Reform des Jurastudiums

Bald nur noch Rechts­kunde

von Roland SchimmelLesedauer: 6 Minuten
Die Gewichtung des Schwerpunktbereichs im Examen zu verringern hält Roland Schimmel für unklug. Seines Erachtens hat das juristische Studium schon heute nicht mehr viel mit Wissenschaft zu tun - wie soll es da erst nach der Reform werden?

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Im November 2016 hat die Justizministerkonferenz (JuMiKo) den Bericht ihres Koordinierungsausschusses (KOA) zur Reform des Jurastudiums abgesegnet. Danach sollen der Zeit- und Prüfungsaufwand für das Schwerpunktstudium auf 16 Semesterwochenstunden (SWS) beziehungsweise drei Prüfungsleistungen reduziert werden. Auch soll die Note nur noch zu 20 anstatt wie bisher mit 30 Prozent in das Ergebnis der ersten juristischen Prüfung zählen. Zudem ist geplant, den Pflichtstoff in beiden Staatsexamen zu reduzieren. Im Herbst 2017 soll der KOA wieder an die JuMiKo berichten und bis dahin Kritik und Anregungen aus Lehre und Praxis berücksichtigen. Genug Zeit, um Experten zu Wort kommen zu lassen. Prof. Dr. Roland Schimmel ist Professor für Wirtschaftsprivatrecht und Bürgerliches Recht an der University of Applied Sciences Frankfurt am Main. Er ist Examensprüfer und hat eine Reihe von Publikationen zum Thema der juristischen Ausbildung verfasst, so etwa in der Reihe der LTO-Prüferseufzer. Sein Steckenpferd ist das Wissenschaftliche Arbeiten – und damit hat das Jurastudium seiner Auffassung nach bereits jetzt nicht mehr viel zu tun. Deshalb betrachtet er die Reformvorschläge umso kritischer:

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2/3: Reformen der juristischen Ausbildung – selten und übersichtlich

Die Reformdebatte um die juristische Ausbildung ist etwa so alt wie die Juristenausbildung selbst, möglicherweise älter. Niemand würde sich wundern, wenn Archäologen irgendwann Diskussionsbeiträge entdeckten, die noch in Keilschrift abgefasst sind. Die tatsächliche Veränderungsgeschwindigkeit dagegen ist glazial, optimistisch formuliert: Die bisherigen Reformen vollzogen sich stets in kleinen Schritten und großen Abständen. Dagegen wäre wenig einzuwenden, wenn es sich beim Studium des Rechts um eine gute oder sogar sehr gute Ausbildung handelte, an der kaum Kritik geübt würde. Aber kleine Schritte sind besser als keine Schritte – solange die Richtung stimmt. Nur schwerlich lassen sich Einwände formulieren, wenn es um länderübergreifend möglichst ähnliche Pflichtstoffkataloge geht. Und den Stoff für das Examen mal ein wenig zu entschlacken, dürfte ebenfalls konsensfähig sein. Hier zeigen sich allerdings auch Probleme, meist nämlich auf den zweiten Blick, wie die einigermaßen kontroverse Forderung nach der Streichung des Internationalen Privatrechts belegt.

Warum den Schwerpunkt nicht gleich abschaffen?

Werfen wir im Folgenden einen Blick auf das andere Hauptreformvorhaben, nämlich die 20-prozentige Gewichtung an der Gesamtnote, die das Schwerpunktstudium künftig ausmachen soll. Das hört sich nicht so spektakulär viel weniger an als die derzeitigen 30 Prozent, mit der der universitäre Teil in die Gesamtnote einfließt. Gleichwohl ist das allemal ein Schritt in die falsche Richtung. Mag damit auch die vor drei Jahren erstmals erhobene Forderung nach der gänzlichen Abschaffung der Schwerpunktbereiche vom Tisch sein – nur noch 20 Prozent sind keine gute Idee. Denn auf einen Prüfungsbestandteil, der ein Fünftel der Gesamtnote zählt, werden Studenten erwartbarerweise weniger Zeit, Mühe und Herzblut aufwenden - und auf die verbleibenden 80 Prozent entsprechend mehr. Anders gesagt: Ins Zentrum dessen, was gelernt und geübt wird, wird noch stärker das Abarbeiten von fünfstündigen Klausuren treten. Das wiederum verträgt sich nur schlecht mit dem Wissenschaftlichkeitsanspruch des juristischen Studiums. Allenthalben wird doch immer wieder betont, das universitäre Studium des Rechts sei eben keine bloße Rechtskunde, sondern wissenschaftlich angelegt.

Das Jurastudium – doch gar nicht so wissenschaftlich

Aber vielleicht fallen ja Anspruch und Wirklichkeit auseinander. Dann wäre die Verringerung des Gewichts der Schwerpunktbereichsprüfung nur konsequent. Womöglich kann die heutige juristische Ausbildung den Anspruch der Wissenschaftlichkeit gar nicht einlösen. Wer sich an seine ersten Studiensemester an einer deutschen Massenfakultät erinnert, sieht noch das Bild eines Hörsaals mit 500 Studenten vor sich. Die Zeiten der Videoübertragung in einen zweiten, ebenso großen Hörsaal sind immerhin vorläufig vorbei. Doch war das ein wissenschaftlicher Dialog, den der genervte Professor da mit seinen Hörern geführt hat? Die Zahlen hatten sich glücklicherweise nach wenigen Semestern halbiert: Auf die Juristenschwemme früherer Zeiten haben die Studieninteressierten reagiert, die Absolventenzahlen sinken seit Jahren. Der Unterricht konnte damit persönlicher werden. Schade nur, dass etwa zu dieser Zeit das Gros der Studenten das Vertrauen in die Universität verloren hatte, kaum noch anwesend war und stattdessen bei einem kommerziellen Repetitor den examensrelevanten Stoff nebst prüfungsverdächtiger Streitstände und Sachverhalte auswendiglernte – und damit alles andere als wissenschaftlich arbeitete. Und in den Grundlagenfächern, die seriös dafür herhalten könnten, dass es sich beim Jurastudium nicht um stumpfe Rechtskunde handle, sondern um eine Wissenschaft, die sich ihrer Verbindungen zu Geschichte, Soziologie, Wirtschaft und mehr bewusst ist, hatte die Abstimmung mit den Füßen schon ein wenig früher stattgefunden: "Ist das examensrelevant?" – "Nein, aber… So bleiben Sie doch hier! Dann gehen Sie eben…"

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3/3: Schwerpunkt als Ausgleich zum Auswendiglernen

Klar, so läuft das nicht immer und nicht überall. Aber doch meistens und meistenorts. Ob man die Examens-, Noten- und letztendlich Arbeitsmarktfixierung der Studierenden nun als Pragmatismus bezeichnet oder als kurzsichtige Dummheit, ist nur eine Frage des Etiketts. Sie wird sich nicht ändern. Gerade deshalb braucht es einen Schwerpunktbereich, der etwas zählt. Denn dort sind die Chancen am größten, dass Studierende neben dem Klausurenpauken lernen, dass rechtswissenschaftliches Arbeiten andere Arbeitstechniken und Talente erfordert. Und dass es bestenfalls Erfolgserlebnisse liefert. Und Erkenntnisse. Meinetwegen auch Erfolgserlebnisse in Form von guten Noten. Warum denn auch nicht?

Konkurrenz durch Bologna-Abschlüsse nicht ohne Grund

Man stelle sich einmal – rein hypothetisch – vor, es gebe juristische Ausbildungen, die mit dem Studium der Rechtswissenschaften auf einem Markt für rechtskundige Absolventen konkurrierten. Wenn es sie gäbe, würden sie vermutlich Bachelor und Master hervorbringen. Angeboten würden sie teils an Universities, teils an Universitäten. Und wenn es sie gäbe, würden womöglich seit Jahren die Absolventenzahlen steigen. Vielleicht wären in diesen Ausbildungsgängen die Kursgrößen kleiner, vielleicht wären die Rechtswissenschaften mit Nachbarwissenschaften verzahnt (so etwa im – natürlich nur rein hypothetischen - Studium des Wirtschaftsrechts). Und ganz sicher würden am Ende Bachelor- und Masterarbeiten stehen, für die Kandidaten ein individuelles Thema zwei oder drei oder vier Monate bearbeiten müssten, anstatt sich in fünfstündigen Klausuren mit dem Absondern auswendiggelernten Wissens ohne jeglichen Literaturzugriff herumzuschlagen. Vielleicht würden die Arbeitgeber, so sie sich denn für wissenschaftlich ausgebildete Absolventen interessierten und nicht so sehr für Subsumtionsautomaten, diesen Kandidaten eine Chance geben. Und vielleicht würden sich die Studierenden der Rechtswissenschaft beim Gesetzgeber bedanken, weil er ihnen einen Bärendienst erwiesen hat. Man wird sehen. Vielleicht übernimmt auf längere Sicht das universitäre Studium der Rechtswissenschaft die Fußabtreterrolle, die man lange Zeit den (ehemaligen) Fachhochschulen zugewiesen hat.

Das Lustigste zum Schluss

Vermutlich kommt die Reform ungeachtet der vielfach vorgetragenen Kritik. Allerdings werden uns die derzeit geltenden Studienordnungen noch eine Weile begleiten. Aus Gründen des Vertrauensschutzes werden diejenigen Studierenden, die unter Geltung der bisherigen Regeln ihr Studium aufgenommen haben, auch nach diesen Regeln geprüft werden – oder wenigstens eine ausreichend großzügige Übergangsfrist eingeräumt bekommen müssen. Man darf also davon ausgehen, dass das reformierte Jurastudium erst in etlichen Jahren in der Prüfungspraxis ankommen wird. Nicht zuletzt die Fachbereiche werden dafür Sorge tragen müssen, dass es für alle Materien, die auch nach einer auslaufenden Prüfungsregelung noch einschlägig sind, ein Lehrangebot gibt. Auch bei Juristenausbildungsgesetzen gilt: Das Beste kommt zum Schluss. Viel Spaß bei der Lektüre der Übergangsvorschriften.

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