Recht und Literatur im Studium

"Ein litera­risch uner­fah­rener Jurist ist ein Sicher­heits­ri­siko"

von Manuel LeidingerLesedauer: 5 Minuten
Staatslehre, Rechtsgeschichte und –philosophie: die Klassiker unter den Grundlagenfächern. "Law and Literature" steht hingegen nicht auf dem Lehrplan. Dabei könnten Studenten von diesem Forschungsansatz profitieren. Von Manuel Leidinger.

Der Schriftsteller Max Halbe bezeichnete "die logisch-juristischen Definitionen", welche er sich während seiner juristischen Ausbildung einprägen musste, als "steinharte juristische Brocken". Jacob Grimm meinte, "ihm müsse das Wasser bis zum Halse stehen, ehe er sich seinem Studium des Privat- und Staatsrechts" widme, und brach seine juristische Ausbildung nach drei Jahren ab. Und der expressionistische Dichter Georg Heym soll seinen Referendariatsplatz verloren haben, nachdem er dienstliche Akten aus Wut das Klo runterspülte. Halbe, Grimm und Heym sind drei Beispiele für berühmte deutsche Autoren, die sich neben ihrem literarischen Schaffen durch eine juristische Ausbildung quälten. Jura sahen die so genannten Dichterjuristen meistens als reines Brotstudium an. Beobachtet man ihr negatives Verhältnis zur Juristerei, ist kaum zu glauben, dass die ernste Rechtswissenschaft und ein schöngeistiges Studienfach wie die Literaturwissenschaft einmal zueinander finden würden. Genau dies geschah jedoch mit der Law-and-Literature-Bewegung in den siebziger Jahren in den USA. Sie bildete sich als Gegenmodell zum Law-and-Economics-Konzept heraus. Dessen Vertreter bewerten die Wirkung von Rechtsnormen nach der Anwendung ökonomischer Theorien, das Recht wird also auf seine Effizienz hin untersucht. Die Law-and-Literature-Bewegung macht dagegen eher den literarischen Gehalt und die Sprache des Rechts zum Mittelpunkt ihrer Forschung. Sie ist in zwei Wissenschaftszweige zu gliedern: Law as Literature ("Recht als Literatur") und Law in Literature ("Recht in der Literatur").

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Durch Law as Literature der Gerechtigkeit einen Schritt näher?

Law as Literature verfolgt den Ansatz, Rechtstexte literaturtheoretisch zu analysieren. Dabei werden bekannte sprachwissenschaftliche Theorien und linguistische Methoden auf Gesetzestexte oder schriftliche Quellen der Rechtsprechung angewandt. Eine ist die von Jaques Derrida geprägte Lehre des Dekonstruktivismus. In der Rechtswissenschaft versuchen deren Vertreter die universale Geltung einer Norm zu hinterfragen. Durch eine Dekonstruktion des Textes will man von der Generalisierung an dasjenige herankommen, was der Einzelfall wirklich erfordert, und sich so dem Ideal der Gerechtigkeit annähern. Obwohl der Dekonstruktivismus auf den ersten Blick wie eine rein technische neue Lesart für Rechtstexte erscheint, verfolgt er somit durchaus auch eine ethische Zielsetzung.  Im Forschungszweig Law as Literature kommt unter anderem auch die Sprechakttheorie zur Anwendung, welche das Sprechen als Handeln ins Blickfeld nimmt. Der österreichische Rechtswissenschaftler Bernd-Christian Funk betont in einem Aufsatz, dass "rechtliche Kommunikation intentional stets auf Verhaltenssteuerung gerichtet ist. Rechtssprache will verstanden und ihre Botschaft befolgt werden." Das kann etwa für die Kommunikation vor Gericht interessant werden, wenn ihre Wirkung auf den Adressaten - also meist den juristisch unbedarften Bürger - untersucht werden soll.

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2/2: Neue Anregungen für rechtspolitische Debatten

Law in Literature erforscht hingegen, wie rechtliche Fragestellungen in literarischen Texten, Romanen, Erzählungen, Gedichten und Dramen, behandelt werden.
Kann beispielsweise der Tyrannenmord an Reichsvogt Hermann Gessler in Schillers Wilhelm Tell gerechtfertigt werden? Gibt es Rechtfertigungsgründe für Michael Kohlhaas ausgeübte Selbstjustiz in dem gleichnamigen Drama von Heinrich von Kleist? Welche Schwierigkeiten und Dilemmata treten in einem Strafprozess über die (Mit-)Schuld an den Verbrechen des Nationalsozialismus auf, wie in Schlinks "Der Vorleser" bei dem Prozess gegen die KZ-Aufseherin Hanna Schmitz?

Law in Literature leistet damit zum einen Beitrag für die Rechtsphilosophie, die ebenjene Fragestellungen aufgreift. Zum anderen sind Bezüge zur Rechtsgeschichte festzustellen. Deutsche Literaturklassiker aus den letzten Jahrhunderten sind zuweilen brauchbare historische Quellen über frühere Rechtssysteme und Rechtsverständnisse. Für das heute geltende nationale Recht hat die Beschäftigung mit schöngeistigen literarischen Werken zwar  keine Bedeutung. Diese helfen nicht beim Lösen konkreter Rechtsprobleme in Fällen weiter. Stattdessen verfolgt jedoch Law and Literature das Ziel,  rechtsethische und rechtspolitische Debatten anzuregen.

Und was haben Jurastudenten jetzt davon?

In den USA ist Law and Literature ein gängiges Lehrfach an den Universitäten. Auch die Elite-Fakultäten wie Yale, Harvard und Stanford unterrichten es. An deutschen juristischen Fakultäten sind Professoren, die sich Recht und Literatur widmen sowie entsprechende Seminare anbieten, eher die Seltenheit. Eine Ausnahme ist Rechtsprofessor Bodo Pieroth, welcher die Monographie "Recht und Literatur" verfasste und bereits einige gleichnamige Seminare veranstaltete.  In seinem Werk zitiert der emeritierte Professor für Öffentliches Recht und Politik an der Uni Münster den amerikanischen Verfassungsrechtler Richard Weisberg, welcher die Literatur als "Goldmine" für das Recht bezeichnete. Aber worin besteht dieses Gold und was macht ein Jurastudent damit? "In vielen literarischen Werken werden Grundfragen des Rechts behandelt. Der Wert der Literatur im Jurastudium liegt also in der Allgemeinbildung und der Vertiefung dieser Grundfragen", erklärt Pieroth.

Erste Gehversuche im Schwerpunktbereich

Eben diese Grundfragen waren im Sommersemester 2016 auch Inhalt eines Seminars zum Thema "Recht und Literatur" an der Uni Bremen, welches das Institut für Öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht von Professor Andreas Fischer-Lescano anbot. In sieben Sitzungsterminen beschäftigten sich die Teilnehmer nicht nur mit  den genannten Forschungszweigen "Recht in der Literatur" und "Recht als Literatur", sondern auch mit der staatlichen Regulierung von Literatur und damit verbundenen urheber- und strafrechtlichen Aspekten.  Das Seminar wurde im Rahmen des Schwerpunktstudiums "Grundlagen des Rechts" angeboten. "Ich halte das Thema Recht und Literatur für zentral, weil es gespiegelt via Literatur die Frage stellt: Was sind die Grundlagen und Grenzen und Bedingtheiten der Gerechtigkeit?", so Fischer-Lescano über seine Motivation, die Veranstaltung anzubieten. Dass es "Recht und Literatur" als optionales Grundlagenfach auf die Lehrpläne schafft, ist unwahrscheinlich. Dafür ist die Konkurrenz durch andere Grundlagenfächer zu groß. Ob Literaturliebhaber oder nicht – für jeden Jurastudenten hat die Auseinandersetzung mit berühmten literarischen Werke dennoch einen großen Mehrwert. Vor allem kann er für seine spätere berufliche Praxis aus der Vielfalt an Lebenslagen und -erfahrungen, die in der Literatur thematisiert werden, lernen. Diese Erkenntnis hat der Schweizer Rechtsprofessor Peter Schneider mit folgendem Zitat auf die Spitze getrieben:" Ein literarisch unerfahrener, ein unbelesener Jurist, ist ein Sicherheitsrisiko, da ihm die Hauptquelle der menschlichen Erfahrung verschlossen ist."

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