OVG NRW zu mündlicher Prüfung

Durch­ge­fallen wegen fünf Minuten Ver­spä­tung

von Marcel SchneiderLesedauer: 6 Minuten
Ihr Prüfungsgespräch begann viertel vor zwölf, zehn vor zwölf stand sie vor verschlossenen Türen und war damit im letzten Versuch durchs Examen gefallen: Zum strittigen Fall einer Bielefelder Examenskandidatin liegt nun das OVG-Urteil vor.

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen hat die Berufung einer Examenskandidatin gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Minden zurückgewiesen (Urt. v. 20.06.2017, Az. 14 A 2441/16). Die Vorinstanz hatte den Bescheid über das endgültige Nichtbestehen der staatlichen juristischen Pflichtfachprüfung für rechtmäßig erklärt (Az. 8 K 1116/15). Die klagende Bielefelderin war in ihrem letzten Examensversuch nach dem Vortrag in der mündlichen Prüfung in die Pause gegangen und danach fünf Minuten zu spät zum ersten Teil des Prüfungsgesprächs mit den anderen Prüflingen erschienen. Die Türen des Prüfungsraums waren zu diesem Zeitpunkt bereits verschlossen, weswegen ihr die Wachtmeisterin auch den Zutritt verwehrte. Planmäßig sollte das Prüfungsgespräch um 11.30 Uhr beginnen, die Kandidatin war allerdings von 12.30 Uhr als Prüfungszeitpunkt ausgegangen. Tatsächlich begann das Prüfungsgespräch um 11.45 Uhr, um 11.50 Uhr kam die Frau – aus ihrer Sicht reichlich pünktlich – aus der Pause zurück. In dem Verwaltungsrechtsstreit ging es nun im Kern darum, wie es zur Verwechslung der Startzeiten für die Prüfung kam, wer das entsprechende Risiko tragen musste und ob die Kandidatin nicht wenigstens an den zwei folgenden Teilen des Prüfungsgesprächs zu den übrigen Rechtsgebieten hätte teilnehmen dürfen.

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Wachtmeisterin durfte Zutritt zum Prüfungssaal verwehren

Vor dem VG argumentierte die durchgefallene Kandidatin, im Beisein einer Freundin mit den Aufsicht führenden Wachtmeisterinnen über den zeitlichen Ablauf der restlichen Prüfung gesprochen zu haben. Dabei sei ihr "der Eindruck entstanden", die Pause nach dem Vortrag betrage zwei Stunden und dauere in ihrem Fall somit bis 12.30 Uhr. Entgegen der Aussage des Vorsitzenden des Prüfungsausschusses sei sie auch nicht über die Fortsetzung der Prüfung bereits um 11.30 Uhr informiert worden. Die Mindener Richter sahen es nach der Beweiserhebung allerdings als erwiesen an, dass der Vorsitzende des Prüfungsausschusses die Frau sehr wohl über den Beginn der Prüfungsgespräche um 11.30 Uhr unterrichtet hat. Ebenso habe sie von den Wachtmeisterinnen keine anderslautende Information erhalten. Dienstliche Stellungnahmen, unter anderem eine des Justizhauptwachtmeisters, bekräftigten dies. Die Wachtmeisterin an der Tür des Prüfungsraums habe der Frau auch zu Recht den Zutritt verwehrt, selbst wenn es sich nur um eine Verspätung von wenigen Minuten gehandelt habe. Denn der Vorsitzende des Prüfungsausschusses habe mit seiner Entscheidung, die Prüfung letztendlich ohne die Bielefelderin fortzusetzen, der Wachtmeisterin konkludent die Weisung erteilt, Störungen zu unterbinden. Das sah auch das OVG so: Mit einer Dauer von fünf Minuten "war [die Prüfung] damit bereits in einem nennenswerten Umfang fortgeschritten", heißt es in dessen Urteil. Bei regulärem Prüfungsverlauf sei davon auszugehen, dass der Sachverhalt des Prüfungsgesprächs bereits geschildert und eine erste Prüfungsfrage dazu gestellt worden sei. Wegen des Hereinlassens der Kandidatin hätte die Prüfung nicht nur unterbrochen, sondern neu begonnen werden müssen. Im Interesse der Chancengleichheit der übrigen Prüflinge sei das zu verhindern gewesen.

Kein Verstoß gegen die Berufsfreiheit

Ebenso war die zu spät Gekommene nach Auffassung der ersten Instanz auch nicht mehr zu den übrigen zwei Teilen des Prüfungsgesprächs zu den anderen Rechtsgebieten zuzulassen. Denn auch wenn das Prüfungsgespräch in der Regel in je eine Fragerunde zu den drei großen Rechtsgebieten aufgeteilt und mit Pausen unterbrochen werde, bilde es dennoch eine "untrennbare Einheit", was aus § 18 Abs. 3 S. 2 JAG NRW folge. Das Versäumen der Fragerunde zum ersten Rechtsgebiet könne nicht einfach mit null Punkten bewertet und die Prüfung im Übrigen unter Teilnahme der Kandidatin fortgesetzt werden. Die bei der Kandidatin "wohl durch Aufregung entstandene Fehlvorstellung über die Prüfungszeit" stelle auch keine genügende Entschuldigung dar, weswegen ihr das endgültige Nichtbestehen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 3 Juristenausbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen (JAG NRW) zu Recht beschieden worden sei. Die Norm sei auch unter Berücksichtigung der Berufsfreiheit nach Art. 12 Grundgesetz (GG) nicht unverhältnismäßig, da von einer Hochschulabsolventin erwartet werden könne, dass sie die ihr mitgeteilten Termine einhalte. Auch dadurch, dass sie das Prüfungsgebäude in der Zwischenzeit zum Teetrinken bei einer Freundin gegenüber verlassen hat, sei die Kandidatin ein zusätzliches Risiko eingegangen, den Termin zu verpassen, so das VG. Das OVG ergänzt dazu, die sich aus der Entscheidung ergebene Härte dieses speziellen Falls sei auch deshalb hinsichtlich Art. 12 GG verfassungskonform, da eine Verspätung im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 3 JAG NRW grundsätzlich entschuldigt werden könne. Die Erklärung des Nichtbestehens erfülle den Zweck, einen missbräuchlichen Abbruch der Prüfung zu verhindern. Und selbst, wenn man den gehaltenen Vortrag am Morgen als eigenständige Prüfungsleistung nach § 18 Abs. 3 Satz 2 JAG NRW und das folgende Prüfungsgespräch insgesamt mit null Punkten einberechne, hätte die Kandidatin mit einem Ergebnis von 3,9 Punkten noch immer nicht bestanden, so der Senat. Ein milderes Mittel, nämlich die Kandidatin zu den übrigen Teilen des Prüfungsgesprächs zuzulassen, sei in diesem Fall aus den genannten Gründen auch nicht gegeben.

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2/2: Prüfungsbedingte Aufregung keine Entschuldigung

Auch in den übrigen Punkten folgte das OVG den Kollegen des VG. Die Geprüfte habe zwar den Vortrag als ersten Prüfungsteil der mündlichen Prüfung absolviert, den restlichen Termin aber ohne genügende Entschuldigung nicht bis zum Ende wahrgenommen. Da sie sich wegen ihrer grundsätzlich pflichtwidrigen Abwesenheit auf einen sie begünstigenden Sachverhalt berief, hatte sie auch die Beweislast zu tragen, so die Münsteraner Richter. Der sei sie aber nicht gerecht geworden. Vielmehr habe die Kandidatin eine genügende Entschuldigung nicht einmal behauptet, geschweige denn bewiesen. Sie selbst habe schon nicht konkret angegeben, wie sie zur Überzeugung gekommen sein will, dass die Prüfung nicht wie planmäßig angesetzt um 11.30 Uhr beginnen würde. Sie schildere lediglich, im Beisein der Begleitperson mit dem Aufsichtspersonal über die Pausendauer gesprochen zu haben. Wer genau ihr gesagt haben soll, nicht bis 11.30 Uhr erscheinen zu müssen, habe sie nicht ausgeführt. Ebenso wenig überzeugend seien die im weiteren Prozessverlauf eingebrachten vagen Behauptungen, wonach die falsche Fortsetzungszeit "entweder bereits durch den Vorsitzenden selbst oder spätestens durch die Wachtmeisterin" mitgeteilt worden sei. Nach Aktenlage stand für den Senat damit fest, dass der Vorsitzende des Prüfungsausschusses der Kandidatin schon während des Vorgesprächs die richtige Uhrzeit genannt hatte und ihr danach auch nicht vom Wachpersonal eine widersprüchliche Angabe gemacht worden ist. Auch stelle eine prüfungsbedingte Aufregung keine genügende Entschuldigung im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 3 JAG NRW dar. Denn selbst von einem nervösen Prüfling könne erwartet werden, das Gelände nicht zu verlassen, ohne sich vorher genau über die zeitliche Fortsetzung der Prüfung informiert zu haben.

"Möglicherweise bis zum Bundesverfassungsgericht"

"Ich halte das Urteil für sehr bedenklich", sagt Dr. Arne-Patrik Heinze, LL.M. von der auf Prüfungsrecht spezialisierten Hamburger Kanzlei Schneider Stein & Partner. "Nach dem Wortlaut des § 20 Abs. 1 S. 3 JAG NRW genügt es, in der Mehrheit der Prüfungsabschnitte anwesend zu sein." Nach Einschätzung des Fachanwalts für Verwaltungsrecht hätte der Prüfungsabschnitt, den die Kandidatin verpasst hat, bei verfassungskonformer Auslegung durchaus separat mit null Punkten bewertet werden können, denn: "§ 18 Abs. 3 S. 2 JAG NRW steht dem nicht entgegen: Ein Kandidat könnte in einem Prüfungsabschnitt auch einfach nichts sagen, so wie es bei der Klägerin der Fall war" – wenn auch unfreiwillig. Aus seiner Sicht hat das OVG die Möglichkeit, den verpassten Prüfungsabschnitt mit null Punkten zu bewerten und die Frau zu den zwei weiteren Fragerunden wieder dazuzuholen, "in aller Kürze mit bloßen Behauptungen abgebügelt. Möglicherweise landet die Angelegenheit letztendlich beim Bundesverfassungsgericht." "Ohne Zweifel liegt ein Versäumnis der Kandidatin vor", schätzt Prof. Dr. Christian Birnbaum das Urteil ein. Der Fachanwalt für Arbeits- und Verwaltungsrecht sowie Partner bei Birnbaum & Partner in Köln meint deshalb, dass die Wachtmeisterin der Kandidatin den Zutritt zum Prüfungssaal durchaus verwehren durfte, schließlich hätten auch die pünktlich erschienenen Prüflinge ein Interesse am reibungslosen Ablauf der Prüfung. Doch die Argumentation der Gerichte, die Prüfung als einheitliches Ganzes zu erachten, zweifelt er an: "Rechtlich spricht nichts dagegen, die Kandidatin so zu behandeln, als hätte sie während des verpassten Prüfungsteils keinen Wortbeitrag geleistet. Dann wäre zwar die Gesamtleistung entsprechend schlechter zu bewerten, doch immerhin hätte die Kandidatin überhaupt die Chance gehabt, die Prüfung insgesamt noch irgendwie zu bestehen. Unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten sprechen dafür gute Gründe", so der Prüfungsrechtler.

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