahlungsunfähige Mieter bieten einen Querschnitt durch die Gesellschaft.  Abgesehen davon gewährleistet die wöchentliche Ausarbeitung von Urteilen einen guten Einstieg in die grundlegenden Formalien der zivilgerichtlichen Entscheidungsfindung sowie den Urteilsstil. Sofern es der Umfang der Akte zulässt, kann der Referendar auch aktiv in die Beweisaufnahme eingebunden werden. Dazu gehören zum Beispiel Zeugenvernehmungen, bei denen es teils um aus dem Studium bekannte Probleme geht, so etwa die Frage des Zugangs einer ordentlichen Kündigung. Mit den Zeugenvernehmungen ist auch ein Lerneffekt verbunden: Der Zeuge ist grundsätzlich ein schlechtes Beweismittel, da es nun einmal menschlich ist, Erinnerungslücken zu haben oder sich selbst etwas hinzuzudichten. Und am Ende muss dann eine Entscheidung in der Sache her, die auch wirklich einen Menschen betrifft - im Gegensatz zu den abstrakten Gutachten des Studiums etwas völlig Neues. Diese Erfahrung zieht sich durch das gesamte Referendariat.

Strafrechtsstation – erster Kontakt mit "Kleinganoven"

Die Arbeit am Strafgericht oder bei der Staatsanwaltschaft hat schon das ein oder andere Referandarsherz aufblühen lassen, selbst wenn die Rechtsmaterie im Studium unbeliebt war. Dies liegt wohl an den Streifenfahrten mit der Polizei, Besuchen beim Haftrichter sowie der Teilnahme als Zeuge an unangekündigten morgendlichen Hausbesuchen in Form von Durchsuchungen, die der Einzelausbilder ermöglichen kann. Neben dem Einblick in die Arbeit eines Staatsanwalts oder Strafrichters ist regelmäßig auch die Sitzungsvertretung für die Staatsanwaltschaft oder – je nach Gerichtsbezirk – die Amtsanwaltschaft vorgesehen. Dabei vertritt der Referendar die Staatsanwaltschaft im Rahmen der Hauptverhandlung, in der Regel in Fällen von Bagatellkriminalität. Schon die Vorbereitung auf den ersten Auftritt als "Repräsentant des Staates" kann zu Nervosität führen. Was mache ich, wenn der Angeklagte nicht kommt? Oder der Verteidiger einen Beweisantrag stellt? Und wie plädiere ich eigentlich und finde ein angemessenes Strafmaß? In vielen Fällen endet das Verfahren jedoch ganz unerwartet, beinahe schon unspektakulär, zum Beispiel durch Einstellung gegen Auflage. Auch das alles sind neue Eindrücke, die das Studium so nicht vermitteln kann. Dort kommen Studenten nur zu dem Ergebnis, dass sich A strafbar gemacht hat - oder eben nicht.

Verwaltungsstation – kommunal oder international?

"Verwaltungsstation" – ein Begriff, der nicht viel verspricht. Trotzdem kann die Verwaltungsstation ein Mehrwert in jeglicher Hinsicht sein. Die kommunalen Ausbildungsstätten können das Verständnis für Behördenstrukturen oder formelle Arbeitsabläufe fördern, was auch für die Examensklausuren entscheidend sein kann. Denn neben dem Gutachten zu materiell-rechtlichen Problemen ist in der Regel auch ein praktischer Teil zu entwerfen, der zum Beispiel auch ein Behördenschreiben zum Inhalt haben kann. In der Verwaltungsstation bieten sich in vielen Bundesländern auch das erste Mal internationale Standorte als Ausbildungsstation an. Der Weg vieler Bewerber führt regelmäßig über das Auswärtige Amt oder die Außenhandelskammer. Dabei lohnt es sich, auch einmal über Länder nachzudenken, die nicht unbedingt auf der Wunschliste standen. Diese Ausbildung in fernen Ländern mag wenig Examensrelevanz versprechen, bietet aber einen Einblick in transnationale Rechtsmaterien und erweitert in jedem Fall den Horizont. Auch hier ist vorausschauende Planung gefragt, da die Bewerbung bereits am Anfang des Referendariats eingereicht werden muss, so etwa für eine Stage beim Auswärtigen Amt. Zu beachten ist auch, dass Mindest- oder Höchstdauer von verschiedenen Ausbildungsstationen, gerade beim Auswärtigen Amt oder in Hessen beim Verwaltungsgericht, zu einer Stationsteilung oder gar einer Verschiebung der weiteren Stationsfolge führen. Für exotischere Ziele müssen angehende Volljuristen also unter Umständen mehr Arbeit auf sich nehmen. Zu Teil II über Anwalts- und Wahlstation sowie die Prüfungen geht es hier. Der Autor Dr. Björn Kruse, LL.M. (Turin) ist Rechtsanwalt bei Feigen Graf Rechtsanwälte in Frankfurt am Main. Sein Referendariat absolvierte er in Hessen am Landgericht Frankfurt am Main, die Verwaltungsstation verbrachte er in Teheran beim Auswärtigen Amt und die Wahlstation in Sydney.

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