Zu wenig Netto vom Brutto

"Referendaren stehen erhebliche Nachzahlungen zu"

Interview mit Nils NeumannLesedauer: 6 Minuten
Ach ja, die armen Rechtsreferendare. Mit dem Beamtenstatus ist es längst vorbei und die Unterhaltsbeihilfe reichlich knapp bemessen. Obendrein knöpft man ihnen auch noch zu Unrecht Rentenversicherungsbeiträge ab, meint Nils Neumann im Gespräch mit LTO. Wenn er damit Recht hat, könnten fertigen Referendaren 1.000 Euro und mehr an Nachzahlungen zustehen.

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LTO: Herr Neumann, in letzter Zeit hört man so oft davon, dass Referendare zu Unrecht geschröpft werden, dass man glatt die Übersicht zu verlieren droht. Erläutern Sie doch bitte zunächst einmal, worum es in Ihrem Verfahren vor dem Sozialgericht (SG) Berlin geht. Neumann: Das ist im Grunde recht einfach. Als Referendar erhält man eine Unterhaltsbeihilfe, welche von den Landesämtern für Besoldung und Versorgung (LBV) gezahlt wird. Während einiger Stationen – typischerweise sind dies die Anwalts- und die Wahlstation – besteht aber außerdem die Möglichkeit, sich von seinem Ausbilder bezahlen zu lassen. Die Ausbilder behandeln die Referendare dabei wie normale Arbeitnehmer. Das heißt, sie führen von ihrer Vergütung Sozialversicherungsbeiträge ab, und zwar sowohl den Arbeitgeberanteil, den sie ja ohnehin selbst leisten müssen, als auch den Arbeitnehmeranteil, der gleich von der Vergütung des vermeintlichen Arbeitnehmers einbehalten und mit abgeführt wird. Beide Anteile betragen jeweils etwa 20 Prozent. Dementsprechend weniger Geld kommt dann also beim Referendar an.

"Die Tätigkeit beim Ausbilder ist kein normales Arbeitsverhältnis"

LTO: Inwiefern ist diese Praxis nun rechtswidrig? Neumann: Zum einen ist umstritten, wer die Sozialbeiträge überhaupt schuldet. Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg hat entschieden, dass die Länder sämtliche Sozialbeiträge zahlen müssen – also auch die, die auf die vom Ausbilder gezahlte Vergütung entfallen (Urt. v. 28.11.2012, Az. L 2 R 16/10, Anm. d. Red.). Das Verfahren ist mittlerweile beim Bundessozialgericht angekommen (Az. B 12 R 1/13 R, Anm. d. Red). Nils NeumannDas LSG Hamburg geht davon aus, dass die Arbeit, welche ein Referendar bei seinem Ausbilder leistet, nicht im Rahmen eines "ganz normalen" Arbeitsverhältnisses erfolgt, sondern Bestandteil der Referendarsausbildung ist. Das halte ich für richtig. Die Ausbildungsstelle übernimmt sozusagen einen Teil der Ausbildung, die aber weiter unter der Schirmherrschaft des Landes stattfindet. Deshalb ist auch das Land, beziehungsweise das LBV, Schuldner der Sozialversicherungsbeiträge, und nicht der Stationsausbilder. Das ist für die Referendare aber im Grunde nebensächlich. Denen kann ja egal sein, ob das LBV oder der Ausbilder die Sozialbeiträge von ihrer Vergütung abführt. Die viel spannendere Frage aus Referendarssicht ist die, ob ein bestimmter Anteil der Sozialversicherungsbeiträge, nämlich der Beitrag zur Rentenversicherung, überhaupt von ihrer Vergütung abgezogen werden muss. Das ist nach meiner Ansicht zu verneinen, und zwar im Wesentlichen mit dem schon genannten Argument: Die Arbeit beim Ausbilder ist kein klassisches Arbeitsverhältnis, sondern Bestandteil der Referendarsausbildung. Für die übrigen Bezüge aus der Ausbildung, also die Unterhaltsbeihilfe, ist aber gesetzlich geregelt, dass diese rentenversicherungsfrei sind. Das muss dann genauso für die Vergütung gelten, welche man vom Ausbilder bezieht.

"Das BSG hat schon 1978 klar im Sinne der Referendare entschieden"

LTO: Mit dieser Ansicht stehen Sie aber ziemlich alleine da, oder? Immerhin ist die Praxis ja durchweg eine andere. Neumann: So alleine auch wieder nicht. Das Bundessozialgericht hat genau diese Frage schon 1978 abschließend und in meinem Sinne entschieden (Urt. v. 31.05.1978, Az. 12 Rk 25/77, 12 Rk 49/76 und 12 Rk 48/76, Anm. d. Red.). Aus den damaligen Entscheidungen geht hervor, dass nur dann Rentenversicherungsbeiträge auf die Referendarsvergütung abzuführen sind, wenn die Tätigkeit, für die der Referendar die Vergütung bezieht, klar von seiner eigentlichen Ausbildung getrennt werden kann. Das wäre zum Beispiel dann der Fall, wenn jemand während der Zivil- oder Verwaltungsstation nebenbei einen Tag pro Woche in einem Restaurant oder meinetwegen auch in einer Kanzlei jobbt. Das ist dann zwar unter Umständen auch juristische Arbeit, aber nicht Teil seiner Ausbildung in einer Station. Der Referendar ist insbesondere auch nicht verpflichtet, einer solchen Tätigkeit nachzugehen.

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2/2: "Die Krankenkassen setzen darauf, die Referendare abwimmeln zu können"

LTO: Wenn die Angelegenheit schon höchstrichterlich geklärt ist, wieso hält sich dann niemand daran? Neumann: Gute Frage, die habe ich meiner Krankenkasse auch gestellt. LTO: Wieso denn Ihrer Krankenkasse? Müssten Sie sich nicht eigentlich an die Rentenversicherung wenden? Neumann: Nein. Sämtliche Sozialbeiträge zahlt der Arbeitgeber an die Krankenkasse, diese verteilt sie dann an die übrigen Institutionen weiter, unter anderem auch an die Rentenversicherungen. Für den Referendar ist daher die Krankenkasse der richtige Anspruchsgegner, wenn er seine Rentenversicherungsbeiträge zurück haben will. LTO: Alles klar. Ich hatte Sie unterbrochen… Neumann: Wie gesagt, hatte ich meine Krankenkasse unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Rückzahlung aufgefordert. Darauf geschah zunächst fast ein Jahr lang gar nichts, so dass ich eine Untätigkeitsklage erheben musste. Daraufhin schickte man mir schließlich einen ablehnenden Bescheid, der zwar lehrbuchmäßig erläuterte, was ein Arbeitnehmer sei, sich mit der von mir zitierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aber beinahe gar nicht auseinandersetzte.

"Gegenüber den Ausbildern wird gezielte Desinformation betrieben"

LTO: Haben die Ausbilder an diesem Missstand nicht eine gewisse Mitschuld? Immerhin sind sie es, die die Rentenversicherungsbeiträge, ohne Not, an die Krankenkassen überweisen. Neumann: Das hat wohl mehrere Gründe. Erstens wird hier von den Ausbildungsbehörden gezielte Desinformation betrieben. Wenn man sich auf deren Internetseiten umschaut, wird dort wie selbstverständlich davon gesprochen, dass die Referendare mit ihren Ausbildern selbständige Beschäftigungsverhältnisse eingingen, die rentenversicherungspflichtig sind. Zweitens wollen die Unternehmen sich wohl nicht dem Risiko aussetzen, dass möglicherweise doch mal ein anderslautendes Urteil ergeht und sie dann nachträglich Rentenversicherungsbeiträge leisten müssen und sich den Arbeitnehmeranteil von den Referendaren nicht zurückholen können. Drittens verlangt das Land von den Ausbildern bei Übernahme eines Referendars, das LBV von allen Sozialabgaben, die möglicherweise nachträglich noch zur Last fallen könnten, freizustellen. Auch das übrigens zu Unrecht. Es gab mal eine Kanzlei, die sich geweigert hat, die Erklärung zu unterzeichnen, daraufhin hat sich die Ausbildungsstelle geweigert, den Referendar dorthin zuzuweisen. Der Referendar hat geklagt – und gewonnen (Verwaltungsgericht München, Beschl. v. 16.05.2011, Az. M 5 E 11.1830, Anm d. Red.). Die Erklärung wird natürlich trotzdem weiter verlangt. Trotz alledem gibt es auch Kanzleien, die sich entscheiden, einfach keine Rentenversicherungsbeiträge abzuführen. Dort hat man als Referendar dann mehr Netto vom Brutto.

"Referendaren stehen unter Umständen mehr als 1.000 Euro an Nachzahlungen zu"

LTO: Wie viel könnten Referendare denn nun zurückbekommen? Neumann: Das kommt natürlich ganz auf die Höhe der Vergütung an. Es ist aber nicht unüblich, dass ein Referendar im Laufe seiner Anwaltsstation vom Ausbilder 10.000 Euro oder sogar noch mehr bekommt. Der Arbeitnehmeranteil an der Rentenversicherung beträgt 9,45 Prozent, das sind dann also schon beinahe 1.000 Euro. Hinzu kommen vier Prozent Zinsen ab Ablauf des Monats, in dem der Antrag auf Rückzahlung gestellt wurde. Und in der Wahlstation beziehen manche ja auch eine Vergütung. LTO: Das Geld wird sicher der eine oder andere Referendar einfordern wollen. Wie muss man da am besten vorgehen? Neumann: In der Theorie müsste man einfach einen Antrag nach § 26 SGB IV bei seiner Krankenkasse stellen, die daraufhin die Beiträge zurückzahlt. In der Praxis wird es eher so wie bei mir laufen, sprich: Die Krankenkasse reagiert erst ewig gar nicht und lehnt danach eine Rückzahlung ab. Dann bleibt nur der Weg über die Gerichte, den ich ja selbst zurzeit beschreite. Ich hoffe natürlich, dass das SG Berlin in meinem Sinne entscheiden und damit auch ein Präjudiz für künftige Verfahren schaffen wird. Vielleicht zeigen sich die Ausbildungsbehörden dann kooperativer. Wenn ich allerdings bedenke, dass schon heute die klare Rechtsprechung des BSG eher wenig Beachtung findet, habe ich da so meine Zweifel. LTO: Herr Neumann, wir danken Ihnen für das Gespräch. Nils Neumann ist Rechtsanwalt und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dem Arbeitsrecht. Das Gespräch führte Constantin Baron van Lijnden.

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