Sitzungsdienst bei der Staatsanwaltschaft

Zerfetzte Roben und zerfahrene Reden

von Janina SeyfertLesedauer: 5 Minuten
Einige Referendare freuen sich schon vor Beginn ihrer Ausbildung darauf, anderen läuft es beim Gedanken daran eiskalt den Rücken herab: die Sitzungsvertretung bei der Staatsanwaltschaft. Hier gilt es erstmals, eigenständig und ohne fremde Hilfe in der "echten" Justizwelt zu agieren. Horrorgeschichten von überforderten Anfängern gibt es genug. Ein paar Tipps, um die gängigsten Fehler zu vermeiden.

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Diese Autorin kann sich noch gut an eine ihrer ersten Terminsvertretungen erinnern: Zugfahrt Richtung Amtsgericht, das Handy klingelt und eine aufgebrachte Geschäftsstellenbeamtin fragt, wo ich den stecke, schließlich sollte die erste Verhandlung bereits angefangen haben. Das hatte am Vortag noch anders geklungen: da hatte der Ausbilder mitgeteilt, dass die Verhandlung ausfallen werde – ein Irrtum, wie sich herausstellt. Schuld bin ich also nicht an der Verspätung, aber zur Nervosität trägt das terminliche Tohuwabohu allemal bei. Der Angeklagte nebst Verteidiger und Angehörigen wartet vor dem Saal; ein Blick auf die abgehetzte Vertreterin der Anklage verrät ihnen, dass sie es hier nicht gerade mit einem abgefeimten Profi zu tun haben. Der Eindruck verbessert sich auch mit Überstreifen der Robe nicht: Seit die Leihroben für Referendare nach jedem Sitzungstag wieder an der Dienststelle abgegeben werden müssen, riechen sie zwar nicht mehr so nach Zigarettenrauch und Frittierfett, aber das faustgroße Loch im rechten Ärmel entgeht den hämischen Blicken der Anwesenden dennoch nicht. Und auch die Verhandlung läuft nicht wirklich nach Plan. Dass man den Beweisantrag des Verteidigers auch unkommentiert hätte lassen dürfen? Tja, das wäre natürlich gut zu wissen gewesen. Eine Philosophin wäre die Autorin dann zwar immer noch nicht, aber immerhin um eine Blamage ärmer.

Mit System durch die Sitzung

Ein Rezept gegen falsche Terminauskünfte und löchrige Roben hat auch Dr. Lasse Dinter, Autor des Lehrbuchs "Die Staatsanwaltsklausur – Prüfungswissen für das Assessorexamen", nicht. Er empfiehlt jedoch, sich vor dem Sitzungsdienst eine "Plädoyerskizze" zu machen, die während der Sitzung fortlaufend ergänzt wird. Denn zur Vorbereitung auf das in freier Rede zu haltende Plädoyer bleibt sonst kaum Zeit – gerade in Strafrichtersachen werden die Verfahren häufig wie am Fließband abgearbeitet. So sei es sinnvoll, bereits vorab in eine Tabelle die Tatbestandsmerkmale der angeklagten Delikte einzutragen, um dann während der Sitzung in einer Spalte daneben die Aussagen der Zeugen zum jeweiligen Merkmal zu notieren. Gleiches empfiehlt Dinter für die späteren Ausführungen zum Rechtsfolgenausspruch. Da Referendare hier Neuland beschreiten, sollten sie besonders auf ein systematisches Vorgehen achten: Welchen Strafrahmen sieht das Gesetz vor? Ist dieser vielleicht zu verschieben? Ein häufig anzutreffendes Problem sei etwa der minder schwere Fall der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Strafgesetzbuch (StGB), und die  damit zusammenhängende Möglichkeit der Umwandlung der Freiheits- in eine Geldstrafe nach § 47 Abs. 2 StGB. Bei den allgemeinen Strafzumessungsgesichtspunkten (§ 46 StGB) sind im Plädoyer alle Aspekte zu nennen, die für und gegen den Täter sprechen, allen voran etwaige Vorstrafen des Angeklagten, ein Geständnis und die Folgen der Tat. Der Sitzungsvertreter hat in seinem Plädoyer anhand dieser Aspekte eine tat- und schuldangemessene Strafe zu beantragen. Bei einer Geldstrafe ist während der Verhandlung alles Relevante zum Einkommen des Täters zu notieren (Stichwort: "bereinigtes Nettoeinkommen"), um die Höhe des Tagessatzes zu bestimmen.

Gesamtstrafenbildung und Nebenentscheidungen

Dass Juristen nicht gerne rechnen, mag zwar in vielen Fällen zutreffen, doch kommen sie auch im Strafprozess nicht immer drum herum. Bei mehreren Taten ist aus den einzelnen Strafen nach § 54 StGB eine Gesamtstrafe zu bilden, indem man die höchste, die sogenannte Einsatzstrafe, um die weiteren Strafen erhöht, wobei die Gesamtstrafe unter der Summe der Einzelstrafen liegen muss. Wünschenswert sei es hier, so Dinter, dass der Referendar in seinem Schlussvortrag auch die Einzelstrafen benennt und nicht nur die Gesamtstrafe vorträgt. Es kann auch passieren, dass nachträglich eine Gesamtstrafe zu bilden ist, wenn die Tat zeitlich so lange zurückliegt, dass sie in einem vergangenen Verfahren bereits hätte abgeurteilt werden können, § 55 StGB. Keine ganz einfache Konstellation, für die Dinter eine Übersicht der Universität Würzburg zur Vorbereitung empfiehlt. Häufig würden Referendare sowohl in Klausuren, als auch in der Verhandlung, die Beantragung von Nebenentscheidungen vergessen. Besonders oft sei beispielsweise an die Entziehung der Fahrerlaubnis und Sperre, §§ 69, 69a StGB oder an die Einziehung von Gegenständen nach § 74 StGB zu denken. Zu diesen beiden Klassikern lohnt sich die vertiefte Auseinandersetzung, damit beispielsweise nicht versehentlich die Einziehung eines sogenannten Beziehungsgegenstands beantragt wird.

Tipps und No-Gos

Ganz allgemein gilt: Als Referendar ist man unerfahren. Dinter ermutigt deshalb jeden Sitzungsvertreter, die Unterbrechung der Verhandlung nach § 228 StPO zu beantragen, wenn er oder sie auf die Schnelle nicht weiter weiß. Für den Notfall solle man die Nummer seines Ausbilder und des Eildienstes dabei haben. Auf einige besondere Verfahrenssituationen könne man sich aber vorbereiten, da sie immer wieder auftreten. Wenn der Angeklagte zum Beispiel vor Gericht gar nicht erst erscheint, kann der Referendar unter den entsprechenden Voraussetzungen den Erlass eines Strafbefehls (§ 408a StPO), die Vorführung oder als ultima ratio einen Haftbefehl (§ 230 StPO) beantragen. Die meisten Fehler, die Referendare in der Sitzungsvertretung machen, lassen sich zudem wieder ausbügeln. In Teufels Küche kommen sie allerdings dann, wenn sie der Staatsanwaltschaft genau diese Möglichkeit aus der Hand nehmen. Einer Einstellung oder einem Rechtsmittelverzicht sollten sie daher grundsätzlich nur nach Absprache mit ihrem Ausbilder zustimmen. Nicht zu unterschätzen sei auch die Bedeutung regionaler Gepflogenheiten. Ob man für die Verlesung der Anklage und den Schlussvortrag aufsteht oder sitzen bleibt, sei von Gerichtsbezirk zu Gerichtsbezirk unterschiedlich, und sollte am besten beim Ausbilder erfragt werden. Auch sehen es einige Richter als unhöflich an, wenn sich der Referendar vor der Sitzung nicht vorstellt. Angemessene Kleidung sollte sich eigentlich von selbst verstehen, sei jedoch trotzdem kurz erwähnt. Herren tragen unter der Robe ein weißes Hemd, Damen eine weiße Bluse. Für die Herren ist zusätzlich eine weiße Krawatte Pflicht, die man notfalls auch für einen geringen Betrag in gut sortierten Bastelläden erhält. Und manchmal lohnt sich auch die Anprobe der geliehenen Robe – dann weiß man zumindest, was in optischer Hinsicht auf einen zukommt.

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