Studie zur Punktevergabe im Zweiten Examen

Anderes Bun­des­land, bes­sere Note

von Marcel SchneiderLesedauer: 5 Minuten
Vorurteile, dass die Examina in manchen Bundesländern weniger streng  benotet würden als in anderen, halten sich hartnäckig. Eine Studie kommt nun zu dem Ergebnis, dass der Prüfungsort zumindest die Assessor-Note tatsächlich beeinflusst.

Wer das Erste Examen in Nordrhein-Westfalen (NRW) ablegt und für das  Zweite nach Bremen wechselt, darf sich im Vergleich zu den Kommilitonen, die ihr Referandarexamen bereits dort abgelegt haben, auf ein rund 1,6 Punkte besseres Ergebnis freuen. So lautet jedenfalls der Befund einer Studie, die in dieser Woche in der Zeitschrift für Rechtssoziologie erscheinen wird und LTO vorab vorliegt. Die Arbeit mit dem Titel "Hängen die Ergebnisse der zweiten juristischen Prüfung vom Examensort ab? Ein Vergleich von zehn Bundesländern" (Anm. d. Red.: Link erst mit Veröffentlichung der Studie aktiv) stellt auch für andere Bundesländer fest, dass sich ein Wechsel zwischen Erstem und Zweitem Examen durchaus signifikant auf die erzielte Note auswirken kann – und zwar positiv wie negativ. Zwei Jahre arbeiteten Prof. Dr. Lorenz Kähler, Dekan der Jurafakultät und Inhaber eines Lehrstuhls für Bürgerliches Recht an der Universität Bremen, und seine Wissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. Franziska Ritter mit Prof. Dr. Uwe Engel vom Sozialwissenschaftlichen Methodenzentrum der Universität an der Studie. Die Autoren verstehen ihr Werk als erste Grundlage und Anregung dafür, sich vertieft wissenschaftlich mit den bundesweiten Unterschieden in der juristischen Notenvergabe zu beschäftigen.

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Was ist dran am Länder-Vorurteil?

Anlass für ihre Studie gab § 5d Abs. 1 S. 2 Deutsches Richtergesetz (DRiG). Die Vorschrift verlangt, dass Prüfungsanforderungen und Leistungsbewertung der beiden Examina bundesweit einheitlich sein müssen. Die Zahlen sowohl für das Erste als auch für das Zweite Examen belegen aber alles andere als Einheitlichkeit: Von Bundesland zu Bundesland gibt es signifikante Unterschiede, was die Häufigkeit der Vergabe der  Prädikatsnoten "gut" und "vollbefriedigend" angeht; ähnlich verhält es sich bei den Durchfallquoten. Das nährt den seit langem bestehenden Verdacht, dass die Examina in den Bundesländern unterschiedlich streng bewertet werden, es also Bundesländer geben könnte, in denen gute Noten und damit das Prädikat "leichter" erlangt werden können. Wie aber soll ein bundesweiter Vergleich stattfinden, wenn die Länder die Juristenausbildung in ihren jeweils eigenen Gesetzen regeln und getrennt prüfen? Die Wissenschaftler aus Bremen stellen auf die von ihnen als Wechsler bezeichneten Kandidaten mit Erstem Examen ab, die für das Referendariat und das Zweite Examen in ein anderes Bundesland gehen. Kähler erklärt im Gespräch mit LTO dazu: "Diese Wechselgruppe ist deshalb interessant, weil sich ihre juristische Qualifikation durch den Ortswechsel wohl kaum verschlechtern dürfte." Die Kernthese der Studie laute deshalb: "Schneiden die Kandidaten der Wechselgruppe in der zweiten Prüfung in einem bestimmten Bundesland trotz gleicher Ausgangsnote anders ab als ihre Kommilitonen, die dort bereits ihre erste Prüfung abgelegt haben, deutet das auf Unterschiede in der Notenvergabe in der ersten juristischen Prüfung hin." Die Datengrundlage der Studie besteht aus den anonymisierten Noten der ersten und zweiten Prüfung von Kandidaten für die Jahre 2009 bis 2014 und dem Ort, an dem die jeweilige Prüfung abgelegt wurde. Alle Justizprüfungsämter wurden dafür angefragt, zehn Bundesländer machten die nötigen Angaben, aus denen die Forscher letztlich die Wechsler aussortierten und mit den Nichtwechslern verglichen. Immerhin: Je nach Betrachtungsweise der verwendeten Auswertungsmodelle wuchs die analysierte Menge auf bis zu 18.422 Personen (ohne durchgefallene Kandidaten) an. Und damit auf eine Fallzahl, die – wie die Autoren betonen – zwar keine exakten Vorhersagen ermögliche, aber doch eindeutige und eben wissenschaftlich belegbare Tendenzen erkennen lasse. So wie beispielsweise die, dass sich ein Wechsler von Hessen nach Rheinland-Pfalz im Vergleich zu seinen Kommilitonen, die dort bereits die erste Prüfung abgelegt haben, um rund einen Punkt im zweiten Examensergebnis verschlechtert.

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2/2: "Nennenswerte Unterschiede im Schwierigkeitsgrad der zweiten Prüfung"

Bei ihrer Auswertung kommen die Wissenschaftler zunächst zu der Erkenntnis, dass die Punktzahl des Ersten Examens ein zuverlässiger Indikator für das Abschneiden im Zweiten ist. Ihr Fazit: "Vermutungen, dass eine eher an der Theorie orientierte erste Prüfung nichts über die eher an der Praxis ausgerichtete zweite Prüfung aussagt, fehlt […] die Grundlage." Das wiederum bestärkt ihren Ansatz, auf die Wechsler als Indikator für die unterschiedliche Notenvergabe in den Bundesländern abzustellen. Zudem deuteten die Ergebnisse daraufhin, "dass es im Schwierigkeitsgrad der zweiten juristischen Staatsprüfung bundesweit nennenswerte Unterschiede gibt." Die Wissenschaftler unterscheiden dabei zwischen einem "Bundeslandeffekt" und einem "Wechseleffekt". Ersteren sprechen sie solchen Ländern zu, die im Zweiten Examen "signifikant von der mittleren Notenerwartung" abweichen, also im bundesweiten Vergleich generell eher schlechter oder eher besser benoteten. Letzterer ist definiert für den Fall, dass "statistisch signifikante Nettoeffekte" eines Bundeslandwechsels auftreten, Wechsler ihre Note also merklich durch die Wahl ihres Prüfungsorts beeinflussen (positiv wie negativ). "Diese Nettoeffekte sind deshalb so aussagekräftig, weil dabei der Einfluss der in der ersten Prüfung erzielten Note und Unterschiede in der Notenvergabe in der zweiten Prüfung ausgeschlossen werden", erläutert Kähler. "Wenn sich aber der Ort der ersten Prüfung auf die in der zweiten Prüfung durchschnittlich zu erwartende Note auswirkt, ist eine bundesweit einheitliche Notenvergabe in Frage gestellt."

Wer aus BaWü kommt, verbessert sich immer

Beispiele gefällig? Wer aus Baden-Württemberg wechselt, kann immer ein besseres Ergebnis erwarten als die Kommilitonen, die bereits im Zielland die erste Prüfung abgelegt haben. Bei einem Wechsel nach Bayern um rund 0,5 Punkte, beim Umzug nach Brandenburg sogar um etwas mehr als 0,8 Punkte. Wer umgekehrt aus Brandenburg nach Baden-Württemberg kommt, macht rund 0,8 Punkte minus im Vergleich zu den dort Bleibenden. Einen entsprechenden Verlust von 0,3 Punkten hat zu beklagen, wer von Hamburg nach Schleswig-Holstein wechselt und auch bei einem Wechsel von Sachsen-Anhalt nach Sachsen gehen rund 0,7 Punkte verloren. Am meisten verliert bei den ausgewerteten 10 Bundesländern im Vergleich zu seinen Kommilitonen, wer aus Hessen nach Baden-Württemberg wechselt, nämlich sogar etwas mehr als satte 1,1 Punkte. Die größten Punktegewinner sind hingegen die eingangs erwähnten Nordrhein-Westfalen, die nach Bremen wechseln und sich über 1,6 Punkte Zuwachs im Vergleich zu den dort Verbleibenden freuen dürfen. Überhaupt ist für jeden Wechsler in den nördlichen Stadtstaat zu erwarten, dass er sich verbessert. So raten die Autoren der Studie "denjenigen Bundesländern, für die der Wechseleffekt besonders groß ist", zu prüfen, "inwieweit die Bewertungen der Staatsprüfungen verändert werden sollten, um eine bessere Vergleichbarkeit herzustellen." Der in Bremen lehrende Kähler sagt im Gespräch mit LTO, dass dies in "seinem" Bundesland in der Diskussion der dort zu verzeichnenden, vergleichsweise hohen Durchfallquote zumindest ein Grund sei, nicht milder zu bewerten.

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